OGH vom 18.07.2002, 10ObS81/02p

OGH vom 18.07.2002, 10ObS81/02p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Mutz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef Z*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Hermann Geissler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pensionsanpassung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 372/01m-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cgs 129/00y-17, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten sprach über Antrag des Klägers mit Bescheid vom aus, dass die Pension des Klägers entsprechend den anzuwendenden Bestimmungen über die Pensionsanpassung ab monatlich S 29.425,10 brutto betrage.

Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer in der Höhe von S 29.980,84 brutto monatlich ab . Die von der beklagten Partei vorgenommene Erhöhung seiner Pension entspreche zwar den geltenden Bestimmungen über die Pensionsanpassung, diese Bestimmungen seien jedoch auf Grund einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Beziehern niedrigerer Pensionen und von Beziehern höherer Pensionen verfassungswidrig.

Die beklagte Partei beantragte die Zurück- bzw Abweisung der Klage unter Hinweis auf die geltende Rechtslage.

Das Erstgericht wies die Klage im zweiten Rechtsgang mit der Begründung ab, dass die Pensionshöhe unter richtiger Anwendung des geltenden Rechtes bemessen worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es die beklagte Partei verpflichtete, dem Kläger ab eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer in der bescheidmäßig zuerkannten Höhe von S 29.425,10 brutto monatlich zu gewähren. Das darüber hinausgehende und auf die Gewährung einer Pension in Höhe von S 29.980,84 brutto monatlich gerichtete Klagebegehren wies es ab. Das Berufungsgericht teilte nicht die vom Berufungswerber gegen die Bestimmung des § 584 Abs 3 ASVG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken. Zweck der Pensionsanpassung sei unter anderem die Inflationsabgeltung und damit die Erhaltung der Kaufkraft. Der Gesetzgeber hätte sich bereits von vornherein dafür entscheiden können, eine Anpassung mit fixen Beträgen vorzunehmen. Die unterschiedliche Erhöhung der Pensionseinkommen erscheine insbesondere unter dem Aspekt völlig unbedenklich, als die jeweiligen Erhöhungsbeträge bei niedrigen Pensionen im Regelfall absolut gesehen niedriger seien als die der prozentuell geringer erhöhten (höheren) Pensionen. Das Auftreten von Härtefällen im Einzelfall könne eine Verfassungswidrigkeit nicht begründen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger macht auch in seinen Revisionsausführungen ausschließlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 584 Abs 3 ASVG idF SRÄG 1999 geltend und regt diesbezüglich die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof an. Der erkennende Senat vermag sich den Ausführungen des Klägers auf Grund folgender Erwägungen nicht anzuschließen:

Pensionen und Renten müssen als zumeist langfristige Geldansprüche den veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten, insbesondere der laufenden Geldentwertung und den steigenden Einkommen angepasst werden, um den inneren Wert der Sozialleistungen zu sichern. Der Gesetzgeber stand dabei vor der Wahl, die Anpassung der Leistungen völlig automatisch vor sich gehen zu lassen (Automatik) oder nur ein Anpassungsverfahren verbindlich vorzugeben, das die Zeitpunkte der Anpassung, die Vorgangsweise bei der Anpassung, die Kriterien der Anpassung und dergleichen regelt, für die Festsetzung der Anpassungssätze aber nach wie vor eine politische Entscheidung voraussetzt (Dynamik). Er entschied sich mit dem Pensionsanpassungsgesetz 1965 für ein gemischtes System. Dafür war der Umstand maßgeblich, dass die Pensionsversicherung auf einem Generationenausgleich beruht, die Finanzierung der Pensionen also durch die erwerbstätige Generation erfolgen muss. Es bestand die Befürchtung, dass automatische Pensionsanpassungen die erwerbstätige Generation überfordern könnten. Es sollte daher ein politisches Korrektiv eingebaut werden, um notwendig erscheinende Dämpfungen der Anpassung vorzunehmen zu können. Mit der 51. ASVG-Novelle (BGBl 1993/335) hatte sich der Gesetzgeber für das System der Nettoanpassung entschieden, wodurch eine gleichmäßige Entwicklung der Nettolöhne und der Nettopensionen erreicht werden soll. Der Anpassungsrichtwert wurde vom Beirat für Renten- und Pensionsanpassungen (§ 108e ASVG) so ermittelt, dass die Veränderung der durchschnittlichen Nettobeitragsgrundlage der Veränderung der durchschnittlichen Veränderung der Nettopensionshöhe entspricht. Die Festsetzung des rechtsverbindlichen Anpassungsfaktors erfolgte sodann auf Grund der Empfehlung des Beirats durch Verordnung des Bundesministers für Soziale Sicherheit und Generationen, die der Zustimmung der Bundesregierung und des Hauptausschusses des Nationalrates bedurfte (vgl Tomandl, Grundriss des österr. Sozialrechts5 Rz 287 ff; ders, SV-System 13. ErgLfg 32 ff; Brodil/Windisch-Graetz, Sozialrecht3 139 f ua). Für das Jahr 1997 wurde die Anpassung der Pensionen und Renten ausgesetzt (§ 563 Abs 12 ASVG). Lediglich für Bezieher einer Ausgleichszulage und Bezieher von Pensionen, deren Gesamteinkommen die anzuwendenden Ausgleichszulagenrichtsätze nur knapp überstiegen haben, wurde in den Monaten Jänner und Juli 1997 eine zusätzliche Ausgleichszulage gewährt (§ 563 Abs 13 und 14 ASVG).

