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VfGH vom 11.03.2015, E717/2014

VfGH vom 11.03.2015, E717/2014

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit durch Untersagung der Versammlung "Nein zu Fleisch/Ja zu Vegetarismus" mit einem "Tierkreuzzug" in der Linzer Innenstadt; Verstörung von Kirchenbesuchern durch den Einsatz eines Kreuzes nicht ausreichend

Spruch

I. Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beschwerdeführende Partei meldete am bei der Landespolizeidirektion Oberösterreich einen Demonstrationszug zum Thema "Nein zu Fleisch/Ja zu Vegetarismus" an, der am Nachmittag des (Karsamstag) in der Linzer Innenstadt stattfinden und insbesondere vor mehreren Kirchengebäuden zeitweilig halten sollte. In der Versammlungsanzeige wurde auch ausgeführt, dass hiebei u.a. "Tier- und Todesmasken, diverse Kostüme, kunstblutige Metzgerkleidung, Lendenschurze" und "drei Holzkreuze, die von Aktivisten mit Tiermasken getragen werden", zur Verwendung kommen.

Der geplante Ablauf der Versammlung wurde in der Versammlungsanzeige – wörtlich – wie folgt beschrieben:

"1.)Demostart 13.30 Uhr Bahnhofsplatz, Auftaktkundgebung ca. 10 Min.; 2. Kärtnerstraße, 3.durch den Volksgartenpark (Kundgebung ca. 5-10 Min; der Demozug bewegt sich danach über die Göthekreuzung die Landstraße nach Norden hinauf in Richtung Hauptplatz 2.)Zwischenhalt vor MC Donalds: Landtraße 71-75, ca. 5 – 10 min. 3.)Halt vor Nordsee: Landstrasse 15, ca. 5 min. 4.)Von der Landstraße einbiegen auf die Rudigierstrasse - zur Herrenstraße 5.)Halt vor Neuem Dom (Vorplatz, ca. 10 min) 6.)Halt vor Bischofshof: Herrenstraße 19, Bischofsstrasse zur Landstrasse, ca. 5 min 7.)Halt vor Ursulinenkirche (Landstrasse, ca 5 min.) 8.)Landstrasse weiter Richtung Norden 9.) Von Landstrasse auf Spittelwiese 2 (Halt vor Mrs.Maier Pelze: Spittelwiese 2 bis Landstrasse, ca. 5 min.) 10.)Landstrasse 11.)Halt vor Kleiderbauer, Landstrasse 18, ca. 10 Min.) 12.)Von Landstrasse einbiegen auf Promenade - Neudlinger Pelze (Promenade 27, Halt ca. 5 min.)- 13.)Bis zum Landestheater (Promenade) und dann Klosterstrasse (Fußgängerzone)runter, beim Landhaus vorbei- über Hauptplatz bis Alter Dom (Halt Hauptplatz bis Alter Dom: Domgasse 7, ca. 10 min. 14.)Zurück über Hauptplatz Schmidtorstrasse (Fussgängerzone) - Taubenmarkt (Endkundgebung, ca. 10 min)"

Als voraussichtliche Teilnehmerzahl wurden in der Anzeige ca. 50 Personen angegeben.

2. Am teilte die Versammlungsbehörde der beschwerdeführenden Partei mit, dass die Untersagung der angezeigten Versammlung beabsichtigt sei, da diese den Strafgesetzen zuwiderlaufe und die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährde. Zugleich wurde vorgeschlagen, die Versammlung dahingehend zu modifizieren, dass auf das Mitführen von Holzkreuzen in der geplanten Form sowie auf die Halte vor den Kirchen verzichtet werde.

Diesem Vorschlag ist die beschwerdeführende Partei jedoch nicht gefolgt.

3. Mit Bescheid vom wurde die Versammlung gemäß § 6 Versammlungsgesetz 1953, BGBl 98, (im Folgenden: VersammlungsG) in Verbindung mit Art 11 Abs 2 EMRK untersagt und gemäß § 64 Abs 2 AVG einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Noch am selben Tag zeigte die beschwerdeführende Partei eine Versammlung für den an, die nunmehr auf Halte vor Kirchengebäuden und auf das Mitführen von Holzkreuzen verzichtete und in der geplanten Form auch stattfand.

4. Gegen den Bescheid, mit dem die Versammlung in der am angezeigten Form untersagt wurde, brachte die beschwerdeführende Partei fristgerecht Beschwerde ein.

5. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich diese Beschwerde gemäß § 28 Abs 1 VwGVG in Verbindung mit § 6 VersammlungsG als unbegründet ab und sprach aus, dass hiegegen eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B VG unzulässig sei. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass auf Grund der angezeigten Versammlung eine Gefährdung des öffentlichen Wohls iSd § 6 VersammlungsG zu erwarten gewesen sei. Hiezu stellte das Landesverwaltungsgericht – wörtlich – fest:

"2.4. Die 3. Alternative [des § 6 VersammlungsG] bildet die Gefährdung des öffentlichen Wohls. Hiebei handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der einer differenzierten Betrachtung bedarf. Klar ist dabei zunächst, dass das hier angesprochene Wohl nicht individueller, sondern kollektivierter Natur sein muss, das öffentlich rechtlich geschützt ist. Dabei ist von einem verfassungsstaatlichen Gemeinwohlverständnis auszugehen, das sich an den Gemeinwohlwerten des Grundgesetzes / des Grundrechtskataloges wie Menschenwürde, Freiheit, Rechtssicherheit, Frieden und Wohlstand und damit an den Grundrechten, dem Rechtsstaat-, Sozialstaat- und Demokratieprinzip festmachen lässt. (vgl. Armin: Gemeinwohl und Gruppeninteressen 1977, S. 22 ff.).

Art11 Abs 2 EMRK lässt Einschränkungen der Grundfreiheit dahingehend zu, als sie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Dadurch scheint im Sinne des Gemeinwohls ebenfalls eine Determinierung getroffen, nämlich der Schutz verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich normierter Rechte und Freiheiten öffentlich anerkannter Kollektive. Zur klareren Interpretation des unbestimmten Gesetzesbegriffs 'öffentliches Wohl' bietet sich daher eine verfassungskonforme Interpretation an.

3.1. Gemäß Art 14 StGG ist die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit [j]edermann gewährleistet. Der Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen. (...)

Gemäß Art 63 des Staatsvertrages von St. Germain […] verpflichtet sich Österreich allen Einwohnern ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren. Alle Einwohner Österreichs haben zudem das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.

Gem. Art 9 Abs 1 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) hat jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

Gemäß Art 9 Abs 2 EMRK darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.

3.2. Es sei vorweg angemerkt, dass auf die Problematik der Drittwirkung von Grundrechten hier nicht einzugehen ist, zumal es nicht primär um die Frage der Religionsfreiheit per se geht, sondern um eine verfassungskonforme Interpretation des § 6 VersG. Aus den obzitierten Bestimmungen geht eindeutig hervor, dass sich der Staat zum Schutz der Ausübung der Religionsfreiheit verpflichtet hat. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der 8. Abschnitt des StGB vor § 188 mit der Überschrift: 'Strafbare Handlungen gegen den Religionsfrieden und die Totenruhe' eingeleitet wird. Die Betonung liegt hier auf dem Schutz des religiösen Friedens, also nicht so sehr auf dem individuellen religiösen Gefühl, sondern auf einem kollektivierbaren Schutzgut. Im Sinne der obigen Bemerkungen ist also festzuhalten, dass die Ausübung der Religionsfreiheit und der Schutz des religiösen Friedens fraglos - nach verfassungskonformer Interpretation - unter den Begriff des öffentlichen Wohles zu subsumieren sind.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann die Abhaltung von Versammlungen, durch die Interessen Dritter an einer ungestörten Religionsausübung gefährdet werden, untersagt werden (vgl. ).

'Nun untersagt Art 9 EMRK nicht bloß dem Staat selbst in die Religionsfreiheit ohne Rechtfertigung im Sinn des Art 9 Abs 2 EMRK einzugreifen, sondern verpflichtet ihn auch zum Schutze rechtmäßiger Religionsausübung gegen gezielte Störungen von dritter Seite (vgl. die zu Art 11 EMRK ergangene Entscheidung VfSlg 12.501/1990 sinngemäß). Art 11 Abs 2 EMRK lässt staatliche Eingriffe in die grundrechtlich gewährleistete Versammlungsfreiheit auf gesetzlicher Grundlage zu, wenn dies in einer demokratischen Gesellschaft ua zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zu[m] Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Zu den Rechten und Freiheiten anderer iSd Art 11 Abs 2 EMRK zählt zweifellos auch das Recht auf ungestörte Religionsausübung, wie es Art 9 EMRK grundrechtlich absichert und die einfachgesetzliche Rechtsordnung vielfach anerkennt.'

Es ist sohin in der Folge zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Ausübung der Religionsfreiheit oder der religiöse Friede unverhältnismäßig durch die geplante Versammlung gefährdet wurden.

