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OGH vom 07.06.2016, 10ObS8/16y

OGH vom 07.06.2016, 10ObS8/16y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Hoch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15 19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 38/15i 25, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 24 Cgs 182/13z 20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts im Umfang der Klagestattgebung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR bestimmten Kosten der Revision (davon 62,28 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die 1982 geborene Klägerin ist georgische Staatsbürgerin. Ihr war zuletzt vom Amt der Wiener Landesregierung eine bis befristete Aufenthaltsbewilligung gemäß § 8 Abs 1 Z 10 iVm § 63 NAG mit dem Aufenthaltszweck „Schüler“ erteilt worden. Sie beantragte am beim Amt der Wiener Landesregierung die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels. Über den Verlängerungsantrag wurde noch nicht entschieden.

Die Bundespolizeidirektion Wien hatte mit Bescheid vom nach § 60 Abs 1 und Abs 2 Z 8 iVm § 63 Abs 1 FPG idgF über die Klägerin ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Über die dagegen von der Klägerin erhobene Berufung bestätigte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien mit Berufungsbescheid vom diesen Bescheid mit der Maßgabe, dass anstelle des auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Aufenthaltsverbots eine Rückkehrentscheidung getroffen und ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot ausgesprochen wurde (§ 52 Abs 1 iVm § 53 Abs 1 und Abs 3 Z 6 FPG 2005 idF BGBl I 2011/38). Der Berufungsbescheid wurde dem anwaltlichen Vertreter der Klägerin am zugestellt. Die Klägerin erhob dagegen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser gab dem Antrag der Klägerin, ihrer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, mit Beschluss vom statt. Dieser Beschluss wurde dem anwaltlichen Vertreter der Klägerin am zugestellt. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde noch nicht entschieden.

Am brachte die Klägerin ihren Sohn N***** zur Welt, der georgischer Staatsbürger ist. Am beantragte die Klägerin bei der Beklagten aus Anlass der Geburt ihres Sohnes die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in der Leistungsart nach § 3 Abs 1 KBGG. Die beklagte Partei entschied über diesen Antrag nicht.

Mit der am eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld anlässlich der Geburt ihres Sohnes N***** im Sinne des bei der beklagten Partei gestellten Leistungsantrags. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes seien erfüllt. Die Klägerin halte sich nach dem NAG rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weil sie fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels gestellt habe, sodass sich die Gültigkeit der zuletzt erteilten Aufenthaltsbewilligung von Gesetzes wegen verlängere. Der Vater des Kindes und das Kind seien asylberechtigt und damit zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigt.

Die Beklagte beantragte – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht sprach der Klägerin Kinderbetreuungsgeld in der begehrten Höhe für den Zeitraum vom bis und für den Zeitraum von bis zu. Das Mehrbegehren wies es unbekämpft ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, da die Klägerin ihren Antrag auf Gewährung von Kinderbetreuungsgeld erst am gestellt habe, komme eine rückwirkende Leistungsgewährung nach Maßgabe des § 4 Abs 2 KBGG lediglich für den Zeitraum ab dem in Betracht. Die Anspruchsvoraussetzung des rechtmäßigen Aufenthalts im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 KBGG im Zeitraum bis einschließlich und wiederum ab dem erfülle die Klägerin infolge ihres rechtzeitigen Verlängerungsantrags. Lediglich im Zeitraum zwischen 30. 1. und sei der Klägerin aus derzeitiger Sicht (vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über ihre Beschwerde) infolge der Wirkungen der (formellen) Rechtskraft des am zugestellten Bescheids des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom kein Aufenthaltsrecht zugekommen. Die durch diesen Bescheid bewirkte Ungültigkeit des Aufenthaltstitels der Klägerin sei durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Verwaltungsgerichtshofs beschwerde suspendiert worden und das Aufenthaltsrecht der Klägerin vorläufig mit der Zustellung des Zuerkennungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofs wiederaufgelebt. Der Bezug von Familienbeihilfe für den in Betracht kommenden Anspruchszeitraum sei mangels substanziierter Bestreitung als unstreitig anzusehen. Die beklagte Partei habe keine weiteren Umstände vorgebracht, die gegen einen Leistungsanspruch der Klägerin sprechen.