Für das Jahr 2000 hatte der Beirat für die Renten- und Pensionsanpassung empfohlen, den Anpassungsfaktor mit 1,004 festzusetzen. Dies hätte eine Erhöhung der Pensionen und anderer Leistungen (mit Ausnahme der Ausgleichszulagen) um 0,4 % bewirkt. Angesichts der politischen Stimmen, die für eine über den Vorschlag des Beirates hinausgehende Anpassung eintraten, wurden weitere Gespräche mit Vertretern der Pensionisten geführt. Auf Grund des Ergebnisses dieser Gespräche und im Hinblick auf eine für 1999 prognostizierte Inflationsrate von 0,6 % wurde der Anpassungsfaktor für das Jahr 2000 im Verordnungswege - abweichend von der Empfehlung des Beirates - mit 1,006 festgesetzt. Darüber hinaus wurden für Bezieher niedrigerer Pensionen zusätzliche Zahlungen vorgesehen. So wurden die Ausgleichszulagenrichtsätze um jeweils rund 2,46 % erhöht. Gesamtpensionseinkommen (das ist die Summe sämtlicher Pensionseinkünfte einer Person) wurden abgestuft erhöht. So wurden Gesamtpensionseinkommen bis S 7.000 um 1,5 %; Gesamtpensionseinkommen über S 7.000 bis einschließlich S 8.000 (im Wege einer linearen Interpolation) im Ausmaß von mehr als 1,5 % bis höchstens 2,5 %; Gesamtpensionseinkommen über S 8.000 bis einschließlich S 9.750 um S 200, Gesamtpensionseinkommen über S 9.750 bis einschließlich S 10.400 (im Wege einer linearen Interpolation) im Ausmaß von weniger als S 200 bis mindestens S 135 und Gesamtpensionseinkommen über S 10.400 mit einem "Sockel" von S 135 erhöht, das heißt, dass die Pensionserhöhung im Ausmaß von 0,6 % (Anpassungsfaktor für das Jahr 2000), mindestens jedoch im Ausmaß des genannten Betrages gebührt (§ 584 Abs 3 ASVG idF SRÄG 1999, BGBl I Nr 1/2000; vgl dazu auch die Erläuternden Bemerkungen in der Regierungsvorlage 4 und Zu 4 BlgNR XXI.GP, 5). Diese zwischen der Bundesregierung und den Pensionistenverbänden vereinbarte zusätzliche Pensionserhöhung für die Bezieher von Ausgleichszulagen und kleineren Pensionen wurde auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Steuerreform 2000, die für die kleinen Einkommensbezieher kaum tarifliche Vorteile brachte, geschaffen (Rudda, Neues in der Sozialversicherung ab dem Jahr 2000, SozSi 2000, 2 ff).

Mit dem SRÄG 2000, BGBl I Nr 92/2000, erfolgte eine teilweise Neuregelung der Pensionanpassung. Die jährliche Pensionsanpassung erfolgt zwar weiterhin nach dem Modell der "Nettoanpassung", jedoch enthält sie keinen politischen Faktor (insbesondere keine "Bandbreite") mehr, sondern stellt lediglich das Ergebnis einer Rechenoperation dar (§ 108f ASVG). In Jahren, in denen dadurch die Inflationsrate unterschritten wird, hat gemäß § 299a ASVG ein Wertausgleich durch Einmalzahlungen zu erfolgen, deren Höhe sozial abgestuft ausgestaltet werden kann (vgl RV 181 BlgNR XXI.GP, 24, 30 und 40 f). In diesem Sinne wurden mit Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen vom (BGBl II 2000/407) sowie vom (BGBl II 2001/439) die Höhe des Anpassungsfaktors und die Höhe des Wertausgleiches für die Jahre 2001 und 2002 kundgemacht.