4.1. Die hier zu treffende Entscheidung stellt sich als Prognoseentscheidung dar, die die Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hatte. Dabei hatte die Behörde abzuwägen, ob die mit der Versammlung verbundenen Beeinträchtigungen im Interesse der Versammlungsfreiheit von der Öffentlichkeit hinzunehmen gewesen wären (vgl. zB ). Die Behörde hatte ihre (Prognose-) Entscheidung aufgrund konkret festgestellter, objektiv erfassbarer Umstände zu treffen (vgl. zB VfSlg 5087/1965).

Bei der von der Behörde zu treffenden Prognoseentscheidung kommt es nicht nur auf die Absichten des Veranstalters, sondern auch auf die realistische und nachvollziehbare Einschätzung des zu erwartenden Geschehnisablaufes an.

4.2. Wie oben schon als allgemein bekannt vorausgesetzt, wird von sämtlichen christlichen Kirchen bzw. kirchlichen Gemeinschaften (wenn auch nicht generell von allen an den kalendarisch identen Zeitpunkten - vgl. etwa teils unterschiedliche zeitliche Zuordnung bei der orthodoxen Kirche, wobei gerade im Jahr 2014 hier keine Unterschiede bestanden) des unmittelbar mit dem Kreuzestod Jesu Christi verbundenen göttlichen Heilsereignisses gedacht und dieses durch die verschiedensten religiösen Riten und Feiern begangen, wobei die 'Karliturgie' primär beim gründonnerstäglichen Abendmahl verstärkt einsetzt und sich über den Karfreitag (höchster Feiertag etwa der evangelischen Kirche) bis zu den in der Osternacht stattfindenden Auferstehungsfeiern kumuliert. Nicht nur nach katholischem Verständnis ist der Karsamstag der "Grabesruhe" und damit verbunden der inneren Sammlung gewidmet, wobei besonders an diesem Tag von den Kirchen Grabeswachen, Gebetsstunden (wie z. B. im Linzer Neuen Dom, was von der Behörde im Bescheid angeführt wurde) angeboten und auch regelmäßig frequentiert werden. Gleiches gilt für die traditionell an diesem Tag von den Kirchen verstärkt angebotene Osterbeichte, zu der die Gläubigen - in der Regel während des gesamten Tages - eingeladen sind. Zentrales Thema ist in dieser Zeit vor allem der Kreuzweg Jesu, dessen ebenfalls in mannigfältiger Weise gedacht wird.

Vom Verein *********** wurde als Versammlungszweck der zweifelsohne völlig unbedenkliche und zu fördernde Tierschutz genannt, was auch durch den Titel 'Nein zu Fleisch! Ja zu Vegetarismus!' verdeutlicht werden soll. Angesichts der Konzeption der Versammlung, der beabsichtigten Route und nicht zuletzt auch angesichts der in der Beschwerde geäußerten Intention und Stoßrichtung, tritt zu diesem 'primär' angegebenen Zweck ohne jeden Zweifel der Zweck einer intensiven Auseinandersetzung mit der Haltung und der rechtlichen Stellung der katholischen Kirche speziell (wie auch von Religionsgemeinschaften generell). Neben dem Bischofshof sollten beinahe sämtliche innenstädtische Kirchen für Kundgebungen berührt werden. Folgt man der Beschwerdeschrift, erhält man einen tieferen Einblick in Dokumente und Schriften von Kirche und Islam sowie in die explizit geäußerte Ablehnung des Vorrechtes von Religionen, gegenüber von Weltanschauungen mit der Forderung das Strafrecht diesbezüglich zu bereinigen.

Verbunden mit der geplanten Ausstattung der Demonstrationsteilnehmerinnen und Teilnehmer, die bewusst ua. mit Tierköpfen maskiert (blutverschmiert) an Holzkreuze gefesselt auftreten sollten, liegt für jedermann die Assoziation mit dem Kreuzweg Jesu Christi auf der Hand, was im Übrigen ja wohl auch 'gezielt' beabsichtigt ist, wenn man der im Internet lancierten Einladung zur Versammlung folgt.

Die Assoziation des gegeißelten, dornengekrönten Gottessohnes mit Tiergestalten ist aber fraglos dazu geeignet kollektivierte religiöse Gefühle, also das öffentliche Wohl in Form des religiösen Friedens massiv zu beeinträchtigen. Es würde dabei wenig helfen, mit Flugblättern udgl. weitere Informationen anzubieten, da der visuell gewonnene Eindruck dadurch wohl nicht abgemildert werden könnte.

4.3. Nach § 6 VersG bedarf es aber nicht nur einer Beeinträchtigung des öffentlichen Wohls, sondern dessen Gefährdung, um einen Eingriff in das Grundrecht zu legitimieren. Es ist sohin zu erörtern, ob im hier zu beurteilenden Fall eine Gefährdung des religiösen Friedens gedroht haben würde.

