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OGH vom 29.03.2016, 9Ob2/16h

OGH vom 29.03.2016, 9Ob2/16h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in den verbundenen Verfahren gegen den Beschuldigten H*****, vertreten durch Dr. Bernd Peck, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Winkelschreiberei, über die Revisionsrekurse des Beschuldigten sowie der Rechtsanwaltskammer für Kärnten, 9020 Klagenfurt, Theatergasse 4/1, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 2 R 219/15f 87, mit dem über Rekurs des Beschuldigten der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 7 Nc 2/13d 82, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs des Beschuldigten wird teilweise dahin Folge gegeben, dass die über ihn gemäß § 3 der Winkelschreiberei Verordnung verhängte Strafe auf eine Geldstrafe von 2.400 EUR abgeändert wird.

Dem Revisionsrekurs der Rechtsanwaltskammer für Kärnten wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Am leitete das Erstgericht von Amts wegen gegen den Beschuldigten wegen dessen Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Zwangsversteigerungsverfahren zu 17 E 97/11z des Bezirksgerichts Villach ein Verfahren nach der Winkelschreiberei Verordnung (Justizministerialverordnung vom 8. Juni 1857, RGBl 114) ein. Der Beschuldigte hatte im Zwangsversteigerungsverfahren zuletzt für den dort Verpflichteten im November 2012 eingebrachte Schriftstücke verfasst. Gleichlautende Beschlüsse fasste das Erstgericht im Bezug auf Tätigkeiten des Beschuldigten im Zusammenhang mit den Zwangsversteigerungsverfahren zu 17 E 33/12i (7 Nc 6/13t), zu 17 E 78/12g (7 Nc 10/13f) und zu 17 E 91/09i (7 Nc 12/13z), je des Bezirksgerichts Villach.

Nach Verbindung dieser Verfahren erkannte das Erstgericht im dritten Rechtsgang den Beschuldigten mit Beschluss vom für schuldig, durch die in der Entscheidung näher bezeichneten Eingaben und sein Einschreiten in den genannten Zwangsversteigerungsverfahren, jeweils ohne von der zuständigen Behörde dazu berechtigt zu sein, das Disziplinarvergehen der Winkelschreiberei nach § 1 Winkelschreiberei Verordnung begangen zu haben. Es verhängte über ihn hierfür eine Haftstrafe von insgesamt zehn Wochen (ON 82).

Das Erstgericht ging von den in seinem Spruch im Detail wiedergegebenen Verhaltensweisen des Beschuldigten aus und stellte dazu fest, dass der Beschuldigte, der nicht zur gewerbsmäßigen Vertretung vor Gericht befugt sei, dennoch die Vertretung der Parteien übernommen und diesen Eingaben zur Verfügung gestellt habe bzw als Vertreter vor Gericht in Erscheinung getreten sei. Der Beschuldigte sei darauf aus, Geld oder eine geldwerte Leistung für diese Tätigkeiten zu erhalten. Er gehe dabei jeweils so vor, dass er Personen, für deren Liegenschaften ein Versteigerungstermin angesetzt sei, selbst kontaktiere oder über bereits bestehende Klienten kontaktieren lasse. Teils erfolge die Kontaktaufnahme auch über das Internet. Der Beschuldigte betreibe eine Internetseite (www.*****), er sei deren Eigentümer und für deren Inhalt verantwortlich. Nach Kontaktaufnahme stelle der Beschuldigte kurzfristige Zwischenfinanzierungen in Aussicht, lasse sich Vollmachten ausstellen und übernehme „Verhandlungen“ mit Sachbearbeitern der betreibenden Bank oder der Betreibendenvertreter. Diese Verhandlungen liefen vielfach auf Nötigungsversuche hinaus, indem dem Gegenüber neben dem Unterlaufen des gerichtlichen Verfahrens auch Schadenersatzklagen oder Strafanzeigen für den Fall angedroht würden, dass keine Aufschiebung gewährt werde. Sofern eine Aufschiebung nicht zu erwirken sei, stelle der Beschuldigte seinen Klienten Eingaben für das Zwangsversteigerungsverfahren zur Verfügung, die von den Parteien unterschrieben und eingebracht würden (etwa Oppositionsklagen samt Aufschiebungsanträgen, sowie Ablehnungsanträge). Auf seiner Internetseite suggeriere der Beschuldigte, dass Versteigerungen mutwillig erfolgten, Richter den Anwälten hörig seien und er unbeirrt für seine Klienten gegen Korruption einschreite. Unliebsame Personen nenne er namentlich. Der Beschuldigte, der die im Spruch der erstgerichtlichen Entscheidung im Einzelnen angeführten Eingaben verfasst habe, sei nicht nur darauf aus, Geld oder eine geldwerte Leistung für seine Tätigkeit zu bekommen; er habe für seine Tätigkeiten in den Zwangsversteigerungsverfahren auch tatsächlich Zahlungen erhalten. Die teilweise erfolgte Titulierung als „Benzingeld“ ändere nichts an der Gewerbsmäßigkeit.