Das Berufungsgericht gab der nur von der beklagten Partei gegen das Urteil des Erstgerichts erhobenen Berufung Folge und wies das Klagebegehren in dem vom Erstgericht für berechtigt erachteten Umfang ab. § 2 Abs 1 Z 5 KBGG fordere als Voraussetzung für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht nur einen rechtmäßigen Aufenthalt, sondern einen solchen nach dem im vorliegenden Fall relevanten § 8 NAG.§ 8 NAG normiere als Aufenthalts und Niederlassungsberechtigungen die Arten und Form der Aufenthaltstitel, in denen sie erteilt werden. Diese Bestimmung sehe daher die Erteilung eines Aufenthaltstitels vor. § 2 Abs 1 Z 5 KBGG knüpfe also an die Existenz einer Entscheidung über einen rechtmäßigen Aufenthalt nach § 8 NAG an. Möge sich die Klägerin auch aufgrund der zuerkannten aufschiebenden Wirkung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nach § 24 NAG (zeitweise) rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben, so habe das Beweisverfahren aber nicht ergeben, dass der Klägerin (nach Ablauf der Befristung des bis dahin erteilten Aufenthaltstitels) für den noch verfahrensgegenständlichen Zeitraum ein solcher Aufenthaltstitel nach § 8 NAG erteilt worden wäre.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 2 Abs 1 Z 5 KBGG in einer vergleichbaren Fallgestaltung fehlt. Sie ist auch berechtigt.

1. Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, ihr rechtzeitiger Verlängerungsantrag habe zu einer Perpetuierung des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts geführt, der durch den zuletzt erteilten Aufenthaltstitel eingeräumt worden sei. Der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel wirke infolge des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags über die ursprüngliche Gültigkeitsdauer hinaus weiter. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Dauer des Verlängerungsverfahrens sehe das Gesetz nicht vor.

2. Die beklagte Partei führt in ihrer Revisionsbeantwortung aus, nach dem liege kein Aufenthaltstitel nach § 8 NAG für die Klägerin, sondern nur ein „vorübergehendes Bleiberecht“ nach § 24 NAG während des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens vor, sodass die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 5 KBGG nicht erfüllt seien. Ein „vorübergehendes Bleiberecht“ nach § 24 NAG reiche nicht für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld aus, könnte sich doch sonst ein Widerspruch zur Anspruchsvoraussetzung „Lebensmittelpunkt“ ergeben. Entscheidungen der Fremdenpolizei hätten Vorrang, weshalb nach Verhängung eines Aufenthaltsverbots über die Klägerin am nie ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 NAG hätte erteilt werden dürfen. Daher sei die Klägerin schon vor der Geburt ihres Sohnes nicht rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen. Daran ändere auch die vom Verwaltungsgerichtshof zuerkannte aufschiebende Wirkung nichts. Aus § 2 Abs 1 Z 5 KBGG und aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass der Gesetzgeber bei Fremden auf das Vorliegen eines rechtmäßigen Aufenthaltstitels, somit auf den Zeitpunkt der Titelerteilung und nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, abgestellt habe. Dies sei deshalb nachvollziehbar, weil diese Personen nicht in Österreich verwurzelt sein können, sodass bei diesen auch die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 4 KBGG (Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet) fehle.

Hiezu wurde erwogen:

3. Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld sind unter anderem, dass der die Leistung beanspruchende Elternteil und das Kind „den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben“ (§ 2 Abs 1 Z 4 KBGG) und „sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs und Aufenthaltsgesetzes (NAG), ..., rechtmäßig in Österreich aufhalten, es sei denn, es handelt sich um a) österreichische Staatsbürger oder b) Personen, denen Asyl nach dem Asylgesetz 2005 ... gewährt wurde, oder c) Personen, denen der Status der subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde und die keine Leistungen aus der Grundversorgung erhalten und unselbständig oder selbständig erwerbstätig sind“ (§ 2 Abs 1 Z 5 KBGG).

