OGH vom 29.08.2013, 13Os67/13x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bitsakos als Schriftführer in der Strafsache gegen Erwin A***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 15 Hv 19/13d 37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (I/2), demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Konfiskation und der Vorhaftanrechnung), in der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB sowie im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs und des Adhäsionserkenntnisses verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erwin A***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/1), mehrerer Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (I/2) sowie (richtig) der Vergehen der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 fünfter Fall StGB iVm § 207a Abs 4 Z 1 StGB und nach § 207a Abs 3 zweiter Fall StGB iVm § 207a Abs 4 Z 1 StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat er
(I) vom Sommer 2011 bis zum Sommer 2012 in H*****
1) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er in zumindest zwei Angriffen die am geborene Anna D***** an der Scheide sowie an der Brust streichelte, deren Hand an seinen erigierten Penis führte und damit Masturbationshandlungen durchführte, sowie
2) Handlungen, die geeignet sind, die sittliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen, indem er der am geborenen Anna D***** in mehreren Angriffen „auf seinem Laptop Pornovideos und fotos vorführte“, weiters
(II) am in G***** die wirklichkeitsnahe Abbildung einer geschlechtlichen Handlung an einer unmündigen Person, nämlich eine Bilddatei mit der Darstellung eines unmündigen Mädchens beim Vaginalverkehr, besessen und durch Übermittlung an Anna D***** via E Mail einem anderen zugänglich gemacht.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene (ausdrücklich nur gegen die Schuldsprüche I/1 und I/2 gerichtete) Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.
Entgegen der Mängelrüge (Z 5, nominell verfehlt auch Z 5a) hat das Erstgericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen zum Schuldspruch I/1 angestellten Beweiswürdigung keine erheblichen, in der Hauptverhandlung vorgekommenen (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen (Z 5 zweiter Fall [RIS Justiz RS0118316]):
Der Einwand, die teils vorgeführten, teils vorgetragenen (ON 36 S 51 und 53) Aussagen der Anna D***** zur Anzahl der sexuellen Übergriffe im Rahmen einerseits der (kontradiktorischen) richterlichen (ON 15) und andererseits der kriminalpolizeilichen (ON 4 S 19 bis 41) Vernehmung würden einander erörterungsbedürftig widersprechen, entfernt sich von der Aktenlage. Danach gab Anna D***** vor der ermittelnden Polizeibeamtin nämlich zunächst an, „seit letztem Jahr im Sommer“ (in einer unbestimmten Anzahl von Fällen) vom Beschwerdeführer „unsittlich berührt und belästigt“ worden zu sein (ON 4 S 25), konkretisierte die sexuellen Handlungen in weiterer Folge anhand eines bestimmten Falles (ON 4 S 31) und erklärte im unmittelbaren Anschluss daran, dass „das nächste Mal“ im Frühjahr oder zu Sommerbeginn 2012 gewesen sei (ON 4 S 31). Eine inhaltliche Diskrepanz gegenüber ihrer bei der richterlichen Vernehmung getätigten Deposition, die sexuellen Übergriffe des Beschwerdeführers hätten sich „zwei Mal sicher“ zugetragen (ON 15 S 10), ist hierin nicht zu erblicken.
Mit dem Umstand, dass Anna D***** zunächst angegeben hatte, dass die Berührungen des Beschwerdeführers zum Teil auch unterhalb der Kleidung erfolgt waren (ON 4 S 31), danach aber deponierte, ausschließlich oberhalb der Bekleidung berührt worden zu sein (ON 15 S 9), setzte sich das Erstgericht sehr wohl auseinander (US 9).
Soweit die Rüge aus dieser Änderung des Aussageverhaltens anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstigere Schlüsse ableitet als die Tatrichter, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen deren Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).
Indem die Beschwerde den Einwand der Unvollständigkeit aus der Prämisse, Anna D***** habe sich ihrer Mutter, der Zeugin Angelika D*****, anvertraut, entwickelt, entfernt sie sich einmal mehr von der Aktenlage, wonach Angelika D***** sowohl in der Hauptverhandlung (ON 36 S 21) als auch vor der Kriminalpolizei (ON 36 S 19 iVm ON 4 S 51) ausdrücklich erklärte, nicht persönlich von ihrer Tochter Anna über die Vorfälle in Kenntnis gesetzt worden zu sein.
Die Abweichungen innerhalb der Aussagen der Zeugin Sonja D***** erörterten die Tatrichter (US 11).
Die Behauptung, Sonja D***** habe nicht ausgesagt, dass ihre Schwester Anna ihr gegenüber geäußert habe, vom Beschwerdeführer (oberhalb der Kleidung) im Schambereich berührt worden zu sein, entfernt sich vom Inhalt des (ungerügten) Protokolls über die Hauptverhandlung (ON 36 S 33).
Im bisher behandelten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Hingegen zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zutreffend auf, dass die tatrichterlichen Feststellungen den Schuldspruch wegen Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren (I/2) nicht tragen. Die Beschreibung der nach den Urteilskonstatierungen Anna D***** vom Beschwerdeführer vorgeführten Videos und Fotos als „pornografisch“ (US 4, 5) stellt nämlich den unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion erforderlichen Sachverhaltsbezugs nicht her (13 Os 127/05h, vgl auch [zu § 207a StGB] 14 Os 26/13z).
Der Schuldspruch I/2 war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 285e StPO (ohne Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen hiezu) schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben, was die Aufhebung des Ausspruchs einer (zweijährigen) Freiheitsstrafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung) zur Folge hat.
Mit Blick auf den untrennbaren Zusammenhang (§ 289 StPO) zwischen dem Strafausspruch und der Anordnung nach § 21 Abs 2 StGB (13 Os 22/79, SSt 50/28; RIS Justiz RS0100108, RS0115054) war auch Letztere zu beheben.
Da das Erstgericht die Strafe der Konfiskation (zum Strafcharakter dieser Reaktion auf kriminelles Handeln siehe JAB 1009 BlgNR 24. GP 2 sowie Fuchs/Tipold in WK² StGB § 19a Rz 17) sowohl auf den Schuldspruch nach § 207a StGB (II) als auch auf jenen nunmehr aufgehobenen nach § 208 Abs 1 StGB (I/2) gründete (US 15), konnte auch dieser Sanktionsteil nicht bestehen bleiben.
Entsprechendes gilt für das Adhäsionserkenntnis, weil die als Grundlage hiefür festgestellte psychische Beeinträchtigung (US 15) im Ersturteil pauschal auf sämtliche Tathandlungen des Angeklagten zurückgeführt wird (US 6).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs und des Adhäsionserkenntnisses zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.