VfGH vom 14.10.2005, b47/05

VfGH vom 14.10.2005, b47/05

Sammlungsnummer

17680

Leitsatz

Diskriminierung gleichgeschlechtlicher haushaltsführender Hausgenossen durch die Mitversicherung lediglich andersgeschlechtlicher Partner in der Krankenversicherung; kein Abstellen auf das Vorhandensein von Kindern; keine sachliche Rechtfertigung dieser Differenzierung nach dem Geschlecht bzw nach der sexuellen Orientierung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; Aufhebungsumfang abgestellt auf die Vermeidung rechtspolitischer Entscheidungen des Gerichtshofes betreffend die Definition des Angehörigenbegriffs

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze bzw. gesetzwidriger Verordnungen in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 4.320 €

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu erstatten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Beschwerdeführer ist als Dienstnehmer in der Krankenversicherung nach dem ASVG pflichtversichert und beantragte im Juli 2004 bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse die Anerkennung der Anspruchsberechtigung seines Lebensgefährten als Angehörigen im Sinne des § 123 Abs 8 litb ASVG. Gleiches beantragte er unter Berufung auf § 83 Abs 8 GSVG bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft im Hinblick auf die Pflichtversicherung als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH.

Mit den angefochtenen Bescheiden des Landeshauptmannes von Niederösterreich wird seinen Einsprüchen gegen die abweisenden Bescheide der Sozialversicherungsträger keine Folge gegeben. Die bezogenen Vorschriften sähen (unter den näher festgelegten Bedingungen) nur die Anspruchsberechtigung andersgeschlechtlicher Personen vor.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, die die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen sowie gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen behaupten und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehren.

Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof nach Art 139 Abs 1 und Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des § 22 der Satzung 2003 der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, Verlautbarung Nr. 5/2003, sowie des § 12 der Satzung 2003 der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Verlautbarung Nr. 61/2003 und der Verfassungsmäßigkeit des § 123 Abs 8 litb des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 282/1981, sowie des § 83 Abs 8 Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 560/1978, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 643/1989 ein. Mit Erkenntnis vom , G87-88/05, V65-66/05, hob er die Bestimmungen als gesetz- bzw. verfassungswidrig auf.

II. Die Beschwerden sind - wie sich aus dem Erkenntnis im Normenprüfungsverfahren ergibt - zulässig. Sie sind aber im Ergebnis nicht begründet:

Die Entscheidung über die Beschwerden hat gemäß Art 139 Abs 6 bzw. Art 140 Abs 7 B-VG nach der bereinigten Rechtslage zu erfolgen. Mit dem Wegfall der aufgehobenen Bestimmungen ist aber die Grundlage der Mitversicherung nicht verwandter Personen weggefallen.

Die Beschwerden sind daher abzuweisen (§19 Abs 4 erster Satz und Z 2 VfGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Da die Beschwerden insoweit Erfolg hatten, als sie zur Aufhebung der in den Beschwerdefällen präjudiziellen Bestimmungen geführt haben, ist dem Beschwerdeführer der Ersatz der Prozesskosten zuzusprechen (vgl. zB VfSlg. 6505/1971, 14.682/1996, 16.787/2003). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 720 € enthalten. Ein Zuspruch der Eingabengebühr in der Höhe von 360 € kam nicht in Betracht, da für Schriftsätze in Angelegenheiten dieser Art § 110 ASVG bzw. § 46 GSVG die sachliche Abgabenfreiheit anordnet.