4. Unzutreffend ist die Meinung der beklagten Partei, die Klägerin habe sich bereits vor der Geburt ihres Kindes nicht rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Sie verfügte zur Zeit der Geburt über eine bis befristete Aufenthaltsbewilligung gemäß § 8 Abs 1 Z 10 iVm § 63 NAG mit dem Aufenthaltszweck „Schüler“. Der Erteilung dieses Aufenthaltstitels, der für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen ist (vgl § 20 Abs 1 NAG), stand das nicht rechtskräftige, mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom verhängte Aufenthaltsverbot nicht entgegen (vgl § 11 Abs 1 Z 1 NAG idF BGBl I 2009/29). Selbst wenn dieser Bescheid am rechtskräftig gewesen wäre, wäre die erteilte Aufenthaltsbewilligung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wirksam gewesen. Denn die Rechtskraft des über den Fremden verhängten Aufenthaltsverbots bewirkt nicht die Unwirksamkeit des (zu Unrecht) erteilten Aufenthaltstitels, sondern der in Rechtskraft erwachsene Aufenthaltstitel verdrängt als spätere Norm die Rechtswirksamkeit eines zuvor erteilten Aufenthaltsverbots für die Zeit seiner Geltungsdauer (vgl VwGH 2010/21/0287; 99/19/0226).

5.1. Gemäß § 24 Abs 1 NAG sind Verlängerungsanträge (Anträge auf Verlängerung des gleichen oder Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, § 2 Abs 1 Z 11 NAG) vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen. Nach Stellung eines Verlängerungsantrags ist der Antragsteller gemäß § 24 Abs 1 Satz 3 NAG, „unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig“.

5.2. Sinn und Zweck dieser Formulierung, mit der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts während einer zeitlichen Lücke auf Grund einer ausstehenden Antragserledigung sichergestellt wird, ist, den bisherigen aufenthaltsrechtlichen Status des Antragstellers bis zur rechtskräftigen Entscheidung zu wahren, sofern dem nicht fremdenpolizeiliche Maßnahmen entgegenstehen (VwGH 2007/08/0028; 2007/09/0109).

5.3. Unter einer „rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag“ iSd § 24 Abs 1 NAG ist einerseits die rechtskräftige Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels und andererseits die in einem nach § 25 Abs 1 NAG eingeleiteten Verfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung über die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verstehen (VwGH 2013/18/0009 ua). Ein Verfahren nach § 25 Abs 1 NAG ist einzuleiten, wenn in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs 1 und 2 NAG fehlen. Nach § 11 Abs 1 Z 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht. Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung der Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird (§ 25 Abs 2 Satz 1 und 2 NAG).

5.4. Das durch die rechtswirksame Erteilung des Aufenthaltstitels erlangte Niederlassungs oder Aufenthaltsrecht ist somit bei einem rechtzeitigen Verlängerungsantrag nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, der sich der Oberste Gerichtshof anschließt, während des Verfahrens über den Verlängerungsantrag perpetuiert und verdrängt auch in diesem Zeitraum das gegen den Fremden vor der Erteilung des rechtswirksamen Aufenthaltstitels erlassene Aufenthaltsverbot (VwGH 2010/21/0287 mwN; Kind in Abermann/Czech/Kind/Peyrl , NAG § 24 Rz 13). Aus der Verwendung des Wortes „weiterhin“ in § 24 Abs 1 Satz 3 NAG ist auf eine Kontinuität des vorläufig verlängerten Aufenthaltstitels zu schließen, was bedeutet, dass dem Antragsteller bis zur Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag dieselbe Rechtsposition eingeräumt werden soll, die er nach dem Inhalt des letzten Aufenthaltstitels innehatte (VwGH 2007/09/0002; 2006/09/0213 je mwN). Der weitere Aufenthalt des Fremden, der über einen Aufenthaltstitel verfügte und einen Verlängerungsantrag im Sinn des NAG stellte, ist – letztlich gründend auf einen wenn auch möglicherweise bereits abgelaufenen Aufenthaltstitel – rechtmäßig (VwGH 2012/18/0088; Kind in Abermann/Czech/Kind/Peyrl , NAG § 24 Rz 2).

