OGH vom 14.11.2006, 10ObS8/06h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Ploteny (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alexandra B*****, Diplom-Physiotherapeutin, *****, vertreten durch Mag. Martin Meier, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, Josef Pongratz-Platz 1, 8011 Graz, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 67/05t-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cgs 67/05t-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin bezog für ihren am geborenen Sohn Michael M***** bis Kinderbetreuungsgeld. Am wurde ihre Tochter Katharina M***** geboren; für diese bezieht die Klägerin seit Kindergeld (von bis stand sie in einem aufrechten Dienstverhältnis und bezog einen Ergänzungsbetrag gemäß § 24 VBG).
Mit Bescheid vom hat die beklagte Steiermärkische Gebietskrankenkasse ausgesprochen, dass der Bezug des Kindesbetreuungsgeldes für Michael M***** am endet und dem Antrag auf Erhöhung des Kinderbetreuungsgeldes für das zweite Kind um 50 vH nicht stattgegeben werde.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren auf Gewährung von Kinderbetreuungsgeld in der gesetzlichen Höhe für den am geborenen Michael M***** für den Zeitraum von bis , in eventu auf Gewährung eines um 50 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von bis .
Das Erstgericht wies die Klage ab. Gemäß § 5 Abs 5 KBGG ende der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind. Nur bei einer - hier nicht vorliegenden - Mehrlingsgeburt erhöhe sich das Kinderbetreuungsgeld für das zweite und jedes weitere Kind um 50 % des Betrages gemäß § 3 Abs 1 KBGG. Das Berufungsgericht gab der - ausschließlich die Frage der Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des § 5 Abs 5 und § 3a Abs 1 KBGG relevierenden - Berufung der Klägerin nicht Folge. In der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers, ein Kinderbetreuungsgeld während des Bezugszeitraumes jeweils nur für ein Kind zu gewähren und nicht für mehrere Kinder, könne keine unsachliche Differenzierung erblickt werden. Das Kinderbetreuungsgeld sei so konzipiert, dass einerseits die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten werde und andererseits die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert und eine außerhäusliche Betreuung finanziell teilweise abgegolten werden solle. Bei der mit der Novelle BGBl I 2003/58 bei Mehrlingsgeburten eingeführten Erhöhung des Kinderbetreuungsgeldes um 50 % für das zweite (und jedes weitere) Kind sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Eltern von Mehrlingen hinsichtlich dieser Betreuung stärker belastet seien als andere Eltern und sich häufig mit der Tatsache konfrontiert sähen, dass die finanziellen Aufwendungen im Verhältnis zu jenen Eltern, deren Kinder nacheinander geboren werden, deutlich höher seien. Am Grundsatz, dass durch das Kinderbetreuungsgeld die Betreuungsleistung der Eltern weiterhin nur teilweise abgegolten werden solle, sei festgehalten worden. Der Gesetzgeber habe also eindeutig eine Unterscheidung zwischen der - einen Anspruch auf Zuschuss auslösenden - Mehrlingsgeburt und der Geburt von mehreren Kindern in zeitlichem Abstand vorgenommen. Auch wenn die Betreuungsleistung bei Vorhandensein eines Kleinkindes und eines Neugeborenen erheblich sei, müsse doch bedacht werden, dass bei Mehrlingsgeburten in vielen Bereichen erhöhte Anschaffungskosten bestünden, zumal etwa das bei in zeitlichen Abständen geborenen Kindern durchaus übliche Verwenden bereits angeschaffter Gegenstände (wie Bekleidung, Schuhe, Spielsachen, Kinderwagen etc) weitestgehend wegfalle. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 B-VG liege nicht vor. Bei Verfolgung familienpolitischer Ziele sei der Gesetzgeber weitgehend frei. Der ihm zustehende Gestaltungsspielraum werde durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt sei, Regelungen zu treffen, für die keine sachliche Rechtfertigung bestehe. Aus den bereits dargelegten Erwägungen erscheine es aber nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber die kinderbetreuungsgeldrelevanten Folgen von Mehrlingsgeburten anders regle als bei hintereinander geborenen Kindern. Im Übrigen wolle der Gleichheitssatz nicht verhindern, dass Ungleiches gleich behandelt werde, sondern dass Gleiches ohne sachliche Rechtfertigung eine Ungleichbehandlung erfahre. Ein Anlass zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zwecks Überprüfung der Verfassungsgemäßheit der Bestimmungen der §§ 3a, 5 Abs 5 KBGG bestehe nicht. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst hätten, Gesetzesänderungen vorzunehmen.