Wegen des über den Beschuldigten eröffneten Konkursverfahrens könne nicht damit gerechnet werden, dass eine Geldstrafe einbringlich wäre; darüber hinaus habe eine bloße Geldstrafe beim Beschuldigten keine spezialpräventive Wirkung. Er habe seine Tätigkeit auch nach Eröffnung der Verfahren wegen Winkelschreiberei unverändert fortgesetzt. Der Beschuldigte, der zu keinem Termin bei Gericht erschienen sei, lasse keinen Willen erkennen, sich rechtskonform zu verhalten. Es komme daher nur die Verhängung einer Haftstrafe in Frage. In Anlehnung an das Verwaltungsstrafrecht sei entsprechend dem dort geltenden Kumulationsprinzip für jeden Handlungskomplex im Zusammenhang mit einem Zwangsversteigerungsverfahren eine eigene Haftstrafe zu verhängen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beschuldigten dagegen teilweise Folge, indem es die verhängte Freiheitsstrafe von insgesamt zehn Wochen auf zwei Wochen herabsetzte.

Dazu führte es aus, § 1 der Winkelschreiberei-Verordnung unterscheide zwei Tatbestände, wobei für die in lit a genannten Tätigkeiten (Einschreiten ohne die gesetzliche Befähigung in Streitsachen mit Anwaltspflicht) weder eine besondere Häufigkeit noch Gewinnabsicht erforderlich sei. Einige der festgestellten Handlungen des Beschuldigten erfüllten diesen Tatbestand, weshalb in diesen Fällen ein Bestreiten der Gewerbsmäßigkeit durch den Beschuldigten ohne Bedeutung sei. Nach den vom Rekursgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts sei bei den übrigen unter § 1 lit b Winkelschreiberei Verordnung zu subsumierenden Tätigkeiten von einer Gewinnabsicht des Beschuldigten auszugehen. Eine Verjährung der vorgeworfenen Handlungen sei entgegen der Ansicht des Beschuldigten nicht eingetreten; die Vertretung einer Partei in einem bestimmten Gerichtsverfahren sei einheitlich zu beurteilen, die Verjährung beginne daher erst mit dem Ende der Tätigkeit. Hier seien auch die Fristen des § 31 Abs 2 und 3 VStG, auf deren Anwendbarkeit sich der Beschuldigte berufe, nicht abgelaufen, denn das Erstgericht habe die erste Verfolgungshandlung jeweils innerhalb von sechs Monaten nach den Handlungen des Beschuldigten gesetzt. Die Höhe der über den Beschuldigten verhängten Strafe(n) sei allerdings korrekturbedürftig, weil eine Kumulation in Analogie zum Verwaltungsstrafrecht, die hier sogar ein Überschreiten der Höchstgrenze des § 3 Winkelschreiberei-Verordnung (Freiheitsstrafe von bis zu sechs Wochen) zur Folge habe, nicht zulässig sei. Die Mehrzahl von Verstößen sei erschwerend zu werten, ebenso die Vorgangsweise und die fehlende Einsicht des Beschuldigten. Auf einen Schadenseintritt stelle die Winkelschreiberei Verordnung nicht ab; um eine erstmalige Verurteilung des Beschuldigten wegen Winkelschreiberei handle es sich hier im Übrigen nicht. Eine (teil )bedingte Nachsicht der Strafe sehe die Winkelschreiberei Verordnung nicht vor.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung zur Frage der bei der Strafbemessung nach der Winkelschreiberei Verordnung anzuwendenden Verfahrensregeln fehle.

Der Beschuldigte beantragt in seinem gegen die Rekursentscheidung erhobenen Revisionsrekurs, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass erkannt werde, er sei nicht schuldig, in den genannten Zwangsversteigerungsverfahren unberechtigt eingeschritten zu sein, er habe das Disziplinarvergehen der Winkelschreiberei nicht begangen und die Haftstrafe sei zu Unrecht verhängt worden. Hilfsweise beantragt der Beschuldigte die Aufhebung der Entscheidung bzw. die Herabsetzung der verhängten Strafe.