Nach Ansicht des Revisionswerbers verstoße die überproportionale prozentmäßige Erhöhung niedriger Pensionen durch die für das Jahr 2000 erfolgte Pensionsanpassung gegen den Gleichheitsgrundsatz und sei somit verfassungswidrig.

Dem vom Kläger für seine Ansicht vorgetragenen Argument, Pensionen stellten eine Gegenleistung für die vom Versicherten im Laufe seines Lebens eingezahlten Beiträge dar, ist schon grundsätzlich entgegenzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung das Fehlen voller Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung im Sozialversicherungsrecht stets als verfassungsrechtlich unbedenklich qualifiziert hat (VfSlg 14842; 12739 mwN ua). Das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer gegebenen Rechtslage genießt als solches ebenfalls keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (VfSlg 13657, 13461 ua), sodass es dem Gesetzgeber sehr wohl freisteht, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch für die Normunterworfenen ungünstiger zu gestalten. Im Übrigen kommt dem einfachen Gesetzgeber eine, freilich nicht unbegrenzte, rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzess nicht der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN). Der Gesetzgeber hat allerdings auch im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einzuhalten. Geringfügige Eingriffe gelten dabei allerdings nicht als unverhältnismäßig, sondern als zumutbar. So hielt der Verfassungsgerichtshof bisher etwa eine dauernde Pensionskürzung von 1,4 % bei stufenweisem Inkrafttreten (VfSlg 14867), eine Gehaltsreduktion um etwa 1,5 % (VfSlg 14888), eine Beitragserhöhung um 3,4 % ( = ZAS 2002/7) und sogar eine im Durchschnitt 12 %ige Kürzung von Beamtenpensionen als Folge einer Verringerung der Bemessungsgrundlage bei vorzeitiger Pensionierung (VfSlg 15269) für geringfügig und damit schon aus diesem Grunde für verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl Tomandl in seiner Entscheidungsbesprechung in ZAS 2002/7, 57 ff; ders, Gedanken zum Vertrauensschutz im Sozialrecht, ZAS 2000, 129 ff [133 f]; Aigner,

Der Pensionssicherungsbeitrag der Beamten, ZAS 2000, 65 ff [74]; Stelzer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Eingriffs in Rechte oder Vertragsverhältnisse, DRdA 2001, 508 ff [511] ua). Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass hier nicht die Frage der Zulässigkeit einer - einmaligen - Pensionskürzung um maximal 1,9 %, sondern lediglich die Frage der Zulässigkeit einer Verringerung oder Erhöhung einer Pension in diesem Ausmaß zu beurteilen ist, sodass diese Maßnahme auch im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Vertrauensschutz verfassungsrechtlich unbedenklich ist.

Die bereits erwähnte Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darf allerdings nicht zu unsachlichen Ungleichbehandlungen führen (vgl Tomandl aaO ZAS 2000, 134). Diese Unsachlichkeit wird vom Revisionswerber insbesondere darin erblickt, dass die überproportionale Erhöhung der niedrigen Pensionen im Ergebnis zu einer prozentmäßig gleichen Erhöhung der Pension führe wie beim Revisionswerber, der dafür allerdings Versicherungsmonate in erheblichem Ausmaß nachgekauft habe.

Auch dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. So hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Gesetzgeber bei Kürzungen von Leistungen nach sozialen Gesichtspunkten differenzieren kann (VfSlg 14960, 11665 ua), zumal die Bezieher höherer Sozialleistungen Eingriffe in der Regel leichter verschmerzen können als Bezieher niedrigerer Sozialleistungen (Tomandl aaO ZAS 2002, 57). Im Übrigen verfolgt die Pensionsanpassung, wie bereits dargelegt, ganz allgemein das Ziel einer gleichmäßigen Entwicklung der Nettopensionen und der Nettolöhne und es räumt auch der Revisionswerber selbst ein, dass in der Privatwirtschaft - aber auch im öffentlichen Dienst - im Rahmen der Erhöhung der Löhne und Gehälter häufig vergleichbare Staffelbeträge für die Beschäftigten vereinbart werden. Es wurde schließlich ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass in der Sozialversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung gilt, da der Versorgungsgedanke im Vordergrund steht, wohingegen der Versicherungsgedanke in der Ausprägung der Vertragsversicherung zurückgedrängt ist.

Auf Grund dieser Erwägung sieht sich auch der erkennende Senat zu der vom Revisionswerber angeregten Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof nicht veranlasst. Ausgehend von der dargestellten Rechtslage, gegen die keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, kommt der Revision keine Berechtigung zu. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.