OGH vom 06.09.2017, 13Os65/17h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Bahador K***** wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 13 U 184/15s des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Durchführung des Gerichtstags zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten in dessen Abwesenheit durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am (ON 39) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Verurteilten Bahador K***** und seines Verteidigers Dr. Tesar zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Bahador K***** wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 13 U 184/15s des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, verletzt die Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung des Angeklagten in dessen Abwesenheit (ON 39) § 294 Abs 5 zweiter Satz StPO iVm § 471 StPO.
Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom , AZ 131 Bl 28/16p (ON 41), wird aufgehoben und die Erneuerung des Rechtsmittelverfahrens über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom angeordnet.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom wurde Bahador K***** (richtig) mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen, verurteilt (ON 28).
Am selben Tag meldete der Angeklagte gegen dieses Urteil Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 29), die er am ausführte (ON 36).
Am führte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung des Angeklagten in dessen Abwesenheit durch (ON 39), wobei es von der Zustellung der diesbezüglichen Ladung des Angeklagten durch Hinterlegung ausging (ON 39 S 2). Mit Urteil vom selben Tag gab das Landesgericht für Strafsachen Wien der Berufung des Angeklagten nicht Folge (ON 41).
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) zutreffend ausführt, steht die Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Angeklagten in dessen Abwesenheit mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Nach § 294 Abs 5 zweiter Satz StPO iVm § 471 StPO gelten für die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts die Bestimmungen der §§ 286 und 287 StPO dem Sinn nach mit der Maßgabe, dass der nicht verhaftete Angeklagte vorzuladen ist, es sei denn, er hätte durch seinen Verteidiger ausdrücklich darauf verzichtet. Solcherart lässt das Gesetz die Verhandlung und Entscheidung über die Berufung in Abwesenheit des Angeklagten primär dann zu, wenn dieser ordnungsgemäß zum Gerichtstag geladen worden ist. Erfolgte keine ordnungsgemäße Ladung, ist die Zulässigkeit der Verhandlung und Entscheidung in Abwesenheit des Angeklagten von der Zustimmung des Verteidigers abhängig.
Fallbezogen führte das Berufungsgericht das Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten durch, weil es die Ladung als ordnungsgemäß (durch Hinterlegung) zugestellt erachtete (ON 39 S 2). Solcherart ging das Berufungsgericht von objektiv unrichtigen Tatumständen aus, weil der Angeklagte nicht mehr an jener Adresse wohnhaft war, an welche die Ladung gerichtet wurde. Wie aus dem angeschlossenen Akt 131 Bl 28/16p ersichtlich, wurde die Ladung zum Gerichtstag am verfügt. Zu diesem Zeitpunkt war der Wohnsitzwechsel des Angeklagten aktenkundig (ON 23 S 20, ON 27 S 1, ON 28 S 1, ON 31 S 1, ON 33 S 1 und ON 34 S 1).
Indem die Generalprokuratur auf die im Zeitpunkt der Verfügung der Ladung gegebene Erkennbarkeit des Wohnsitzwechsels hinweist, macht sie zutreffend einen Verfahrensmangel in Bezug auf die Annahme ordnungsgemäßer Ladung und solcherart eine Verletzung des § 294 Abs 5 zweiter Satz StPO iVm § 471 StPO geltend (vgl 13 Os 64/09z, SSt 2009/53).
Da nicht auszuschließen ist, dass die Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung in Abwesenheit des Angeklagten zu dessen Nachteil wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00065.17H.0906.000 |
Schlagworte: | Strafrecht |
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