5.5. Mit Eintritt der Rechtskraft des Bescheids des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom , mit dem aufenthaltsbeendende Maßnahmen gesetzt wurden, wurde der Aufenthaltstitel der Klägerin ex lege ungültig und sie verlor ihr „Recht auf Aufenthalt“ (§ 10 Abs 1 NAG). Die in § 25 Abs 1 NAG genannte Verlängerung des Aufenthalts- oder Niederlassungsrechts ist dann nicht mehr möglich. Hat die Niederlassungsbehörde nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des aufenthaltsbeendenden Verfahrens ein Verfahren nach § 25 Abs 1 NAG eingeleitet oder die Wirkung des § 25 Abs 1 letzter Satz NAG in analoger Weise herbeigeführt, so darf sie eine formlose Einstellung nach § 25 Abs 2 NAG nicht vornehmen, sondern hat über den Verlängerungsantrag zu entscheiden. Diese Entscheidung kann allerdings wegen des Fehlens eines verlängerbaren Aufenthaltsrechts nur in einer Abweisung des Verlängerungsantrags bestehen (VwGH 2009/22/0149).

5.6.1. Zutreffend hat das Erstgericht erkannt, dass mit der Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs, mit dem der Beschwerde der Klägerin gegen den genannten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien aufschiebende Wirkung bewilligt wurde, das Verlängerungsverfahren wieder offen war.

5.6.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, die den Begriff „aufschiebende Wirkung“ (§ 30 Abs 2 VwGG) sehr weit versteht (vgl VwGH 2007/09/0002 mwN), hat die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Folge, dass die Bindungswirkungen und Tatbestandswirkungen des angefochtenen Bescheids vorläufig außer Kraft gesetzt werden. Dürfen aber an die formell rechtskräftige Entscheidung im aufenthaltsbeendenden Verfahren zufolge der der Beschwerde zuerkannten aufschiebenden Wirkung keine Folgen geknüpft werden, so ist es der Niederlassungsbehörde in einem solchen Verfahrensstadium lediglich untersagt, den Verlängerungsantrag wegen des Fehlens einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abzuweisen; sie kann sich aber eigenständig und unabhängig eine Meinung darüber bilden, ob eine positive Entscheidung über den Verlängerungsantrag ergehen kann (VwGH 2009/22/0149).

6.1. Das Erstgericht hat daher zutreffend den rechtmäßigen Aufenthalt der Klägerin in den im Revisionsverfahren noch relevanten Zeiträumen bejaht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der beklagten Partei ist es auch zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass sich die Klägerin in diesen Zeiträumen im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 KBGG „nach § 8 NAG ... rechtmäßig in Österreich auf[ge]halten“ hat. Denn nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gründet der rechtmäßige Aufenthalt des Fremden während des Verlängerungsverfahrens auf dem zu verlängernden Aufenthaltstitel, mag dieser auch bereits abgelaufen sein. Die Wahrung dieses Status des Fremden hängt nicht von der Ausstellung einer Bestätigung ab ( Kind in Abermann/Czech/Kind/Peyrl , NAG § 24 Rz 4).

6.2. Das Berufungsgericht hat sich auf die Gesetzesmaterialien zur KBGG-Novelle BGBl I 2006/168 (IA 62/A 23. GP) berufen, wonach nach der geltenden Gesetzeslage Kinder von rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassenen Fremden und Kinder von Asylberechtigten Leistungen erst ab Ausstellung des Aufenthaltstitels bzw des Asylzuerkennungsbescheids erhalten und eine rückwirkende Auszahlung von Leistungen für nachgeborene Kinder (vgl den mit dieser Novelle eingefügten Satz 2 des § 2 Abs 1 Z 5 KBGG), die sich nach den einschlägigen Bestimmungen des Fremdenrechtspakets 2005 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, nicht erfolgen könne. Dem ist wiederholend zu erwidern, dass der rechtmäßige Aufenthalt der Klägerin während des Verlängerungsverfahrens seine Grundlage in der erteilten Aufenthaltsbewilligung hat.

