VfGH vom 21.09.2020, E86/2020
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen irakischen Staatsangehörigen; keine hinreichend aktuellen Länderberichte zur Sicherheitslage in der Provinz Diyala
Spruch
I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsbürger, gehört der arabischen Volksgruppe an, bekennt sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben und stammt aus der Provinz Diyala. Er stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer nicht (Spruchpunkt III.), sondern erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).
3. Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Bezüglich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen dahingehend, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Irak (zumindest vorübergehend) bei seiner Familie in der Provinz Diyala unterkommen und von dieser Unterstützung erlangen werde können.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und dem Recht gemäß Art 3 EMRK, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der belangten Behörde vor. Von der Erstattung einer Gegenschrift sah das Bundesverwaltungsgericht ab.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; ; , U2557/2012; , U1159/2012 ua; , E1542/2014; , E1641/2016; , E1796/2016; , E2124/2017; jüngst , E2576/2019).
Vor diesem Hintergrund enthält das angefochtene Erkenntnis keine hinreichend aktuellen Berichte zur Sicherheitslage in der Provinz Diyala: Das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass der Beschwerdeführer durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat nicht in seinen Rechten nach Art 2 und 3 EMRK verletzt würde. Dabei stützt sich das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Sicherheitslage auf Länderberichte mit Stand bis November 2018, welche im Hinblick auf die volatile Sicherheitslage (vgl Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Staatendokumentation Irak, Stand , 14) nicht hinreichend aktuell sind. Die angefochtene Entscheidung ist daher schon aus diesem Grund mit Willkür behaftet.
2.2. Ungeachtet dessen führt das Bundesverwaltungsgericht lediglich aus, dass der Beschwerdeführer nach Diyala zurückkehren könne, geht aber nicht näher darauf ein, in welche Gegend oder Stadt in der Provinz Diyala der Antragsteller zurückkehren könne. Wie aus aktuellen Länderberichten zu entnehmen ist, ereignen sich in der Provinz Diyala regelmäßig die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle; innerhalb der Provinz Diyala variiert die Sicherheitslage (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, aaO, 14). Indem das Bundesverwaltungsgericht sich nicht damit auseinandersetzt, in welchen Teil der Provinz Diyala, insbesondere in welche Stadt, der Beschwerdeführer zurückkehren kann, verunmöglicht es dem Verfassungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle, ob dem Beschwerdeführer bei einer Rückführung in den Irak eine Verletzung in Art 2 und 3 EMRK droht.
2.3. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher, soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
3. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
Demgemäß ist von einer Behandlung der Beschwerde – soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – abzusehen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Die Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E86.2020 |
Schlagworte: | Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung |
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