Die Rechtsanwaltskammer für Kärnten beantragt in ihrem Revisionsrekurs, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der erstgerichtliche Beschluss allerdings mit einer (geringeren) Verurteilung zu einer Haftstrafe von insgesamt sechs Wochen wiederhergestellt werde; hilfsweise wird die Aufhebung der Entscheidungen begehrt.

In ihren Revisionsrekursbeantwortungen beantragen die Rechtsmittelwerber jeweils, den gegnerischen Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Der Revisionsrekurs des Beschuldigten ist im Ergebnis auch teilweise berechtigt. Der Revisionsrekurs der Rechtsanwaltskammer ist nicht berechtigt.

I. Zum Revisionsrekurs des Beschuldigten:

1. § 1 der Winkelschreiberei-Verordnung stellt einerseits (lit a) die Winkelschreiberei bei Anwaltspflicht unter Strafe und andererseits (lit b) die gewerbsmäßige Winkelschreiberei in gerichtlichen Verfahren, in denen kein Einschreiten eines Rechtsanwalts vorgeschrieben ist.

In seinem Revisionsrekurs wendet sich der Beschuldigte ebenso wie bereits in seinem Rekurs nicht gegen die festgestellten Geldbeträge als solches, die er (mehr als 1.100 EUR) für seine Tätigkeit erhalten hat, sondern er meint, diese seien aufgrund der näher genannten Zeugenaussagen lediglich Aufwandsentschädigungen und daher kein geldwerter Vorteil gewesen.

Fragen der Beweiswürdigung sind aber grundsätzlich nicht revisibel (RIS Justiz RS0043371 uva). Der Beschuldigte hat hier einen tatsächlichen Aufwand (für Fahrtkosten), der den erhaltenen Zahlungen entsprechen könnte, nicht einmal behauptet. Beweisergebnisse wie hier etwa sein Hinweis auf eine der Zeugenaussagen sind nicht geeignet, fehlendes Prozessvorbringen zu ersetzen oder unzureichendes Vorbringen zu konkretisieren (RIS Justiz RS0037915 [T2]).

2. Die Winkelschreiberei Verordnung kennt kein fortgesetztes Delikt (RIS Justiz RS0034938). Ein zusammengehöriges Tatverhalten (wie hier die Vertretung von einzelnen Parteien in bestimmten Gerichtsverfahren) ist jedoch einheitlich zu beurteilen, weshalb die Verjährung erst mit dem Ende der jeweiligen Tätigkeit beginnt ( Konecny in Fasching / Konecny , ZPO 3 , Art IV EGZPO Rz 80 mwN; ebenso RIS Justiz RS0034938 [T2]).

Das Rekursgericht hat in seiner Entscheidung aufgelistet, welche Verfolgungshandlungen das Erstgericht jeweils zu welchen Zeitpunkten in den verbundenen Verfahren jeweils zu den dem Beschuldigten vorgeworfenen Tätigkeiten im Zusammenhang mit Zwangsversteigerungsverfahren gesetzt hat. Ein Ablauf von sechs Monaten ist in keinem dieser Fälle eingetreten.

Die Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs 1 VStG in der seit geltenden Fassung (BGBl I 2013/33) beträgt ein Jahr (zuvor sechs Monate). Nach § 57 Abs 3 StGB beträgt die Verjährung der Strafbarkeit ebenfalls ein Jahr, weshalb auch eine vom Beschuldigten in seinem Rechtsmittel geforderte Anwendbarkeit dieser Bestimmung zu keinem anderen Ergebnis führen könnte.

3. Gemäß § 3 der Winkelschreiberei Verordnung hat das Gericht über den schuldig Befundenen eine Geldstrafe bis zu 60.000 ATS (umgerechnet rund 4.360 EUR) oder eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu verhängen. Nähere Bestimmungen über die Strafbemessung enthält die Winkelschreiberei-Verordnung nicht. Eine allenfalls teilweise „bedingte Strafnachsicht“ ist nicht vorgesehen.

Der Beschuldigte wendet sich gegen die über ihn verhängte Strafe insoweit, als er meint, die Vorinstanzen hätten keine Milderungsgründe berücksichtigt; es lägen keine Erschwerungsgründe vor, die aber gemäß §§ 11 und 12 VStG für eine solche Strafe erforderlich seien. Es sei unverständlich, warum gegen ihn eine „derart hohe Strafe“ verhängt worden sei.