6.3. Hingewiesen sei auf die Entscheidungspraxis des Unabhängigen Finanzsenats zu § 3 Abs 1 und 2 FLAG, wonach der Anspruch des Fremden auf Familienbeihilfe, der einen Aufenthaltstitel nach § 8 (oder § 9) NAG hat und rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeitsdauer einen Antrag auf Verlängerung stellt, bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen auch nach Ablauf der Gültigkeitsdauer bis zur rechtskräftigen Entscheidung weiterhin bestehen bleibt (UFS RV/0155-G/13 ua; Csaszar/Lenneis/Wanke , FLAG § 3 Rz 153 mwN). Anspruch auf Familienbeihilfe und deren tatsächlicher Bezug für das Kind, das den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld vermitteln soll, sind Anspruchsvoraussetzungen für das Kinderbetreuungsgeld (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG).

6.4. Die Ansicht, eine Aufenthaltsbewilligung nach § 8 Abs 1 Z 10 NAG reiche zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 5 KBGG nicht aus, wäre mit dem Gesetzeswortlaut unverträglich und unzutreffend. Es ist daher im gegebenen Zusammenhang rechtlich ohne Bedeutung, dass der durch einen rechtzeitigen Verlängerungsantrag bestehende rechtmäßige Aufenthalt des Fremden vorübergehend ist.

7.1. Zu den Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Z 4 und 5 KBGG führen die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 155) aus, dass ein Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet dann anzunehmen ist, wenn sich eine Person ständig in Österreich aufhält und sich aus der Gesamtabwägung aller Umstände ergibt, dass diese Person zu Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Im Normalfall ergäben sich die Voraussetzungen des Mittelpunkts der Lebensinteressen und des rechtmäßigen Aufenthalts von Elternteil und Kind aus den Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe. Für jene Fälle, in denen ein Elternteil das Kinderbetreuungsgeld beanspruchen möchte, aber nicht Bezieher der Familienbeihilfe in eigener Person sei, sowie aus Gründen der Rechtssicherheit würden diese Voraussetzungen auch im KBGG festgelegt.

7.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage des Mittelpunkts der Lebensinteressen im Sinn des § 2 Abs 8 FLAG kommt es nicht darauf an, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet ein ständiger ist (VwGH 2009/16/0179 mwN). Der Umstand, dass ein Aufenthalt zu Studienzwecken begrenzt ist, steht der Beurteilung, der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege am Ort des Studiums, nicht entgegen (VwGH 2009/16/0125). Vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber mit der Verknüpfung von Anspruchsvoraussetzungen für die Familienbeihilfe und das Kinderbetreuungsgeld verfolgten Intention hatten die Klägerin und ihr Kind, für das sie unstrittig Familienbeihilfe bezieht, im Sinn dieser Judikatur in den entscheidungsrelevanten Zeiträumen den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet. Dies war zwischen den Parteien in erster Instanz auch nicht strittig.

8. Die beklagte Partei meint in ihrer Rechtsmittelbeantwortung, das Verfahren sei von den Vorinstanzen bis zur Entscheidung des „anhängigen Verwaltungsverfahrens“ in analoger Anwendung des § 74 Abs 1 ASGG von Amts wegen zu unterbrechen gewesen, weil die zuständigen Verwaltungsbehörden über den Verlängerungsantrag noch nicht entschieden hätten. Sie übersieht, dass sich die Klägerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Verlängerungsantrag und nach der zuvor dargestellten Rechtslage daher auch in den entscheidungsrelevanten Zeiträumen rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat und aufhält, sodass sie die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 5 KBGG ohne Entscheidung über ihren Verlängerungsantrag durch die Niederlassungsbehörde erfüllte.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG. Für die Revision gebührt nur der einfache Einheitssatz.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00008.16Y.0607.000