Eine derartige Gefährdung ist gegeben.

Diese Feststellung gründet sich zunächst auf die terminliche Festlegung der Versammlung am Karsamstag und damit verbunden auf die besondere Bedeutung des Kreuzes, des Kreuzweges und der inneren Sammlung an diesem Tag. Es kann davon ausgegangen werden, dass zahlreiche gläubige Katholiken beim Zu- und Weggehen von den diversen Kirchen mit dem Demonstrationszug konfrontiert und zutiefst verstört worden wären. Vergleichbar dazu hat, wie oben angeführt, der Verfassungsgerichtshof das traditionelle christliche Totengedenken zu Allerheiligen auf Friedhöfen insgesamt als religiösen Gebrauch durch Art 9 EMRK grundrechtlich geschützt angesehen. Es ist auch anzunehmen, dass diese Konfrontation zu massiven Diskussionen geführt haben würde, wobei mitunter Situationen hätten provoziert werden können, die die öffentliche Sicherheit zu tangieren sehr wohl geeignet gewesen wären. Dabei würde dies nur eine unzureichende Abschwächung dargestellt haben, wenn die Tiermasken vor den Kirchen abgenommen worden wären oder ein gewisser Respektabstand eingehalten worden wäre. Anders würde es sich bei dem - von der belangten Behörde vorgeschlagenen [-] von den Veranstaltern abgelehnten Verzicht auf Holzkreuze udgl. verhalten haben. Es ist hier also das Maß der Gefährdung des öffentlichen Wohles voll erreicht.

Der Eingriff in die Versammlungsfreiheit war also unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit ebenfalls gerechtfertigt."

6. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere in Rechten gemäß Art 12 StGG sowie Art 10, 11 und 14 EMRK, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Begründend wird – zusammengefasst – wie folgt ausgeführt:

"Art9 der EMRK versteht unter Religionsfreiheit die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche, auszuüben. Keine dieser Freiheiten wäre durch die Abhaltung der geplanten Versammlung eingeschränkt worden. […]

Das LVWG führt richtigerweise an, dass Art 11(2) EMRK Einschränkungen der Grundfreiheit des Versammlungsrechtes dahingehend zulässt, als sie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Welche Rechte und Freiheiten durch die geplante Versammlung gefährdet worden wären und daher geschützt hätten werden müssen, bleibt allerdings weitgehend im Dunkeln. Der religiöse Friede im Sinne des StGB wäre keinesfalls gefährdet gewesen. Eine unter dieser Grenze liegende Störung bildet selbst nach den Ausführungen des LVWG keine Gefährdung des öffentlichen Wohles. Jede Kritik an der christlichen Ideologie muss wegen der nachfolgenden Diskussionen eine Art religiösen Unfrieden erzeugen. Wollte man daran Verbote knüpfen, würgte man jede Kritik und Diskussion ab.

[…]

Hier wird wieder die Unterstellung deutlich, dass der BF vorsätzlich und absichtlich, also gezielt, irgendeine Religionsausübung stören wollte. Das ist nicht der Fall. In Wirklichkeit wäre keine Religionsausübung gestört worden. Das Zu- und Abgehen von Gläubigen in die und aus der Kirche kann wohl nicht als Religionsausübung betrachtet werden." (Zitat ohne die im Original enthaltene Hervorhebung)

7. Das Landesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte im Übrigen, die vorliegende Beschwerde abzuweisen, in eventu abzulehnen.

II. Rechtslage

§6 VersammlungsG, BGBl 98/1953, lautet wie folgt:

"Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. In der Sache:

2.1. Ein Eingriff in das durch Art 11 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet wurde; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Entscheidung mit einem so schweren Fehler belastet ist, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise ein verfassungswidriger, insbesondere ein dem Art 11 Abs 1 EMRK widersprechender und durch Art 11 Abs 2 EMRK nicht gedeckter Inhalt unterstellt wurde (vgl. zuletzt VfSlg 19.818/2013 mwN zur Rechtsprechung zu Art 8 EMRK).

§6 VersammlungsG sieht vor, dass Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen sind. Für die Auflösung der Versammlung selbst und mehr noch für eine auf § 6 VersammlungsG gestützte Untersagung im Vorfeld des Stattfindens einer Versammlung ist (ebenso wie bei der Frage, ob eine Versammlung iSd Art 11 EMRK vorliegt) eine strengere Kontrolle geboten. Diese Maßnahmen beinträchtigen die Freiheit der Versammlung in besonders gravierender Weise und berühren den Kernbereich des Grundrechts. Sie sind daher nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann (vgl. VfSlg 19.741/2013; ).