Eine Freiheitsstrafe darf nach § 11 VStG nur dann verhängt werden, wenn dies „ notwendig ist, um den Täter von weiteren Verwaltungsübertretungen gleicher Art abzuhalten “. Die nach der Winkelschreiberei Verordnung strafbaren Handlungen sind keine Verwaltungsübertretungen; das Verfahren, das die Gerichte in Winkelschreiberei Sachen entsprechend Art IV Z 5 EGZPO nach der Winkelschreiberei Verordnung zu führen haben, kann kein Verwaltungsverfahren sein (Art 94 Abs 1 B VG), sondern es ist ein Gerichtsverfahren. Bei den Strafen nach der Winkelschreiberei Verordnung handelt es sich um gerichtliche Disziplinarstrafen im weiteren Sinn ( Konecny in Fasching / Konecny , ZPO 3 , Art IV EGZPO Rz 78, 84).

Wenngleich die Bestimmung des § 11 VStG hier nicht anwendbar ist, so gilt doch die darin zum Ausdruck kommende Rolle der Freiheitsstrafe als ultima ratio ( Sander in Raschauer / Wessely , VStG 2 § 11 Rz 4 ua) auch im gerichtlichen Strafverfahren (s etwa nur § 37 StGB; Flora in WK 2 StGB § 37 Rz 3 mwN; Fabrizy , StGB 12 § 37 Rz 2); sind im gerichtlichen Strafverfahren eine Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe wahlweise angedroht, so bedarf es keiner Anwendung des § 37 StGB, um eine Geldstrafe zu verhängen; in einem solchen Fall soll eine Haftstrafe die Ausnahme sein ( Fabrizy , StGB 12 § 37 Rz 6 mwN).

Für das gerichtliche Disziplinarverfahren im weiteren Sinn nach der Winkelschreiberei-Verordnung kann nichts anderes gelten. Dass der Gesetzgeber schon allgemein davon ausgeht, dass die Freiheitsstrafe gegenüber der Geldstrafe als strengere Strafe zu werten ist (vgl Sander in Raschauer / Wessely , VStG 2 § 11 Rz 4), bedarf hier keiner besonderen Erörterung. Weiters ist zu beachten, dass es nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Strafsachen nicht zulässig ist, die Verhängung einer Freiheitsstrafe damit zu rechtfertigen, dass der Verurteilte wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse eine Geldstrafe nicht bezahlen könnte (RIS Justiz RS0090101, RS0090117).

Wie schon erwähnt, enthält die Winkelschreiberei Verordnung keine Regeln über die Strafbemessung. Für die Tatbestände der Winkelschreiberei Verordnung ist wahlweise eine Geldstrafe „bis zu“ 60.000 ATS oder eine Freiheitsstrafe „bis zu“ sechs Wochen angedroht. Bei der Festsetzung einer Strafe für Tathandlungen im Sinn der Winkelschreiberei Verordnung im Einzelfall sind daher die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung zu beachten, nach denen insbesondere die (Schwere der) Schuld des Täters maßgeblich ist und je nach Sachverhalt allfällige Milderungs oder Erschwerungsgründe sowie die Aspekte der General und Spezialprävention zu berücksichtigen sind (vgl § 32 Abs 2 StGB).

Im vorliegenden Fall handelt es sich um mehrfache Verstöße gegen die Winkelschreiberei Verordnung; der Beschuldigte bestreitet selbst seine Uneinsichtigkeit trotz der anhängigen Verfahren gegen ihn nicht. Darauf, ob die Taten einen „Schaden herbeigeführt“ haben, kommt es bei der Prüfung des nach der Winkelschreiberei Verordnung strafbaren Verhaltens nicht an. Dass der Beschuldigte „aus sozialen und karitativen Beweggründen“ gehandelt hätte, trifft hier nach den Feststellungen nicht zu.

Zu beachten ist allerdings, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der ihm in diesen verbundenen Verfahren vorgeworfenen Handlungen nach der Winkelschreiberei-Verordnung noch nicht verurteilt war (die erste solche Verurteilung wurde im Juni 2015 rechtskräftig). Zu dieser Zeit war ihm daher das Unrecht seiner Tathandlungen als Verstoß gegen die Bestimmungen der Winkelschreiberei Verordnung noch nicht in Form einer ihn verurteilenden Entscheidung vor Augen geführt worden. Der Beschuldigte hatte zwar von den gegen ihn geführten Verfahren Kenntnis; seine Uneinsichtigkeit beruhte jedoch erkennbar auch darauf, dass er selbst trotz der fest stehenden Gewerbsmäßigkeit seiner Handlungen offenbar der Meinung war, sein Tätigwerden in den verschiedenen Zwangsversteigerungsverfahren sei (auch) für die jeweiligen Verpflichteten von Vorteil. Aufgrund dieser Erwägungen kann nach Ansicht des erkennenden Senats in diesem Fall noch mit einer Geldstrafe das Auslangen gefunden werden. Es bedarf noch nicht der Verhängung einer Freiheitsstrafe als ultima ratio. Bei der Festsetzung der Höhe des vom Beschuldigten zu leistenden Betrags waren allerdings seine besonders offensive Vorgangsweise und die Vielzahl der Tathandlungen zu beachten.