Für die Zulassung der ordentlichen Revision bestehe im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut keine Veranlassung.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Berufungsurteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Der Oberste Gerichtshof hat mit seinem Beschluss vom , 10 ObS 8/06h, die Revision der Klägerin für zulässig angesehen, weil die Bedenken gegen die Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmung des § 5 Abs 5 KBGG ein Normenprüfungsverfahren angezeigt erscheinen ließen, und hat beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag gestellt, den § 5 Abs 5 des Kinderbetreuungsgeldes, BGBl. I Nr. 103/2001, als verfassungswidrig aufzuheben. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten. Der Oberste Gerichtshof ging in seinem Gesetzesprüfungsantrag davon aus, dass eine Person in der Situation der Klägerin, die in relativ knappem zeitlichen Abstand hintereinander zwei Kinder zur Welt gebracht hat und mit der Geburt des zweiten Kindes das nach der Geburt des ersten Kindes gewährte Kinderbetreuungsgeld zur Gänze verloren hat,
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- | gegenüber anderen Personen, die nur für ein Kind zu sorgen haben und dafür ebenfalls Kinderbetreuungsgeld in einfacher Höhe erhalten, sowie | |||||||||
- | gegenüber Personen, die nach einer Mehrlingsgeburt einen 50 %-igen Zuschlag zum Kinderbetreuungsgeld erhalten, | |||||||||
in unsachlicher Weise ungleich behandelt werde, sodass eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vorliege. | ||||||||||
Der Verfassungsgerichtshof wies mit seinem Erkenntnis vom , G 43/06-6, G 44/06-6, den Gesetzesprüfungsantrag ab. Die Abweisung wurde im Wesentlichen folgendermaßen begründet: | ||||||||||
„... Das Gesetz gewordene Konzept des Kinderbetreuungsgeldes sieht also - von der erst später eingeführten und besonders zu erörternden Bevorzugung von Mehrlingsgeburten abgesehen - von der konkreten Lage gänzlich ab und berücksichtigt die Mehrbelastung für weitere Kinder nur dadurch, dass das Betreuungsgeld so lange gebührt, als Kinder unter drei Jahren zu betreuen sind. Auch wenn der Umstand, dass sowohl die Betreuungsleistung wie auch die mit der Betreuung verbundene finanzielle Belastung mit der Zahl der gleichzeitig zu betreuenden Kinder steigt, entsprechend der erklärten Zielsetzung der Materialien eine Berücksichtigung der Kinderzahl rechtfertigen, ja nahe legen würde, lässt sich daraus kein Maßstab für die Sachlichkeit des Gesetzes gewinnen. Dass die rechtspolitischen Überlegungen des Gesetzgebers mit der Betreuungsleistung und der finanziellen Belastung auf quantifizierbare Größen Bezug nehmen, verpflichtet ihn nämlich nicht, die Höhe der Leistung im Einzelfall oder für bestimmte Fallgruppen nach Maßgabe der Verhältnisse unterschiedlich zu bemessen. Die Motive des Gesetzgebers sind für sich allein kein Maßstab für die Sachlichkeit des Gesetzes. Soweit nicht verfassungsrechtliche Verpflichtungen bestehen - wie etwa punkto Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit im Steuerrecht ... -, bleibt es ihm überlassen, in welchem Grad er seine Absichten verwirklicht. | ||||||||||
4. Was die Bevorzugung der Mehrlingsgeburten durch § 3a KBGG betrifft, ist dem Verfassungsgerichtshof die - wohl auch vom Obersten Gerichtshof nicht bezweifelte - besondere Lage der Eltern von Mehrlingen offenkundig. Wie schon das OLG Graz in seinen Entscheidungen (7 Rs 78/05b ua.) betont, kann der Gesetzgeber davon ausgehen, | ||||||||||
'dass Eltern von Mehrlingen hinsichtlich dieser Betreuung stärker belastet sind als andere Eltern und sich häufig mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass die finanziellen Aufwendungen im Verhältnis zu jenen Eltern, deren Kinder nacheinander geboren werden, deutlich höher sind.' | ||||||||||
Dazu kommt, dass die besondere Behandlung von Mehrlingsgeburten auch dem Umstand Rechnung trägt, dass die durch sie eintretende Mehrbelastung nicht einmal - wie sonst - durch eine längere Bezugsdauer ausgeglichen würde. Die Bedachtnahme auf diese besondere Art der Belastung zwingt den Gesetzgeber nicht, auch die höhere Belastung durch mehrere aufeinander folgende Kinder allgemein - über die längere Bezugsdauer hinaus - zu berücksichtigen." | ||||||||||
Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ist das unterbrochene Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen. Da die ihrem Wortlaut und ihrem Sinn nach eindeutige Bestimmung des § 5 Abs 5 KBGG bei der Entscheidung des vorliegenden Falles nach wie vor anzuwenden ist, kann der ausschließlich auf verfassungsrechtliche Argumente, nämlich den Verstoß des § 5 Abs 5 (und des - hier allerdings nicht anzuwendenden - § 3a KBGG) gegen den Gleichheitsgrundsatz gestützten Revision der Klägerin keine Berechtigung zukommen. | ||||||||||
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich. |