2.2. Die beschwerdeführende Partei hat für den Karsamstag 2014 einen – unter I.1. im Detail dargelegten – "Marsch" durch die Linzer Innenstadt, der auch kurze Halte auf Kirchenvorplätzen vorsah, angezeigt.

2.3. Im Zuge des Kontaktes zwischen der Versammlungsbehörde und den Veranstaltern gab der Obmann des beschwerdeführenden Vereins – wie einem Aktenvermerk der Versammlungsbehörde vom zu entnehmen ist – gegenüber der Versammlungsbehörde an, dass diese Kundgebung auch als "Kritik an der Haltung der römisch-katholischen Kirche zum Schutz der Tiere" zu verstehen sei. Auf wesentliche Bestandteile der Demonstration, insbesondere auf einzelne Requisiten, könne daher nicht verzichtet werden.

Auch geht aus dem – dem Verwaltungsakt inliegenden – Schriftverkehr zwischen der Behörde und dem Anzeiger der Versammlung hervor, dass ähnliche Kundgebungen in der Vergangenheit zwar Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen (Herabwürdigung religiöser Lehren gemäß § 188 StGB) waren, diese jedoch stets eingestellt wurden.

2.4. Gegen den genannten Untersagungsbescheid hat der beschwerdeführende Verein berufen. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich stellt in seinem die Untersagung dieser Versammlung bestätigenden Erkenntnis – zusammengefasst – fest, dass die Kundgebung eine Gefährdung des öffentlichen Wohls iSd § 6 VersammlungsG bewirke, da diese am Karsamstag und in der beabsichtigten Form, insbesondere durch das Mitführen von Holzkreuzen, die von kostümierten Versammlungsteilnehmern getragen werden, geeignet sei, das Recht auf ungestörte Religionsausübung gemäß Art 9 EMRK, das zu den "Rechten und Freiheiten anderer" iSd Art 11 Abs 2 EMRK zähle, "massiv zu beeinträchtigen". Die Untersagung sei daher gerechtfertigt und verhältnismäßig gewesen.

2.5. Nachdem das Landesverwaltungsgericht die Gefahr, dass die angezeigte Versammlung den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die öffentliche Sicherheit gefährden könnte, verneinte, kam es nach näherer – unter I.5. wiedergegebener Begründung – mit folgenden Worten zum Schluss, dass die Untersagung der Versammlung zur Vermeidung der Gefährdung des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sei:

"Eine derartige Gefährdung ist gegeben.

Diese Feststellung gründet sich zunächst auf die terminliche Festlegung der Versammlung am Karsamstag und damit verbunden auf die besondere Bedeutung des Kreuzes, des Kreuzweges und der inneren Sammlung an diesem Tag. Es kann davon ausgegangen werden, dass zahlreiche gläubige Katholiken beim Zu- und Weggehen von den diversen Kirchen mit dem Demonstrationszug konfrontiert und zutiefst verstört worden wären. Vergleichbar dazu hat, wie oben angeführt, der Verfassungsgerichtshof das traditionelle christliche Totengedenken zu Allerheiligen auf Friedhöfen insgesamt als religiösen Gebrauch durch Art 9 EMRK grundrechtlich geschützt angesehen. Es ist auch anzunehmen, dass diese Konfrontation zu massiven Diskussionen geführt haben würde, wobei mitunter Situationen hätten provoziert werden können, die die öffentliche Sicherheit zu tangieren sehr wohl geeignet gewesen wären. Dabei würde dies nur eine unzureichende Abschwächung dargestellt haben, wenn die Tiermasken vor den Kirchen abgenommen worden wären oder ein gewisser Respektabstand eingehalten worden wäre. Anders würde es sich bei dem - von der belangten Behörde vorgeschlagenen [-] von den Veranstaltern abgelehnten Verzicht auf Holzkreuze udgl. verhalten haben. Es ist hier also das Maß der Gefährdung des öffentlichen Wohles voll erreicht."

2.6. Gemäß § 6 VersammlungsG sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde (§16 leg.cit.) – bescheidmäßig – zu untersagen. Die Behörde ist hiezu jedoch nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Gründe notwendig ist. Die Behörde hat, wenn sie eine Untersagung der Versammlung in Betracht zieht, die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen (vgl. zB VfSlg 10.443/1985, 12.257/1990).

2.7. Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Untersagung der Versammlung vorliegen, ist in einer sogenannten "Prognoseentscheidung" zu beantworten. Die Behörde hat nämlich auf Grund konkret festgestellter, objektiv erfassbarer Umstände zu prognostizieren, ob und weshalb bei Abhaltung der Versammlung etwa die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet werden (vgl. zB VfSlg 5087/1965 und 16.054/2000).

