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VfGH vom 12.12.2018, E667/2018 ua

VfGH vom 12.12.2018, E667/2018 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter und Erlassung von Rückkehrentscheidungen afghanischer Staatsangehöriger mangels Ermittlungen betreffend die Unterstützung durch Geschwister der Erstbeschwerdeführerin für eine Familie mit besonderem Schutzbedarf

Spruch

I.1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gegen die Festsetzung einer vierzehntätigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.400,80 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Die Erstbeschwerdeführerin ist Ehepartnerin des Zweitbeschwerdeführers. Sie sind Eltern der volljährigen Drittbeschwerdeführerin sowie der minderjährigen Viert-, Fünft-, und Sechstbeschwerdeführerinnen. Die Beschwerdeführer stellten am Anträge auf internationalen Schutz.

2.Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurden die Anträge der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3.Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, abgewiesen.

4.In seiner Begründung verweist das Bundesverwaltungsgericht zunächst auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom , in denen ausgeführt wird, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein könne, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet hätten und davon ausgegangen werden könne, dass diese willens und in der Lage seien, die Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellten nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar.

5.Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass den Beschwerdeführern eine Rückkehr in ihre Herkunftsregion Kunduz auf Grund der schlechten Sicherheitssituation und der damit verbundenen Gefahr einer Verletzung ihrer gemäß Art 2 und Art 3 EMRK garantierten Rechte nicht zugemutet werden könne. Den Beschwerdeführern stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen:

"Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin bezeichneten ihre finanziellen Verhältnisse durchwegs als mittelmäßig. Die Erstbeschwerdeführerin wuchs in Kabul auf und ging dort zur Schule. Der Zweitbeschwerdeführer verfügt über eine fundierte Schulbildung und studierte selbst ein Jahr in Kabul. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer konnten vor der Ausreise durch Erwerbstätigkeiten (Schneiderin, Bauarbeiten, Lackierer) die Existenz der Familie sichern. Zudem leben der Bruder und die Schwester der Erstbeschwerdeführerin in Kabul, sodass sie dort über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen. In der Erstbefragung gab die Erstbeschwerdeführerin die finanzielle Situation ihrer Familie als 'mittel' an und brachte vor, dass ihr Bruder als Tischler arbeite und ihre Schwester verheiratet sei (AS 17 im do. Akt). In der Beschwerdeverhandlung gab die Erstbeschwerdeführerin auf Befragung zu deren Lebenssituation an, es sei alles in Ordnung, aber es sei Krieg in Afghanistan (Protokoll der mV S. 7). In Bezug auf die wirtschaftliche Situation kam daher keine existenzielle Notlage ihrer Geschwister hervor, die eine Unterstützung der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Familie (etwa durch Obdach und Sachleistungen) ausschließen würde. Durch die vormalige Erwerbstätigkeit und aufgrund des familiären Netzes, das insbesondere auch bei der Arbeitssuche helfen und Kontakte vermitteln kann, hat insbesondere der Zweitbeschwerdeführer maßgebliche Vorteile bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Aufgrund des traditionell starken Zusammenhalts innerhalb der Familie ist davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern seitens der Geschwister der Erstbeschwerdeführerin Unterstützung geleistet wird (etwa durch vorübergehende Behausung, Nahrung, Herstellen von Kontakten etc.)."

6.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

7.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Äußerung unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen.

II.Erwägungen

1.Die Beschwerde ist zulässig.

2.Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan richtet, ist sie auch begründet:

3.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

4.Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

5.Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

6.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

6.1.Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

6.2.Aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen UNHCR-Richtlinien geht hervor, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf – nach Ansicht des UNHCR – nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen (vgl zur Indizwirkung der UNHCR-Richtlinien mwN).

6.3.Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Beschwerdeführer – eine Familie mit vier Töchtern – vom Bruder und von der Schwester der Erstbeschwerdeführerin, die in Kabul lebten, unterstützt werden könnten. Zu diesem Schluss gelangt das Bundesverwaltungsgericht, weil die Erstbeschwerdeführerin die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Familie anlässlich der Erstbefragung als "mittel" bezeichnet und angibt, dass ihr Bruder als Tischler arbeite und ihre Schwester verheiratet sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung habe die Erstbeschwerdeführerin, nach ihren Geschwistern befragt, angegeben, dass alles in Ordnung sei, aber in Afghanistan Krieg herrsche.

6.4.Das Bundesverwaltungsgericht begründet nicht näher, warum es davon ausgeht, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es verabsäumt es insbesondere, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders zu befragen. Inwiefern die Schwester der Erstbeschwerdeführerin, die offenkundig keiner Erwerbsarbeit nachgeht, eine Unterstützung für die Beschwerdeführer darstellen kann, erörtert das Bundesverwaltungsgericht ebensowenig.

6.5.Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchführt und seine Entscheidung ansonsten sorgfältig begründet, verabsäumt es, Fragen zu den konkreten Lebensumständen der Geschwister der Erstbeschwerdeführerin zu stellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat es sohin unterlassen, zu ermitteln, ob die Geschwister der Erstbeschwerdeführerin tatsächlich willens und in der Lage sind, die Beschwerdeführer – eine sechsköpfige Familie mit vier Töchtern – zu unterstützen.

6.6.Da das Bundesverwaltungsgericht Ermittlungen in einem entscheidenden Punkt unterlassen hat, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl ; , E2130/2017 ua; , E941/2018 ua).

7.Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 BVG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie auf Art 2, Art 3 und Art 8 EMRK. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.Ergebnis

1.Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gegen die Festsetzung einer vierzehntätigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.Im Übrigen wird von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 654,– und Umsatzsteuer in der Höhe von € 566,80 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2018:E667.2018
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Kinder

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