II. Zum Revisionsrekurs der Rechtsanwalts-kammer:

1. Gemäß Art IV Z 5 EGZPO hat die zuständige Rechtsanwaltskammer in Verfahren nach der Winkelschreiberei-Verordnung Parteistellung und damit insbesondere das Recht, gegen Beschlüsse, mit denen eine Untersuchung eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen wird, Rekurs nach Maßgabe der §§ 514 bis 528 ZPO (jetzt § 528a ZPO; Konecny in Fasching / Konecny , ZPO 3 , Art IV EGZPO Rz 88) zu erheben. Die Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis der Rechtsanwaltskammern ist nicht auf solche Beschlüsse beschränkt, mit denen eine Untersuchung eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen wird, denn die in Art IV Z 5 EGZPO geregelte Zustellung nur solcher Beschlüsse wird durch die Bestimmungen des § 58 RAO und § 187 NO ergänzt, aus denen sich auch die uneingeschränkte Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis der zuständigen Rechtsanwaltskammer ergibt. Die zur früheren Rechtslage ergangene Entscheidung, nach der die Kammern verurteilende Beschlüsse wegen einer zu geringen Strafe überhaupt nicht bekämpfen konnten (RIS Justiz RS0034906 = 2 Ob 660/51), ist daher überholt ( Konecny in Fasching / Konecny , ZPO 3 , Art IV EGZPO Rz 88).

2. Die Anwendbarkeit der Verjährungsregeln des § 31 VStG auf die nach der Winkelschreiberei Verordnung zu bestrafenden Handlungen entspricht der dazu bisher ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs; die Winkelschreiberei Verordnung selbst sieht keine Verjährung vor (1 Ob 63/63 mwN; Konecny in Fasching / Konecny , ZPO 3 , Art IV EGZPO Rz 80 mwN).

Entgegen der Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin lässt sich jedoch aus der Anwendbarkeit des § 31 VStG für die Verjährung der Möglichkeit zur Strafverfolgung nach der Winkelschreiberei-Verordnung nicht ableiten, dass für die Strafbemessung das Kumulationsprinzip des § 22 Abs 2 VStG (mehrere Strafen nebeneinander für mehrere Verwaltungsübertretungen) herangezogen werden könnte. Diese Strafbemessungsbestimmung gilt mangels einer anders lautenden Verwaltungsvorschrift ausdrücklich nur für solche Taten, die nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bilden (§ 22 Abs 1 VStG). In Rechtssachen nach der Winkelschreiberei-Verordnung ist wie bereits erwähnt ein (zivil )gerichtliches, teilweise dem Außerstreitverfahren angenähertes amtswegiges Verfahren (2 Ob 93/98k) durchzuführen, für das ergänzend die Verfahrensregeln der ZPO gelten ( Konecny in Fasching / Konecny , ZPO 3 , Art IV EGZPO Rz 84 mwN). Im Unterschied dazu normiert § 57 RAO eine Verwaltungsübertretung und überlagert in ihrem Anwendungsbereich alle anderen Verwaltungs-strafbestimmungen gegen Winkelschreiberei, nicht aber die eine gerichtliche Strafe vorsehende Winkelschreiberei-Verordnung (9 Ob 86/14h). Für das hier zu entscheidende Verfahren gegen den Beschuldigten nach der Winkelschreiberei-Verordnung kommt daher eine Anwendung des § 22 Abs 2 VStG nicht in Betracht.

3. Zur Art und Höhe der festgesetzten Strafe wird die Revisionsrekurswerberin auf die Ausführungen zu Punkt I.3 verwiesen. Der Revisionsrekurswerberin gelingt es mit ihrem Hinweis auf die mehrfachen Tathandlungen des Beschuldigten, auf dessen spezifische Vorgangsweise sowie die bereits erfolgte Verurteilung hier nicht, die Angemessenheit einer (höheren) Freiheitsstrafe zu rechtfertigen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0090OB00002.16H.0329.000