2.8. Der hier zu treffenden Entscheidung ist voranzustellen, dass der Verfassungsgerichtshof im Einklang mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auch die Ausübung von Religion und Weltanschauung als durch Art 9 EMRK geschützt erachtet, wobei darunter auch die Ausübung eines religiösen Brauchs zu verstehen ist.

2.9. So hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 16.054/2000 das traditionelle christliche Totengedenken zu Allerheiligen auf Friedhöfen als religiösen Brauch, der durch Art 9 EMRK grundrechtlich geschützt ist, verstanden, woraus sich auch ergibt, dass der Staat verpflichtet ist, zum Schutz rechtmäßiger Religionsausübung gegen gezielte Störungen von dritter Seite einzugreifen. Dies könne auch nach einer entsprechenden Abwägung durch die Untersagung der Versammlung, die das Totengedenken stört, geschehen.

2.10. Diese Einschätzung teilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Erkenntnis vom , Fall Öllinger , Appl. 76.900/01, ÖJZ2007, 79 (81) nicht; er hebt Folgendes wörtlich hervor:

"Die Versammlung des Bf beabsichtigte eindeutig als Gegendemonstration gegen das Treffen der Kameradschaft IV, einer Vereinigung, welche unbestrittenermaßen tatsächlich aus früheren Mitgliedern der SS besteht, aufzutreten. Der Bf betonte, dass der Hauptzweck seiner Versammlung darin bestand, die Öffentlichkeit an die Verbrechen zu erinnern, welche von der SS begangen wurden, und der von ihr ermordeten Salzburger Juden zu gedenken. Das Zusammenfallen in Zeit und Ort mit der Gedenkveranstaltung der Kameradschaft IV war ein wesentlicher Teil der Botschaft, die er zu übermitteln wünschte. […]

Nach Ansicht des GH ist die bedingungslose Untersagung einer solchen Demonstration eine sehr weitreichende Maßnahme, die einer besonderen Rechtfertigung bedarf, umso mehr, als der Bf als Parlamentsabgeordneter im Wesentlichen wünschte, gegen das Treffen der Kameradschaft IV zu protestieren, und auf diese Weise eine Meinung über einen Gegenstand öffentlichen Interesses zum Ausdruck zu bringen […]. Der GH findet es bemerkenswert, dass die innerstaatlichen Behörden diesem Aspekt des Falls kein Gewicht zumaßen. […]

Es ist unbestritten, dass das Ziel des Schutzes des Treffens der Kameradschaft IV keine ausreichende Rechtfertigung für die bekämpfte Untersagung darstellt. Dies wurde vom VfGH klar zum Ausdruck gebracht. Der GH stimmt mit dieser Position voll überein. […]

Es bleibt daher nur zu prüfen, ob die Untersagung gerechtfertigt war, um das Recht der Friedhofbesucher auf Ausübung ihrer Religion zu schützen. [...]

Der GH stellt jedoch eine Reihe von Faktoren fest, welche darauf hinweisen, dass die in Rede stehende Untersagung gegenüber dem verfolgten Ziel unverhältnismäßig war. Zuallererst richtete sich die Versammlung in keiner Weise gegen die religiösen Überzeugungen der Friedhofsbesucher oder deren Ausübung. Außerdem erwartete der Bf nur eine kleine Anzahl von Teilnehmern. Sie sahen friedliche und stillschweigende Mittel vor, um ihre Meinung auszudrücken, nämlich das Tragen von Erinnerungsbotschaften und sie hatten ausdrücklich Sprechchöre und Transparente als Mittel ausgeschlossen. Somit konnte die angestrebte Versammlung als solche nicht die Gefühle von Friedhofsbesuchern verletzen. Im übrigen befürchteten die Behörden zwar, dass, wie in früheren Jahren, hitzige Debatten ausbrechen könnten, es wurde aber nicht behauptet, dass sich bei früheren Gelegenheiten irgendwelche gewalttätigen Vorfälle ereignet hätten. […]

Unter diesen Umständen ist der GH nicht überzeugt von der Argumentation der Regierung, dass die Zulassung beider Versammlungen, [...] keine gangbare Alternative gewesen wäre, die das Recht des Bf auf Versammlungsfreiheit gewahrt hätte und, bei Ergreifen von Vorbeugungsmaßnahmen, gleichzeitig ein ausreichendes Maß an Schutz geboten hätte, was die Rechte der Friedhofsbesucher anlangt. […]

Stattdessen sprachen die innerstaatlichen Behörden eine bedingungslose Untersagung der Versammlung des Bf aus. Der GH findet daher, dass sie dem Interesse des Bf, die gewünschte Versammlung abzuhalten und seinen Protest gegen das Treffen der Kameradschaft IV zum Ausdruck zu bringen, zu wenig Gewicht beimaßen, während sie dem Interesse der Friedhofsbesucher am Schutz gegen einige ziemlich begrenzte Störungen zu viel Gewicht beimaßen. […]

Unter Bedachtnahme auf diese Faktoren und ungeachtet des Beurteilungsspielraums, der dem Staat in diesem Bereich eingeräumt ist, erachtet der GH, dass die österr Behörden es verabsäumt haben, ein faires Gleichgewicht zwischen den widerstreitenden Interessen herzustellen. […]

Demgemäß hat eine Verletzung des Art 11 MRK stattgefunden."

2.11. Übertragen auf die hier zu beurteilende Frage, nämlich ob das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zu Recht die Untersagung der Versammlung alleine mit der Gefährdung des "öffentlichen Wohls" iSd § 6 VersammlungsG rechtfertigte, ergeben sich im vorliegenden Fall folgende Schlussfolgerungen:

2.11.1. Der Verfassungsgerichtshof ist vorerst der Auffassung, dass der Karsamstag und die an diesem Tag traditionellen christlichen Feierlichkeiten ebenso wie das Totengedenken zu Allerheiligen als religiöser Gebrauch durch Art 9 EMRK grundrechtlich geschützt sind. Diese Religionsausübungsfreiheit gegen gezielte Störungen durch Dritte zu schützen, ist der Staat verpflichtet.

2.11.2. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Erkenntnis Lautsi ua. (EGMR [GK], Appl. 30.814/06, EuGRZ2011, 677 [684]) wörtlich wie folgt ausgeführt:

"In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Staaten dafür verantwortlich sind, in neutraler und unparteiischer Weise sicherzustellen, dass verschiedene Religionen, Glaubensrichtungen und Überzeugungen ausgeübt werden können. Es ist ihre Aufgabe, dazu beizutragen, dass die öffentliche Ordnung sowie religiöser Friede und Toleranz in einer demokratischen Gesellschaft, insbesondere zwischen gegnerischen Gruppen erhalten bleiben […]. Dies betrifft gleichermaßen die Beziehungen zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen wie auch diejenigen zwischen den Anhängern verschiedener Religionen, Glaubensrichtungen und Überzeugungen."

2.11.3. Dass diese Verpflichtung des Staates nach Lage des Falles nach der gemäß Art 11 Abs 2 EMRK verpflichtend vorgesehenen Durchführung der Interessensabwägung auch zur Untersagung einer Versammlung bzw. Kundgebung führen kann, steht ebenfalls außer Streit. Bei widerstreitenden Interessen haben die zuständigen Behörden eine Interessensabwägung verpflichtend durchzuführen.

2.11.4. Das Landesverwaltungsgericht ist bei dieser verpflichtenden Interessensabwägung – in Entsprechung auch der Auffassung der Versammlungsbehörde – zum Ergebnis gelangt, dass eine Untersagung der Versammlung in der vorgesehenen Form deshalb zu erfolgen habe, weil die an diesem Tag "zahlreichen gläubigen Katholiken beim Zu- und Weggehen von den diversen Kirchen mit dem Demonstrationszug konfrontiert und zutiefst verstört worden wären".

2.11.5. Diese prognostizierte vermeintliche "Verstörung" scheint aus der Sicht des Landesverwaltungsgerichtes jedoch einen Grad der Verstimmtheit zu erzeugen, der die Gefährdung des öffentlichen Wohls iSd § 6 VersammlungsG erreiche und daher – so anscheinend – die Untersagung der Kundgebung zum Schutz der ungestörten Ausübung der Religionsfreiheit verlange.

2.12. Diese Interessensabwägung vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu teilen:

2.12.1 Vorauszuschicken ist, dass nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gemäß Art 9 EMRK unter dem Titel "Religionsausübungsfreiheit" auch der Schutz religiöser Gefühle vor Beleidigung durch Dritte zu verstehen ist.

2.12.2. Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geht es in seinen Urteilen aber nicht oder gerade nicht um Beschränkungen inhaltlicher Kritik, sondern bloß um die Art und Weise, wie diese inhaltliche Kritik vorgetragen wird. Es scheint ihm gerade darum zu gehen, dass nicht nur subjektive Empfindungen einzelner Personen geschützt werden, sondern vielmehr darum, ob durch eine Versammlung, die zeitgleich mit der Ausübung der Religionsfreiheit gemäß Art 9 EMRK erfolgt, der "religiöse Friede" insgesamt gefährdet wird.

2.12.3. Die Gefährdung des "religiösen Friedens" will der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem weiten Sinn verstanden wissen, nämlich der Gefährdung der Aufrechterhaltung der Ordnung des Gemeinschaftslebens (vgl. dazu Grabenwarter , Filmkunst im Spannungsfeld zwischen Freiheit der Meinungsäußerung und Religionsfreiheit, ZaöRV 1995, 128 [149]).

2.13. Übertragen auf die hier zu treffende Abwägungsentscheidung, bedeutet dies, die Frage zu beantworten, ob durch die mit der Ausübung des religiösen Brauchs der Katholiken zeitlich zusammenfallende Durchführung eines "Tierkreuzzuges" unter Verwendung des Symbols des Kreuzes in Kombination mit Kunstblut und Tiermasken, also durch die Art und Weise der Kundgebung, eine Schwelle erreicht wird, die die Aufrechterhaltung der Ordnung des Gemeinschaftslebens, also den religiösen Frieden derart gefährdet, dass dies die Untersagung dieser Kundgebung rechtfertigen bzw. gebieten kann.

2.14. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Erkenntnis im Fall Öllinger (siehe oben III.2.10.) und in darauf folgenden Entscheidungen (vgl. zB EGMR , Fall Navalnyy ua., Appl. 76.204/11) hervorgehoben hat, sind bei der Untersagung von Versammlungen zudem auch sämtliche Aspekte des Einzelfalles zu prüfen. Dann und nur dann kann die Untersagung gerechtfertigt sein.

2.15. Der hier vorliegende "Tierkreuzzug" mit ca. 50 teilnehmenden Personen sollte in der gesamten Linzer Innenstadt stattfinden, darunter auch an Kirchenvorplätzen; eine physische Behinderung der Kirchenbesucher – so das der Versammlungsbehörde folgende Landesverwaltungsgericht – war nicht zu erwarten; auch war nicht zu erwarten, dass die Versammlungsteilnehmer die Ausübung der religiösen Überzeugungen der Kirchenbesucher dadurch hindern, dass sie den Zutritt zur Kirche versperren, oder eine derart lärmende Kundgebung vorsahen, dass die Kirchenbesucher an der Ausübung des Glaubens behindert oder in der Übung erheblich gestört würden. Es ging allerdings schon darum, gerade sie auf das Leid von Tieren hinzuweisen; es mag auch zutreffen, dass dies durch den Einsatz von Symbolen in einer Weise erfolgen sollte, die Kirchenbesucher "verstört".

2.16. Was die Route der Kundgebung und die Zwischenhalte auch auf Kirchenvorplätzen anbelangt, genügt es auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 15.170/1998 und 15.952/2000 (zur Distanz zwischen Demonstranten und Hauptadressaten der Demonstration) zu verweisen, aus denen deutlich wird, dass die Untersagung einer Versammlung nicht durch die Befürchtung gerechtfertigt werden kann, dass einem Adressaten in räumlicher Nähe demonstrativ Meinungen zur Kenntnis gebracht würden, die von diesem missbilligt oder abgelehnt werden.

2.17. Was die Verwendung des Kreuzes im Rahmen der vorliegenden Versammlung betrifft, hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 19.349/2011 (Anbringung von Kreuzen in NÖ Kindergärten) festgehalten, dass das "Kreuz […] ohne Zweifel zu einem Symbol der abendländischen Geistesgeschichte geworden" ist, aber die "Deutung des Symbols des Kreuzes dahingehend, dass es als Ausdruck eines Staatskirchentums verstanden werden kann" ausscheidet.

2.18. Dies beachtend und unter der Maßgabe, dass in einem demokratischen, von der Freiheit der Ausübung aller Grundrechte geprägten Rechtsstaat sichergestellt sein muss, dass Überzeugungen im Rahmen der Gesetze Ausdruck verliehen werden kann, geht der Verfassungsgerichtshof daher davon aus, dass auch die Verwendung des Kreuzes bei Versammlungen als Mittel zu Kritik und Diskurs zulässig ist. Überschreitet der Einsatz dieses Mittels die von § 188 StGB normierte Schwelle, dann ist die Gefährdung auch des öffentlichen Wohls iSd § 6 VersammlungsG gegeben und die Untersagung einer derartigen Kundgebung nicht nur zulässig, sondern sogar geboten.

2.19. Die Untersagung der Versammlung – das Landesverwaltungsgericht hat sowohl eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit als auch die Verletzung von Strafgesetzen verneint – bloß auf den Einsatz eines Kreuzes als Symbol in örtlicher Nähe von Kirchen und die dadurch möglicherweise hervorgerufene "Verstörung" von Kirchenbesuchern zu stützen, reicht nicht aus.

IV. Ergebnis

1. Die beschwerdeführende Partei ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.

Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E717.2014