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OGH vom 06.09.2016, 13Os64/16k

OGH vom 06.09.2016, 13Os64/16k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Lendl, Dr. Bachner Foregger und Mag. Michel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg als Schriftführer in der Strafsache gegen Julius M*****, andere Beschuldigte und einen belangten Verband wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 608 St 1/08w der Staatsanwaltschaft Wien, über den Antrag des belangten Verbandes M***** AG auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit auf § 106 Abs 1 Z 1 und 2 StPO gestütztem Einspruch wegen Rechtsverletzung vom (ON 4857) begehrte der belangte Verband – soweit hier von Interesse – die Feststellungen, dass die Staatsanwaltschaft

1) durch „die begründungslose Entnahme von Unterlagen – insbesondere der ON 4559, ON 4562, ON 4569, ON 4572, ON 4636, ON 4637 – aus dem Hauptakt und die widerrechtliche Führung eines Verschlussakts“ das Recht auf Akteneinsicht (§ 51 StPO) verletzt habe,

2) durch die „Verunmöglichung der Akteneinsicht durch die Einspruchswerberin in ON 4559, ON 4562, ON 4569, ON 4572 den Grundsatz des nemo tenetur gemäß Art 90 Abs 2 B VG, das Objektivitätsgebot gemäß § 3 StPO sowie das Recht auf ein 'fair trial' gemäß Art 6 EMRK und Art 47 GRCh verletzt hat, indem sie die Einspruchswerberin in Unkenntnis über den an die Finanzbehörden ergangenen Ermittlungsauftrags und das von ihr beauftragte finanzstrafrechtliche Ermittlungsverfahrens ließ“, sowie

4) durch die Unterlassung der Mitteilung, dass „im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien ein Finanzstrafverfahren geführt wird, die subjektiven Rechte der Einspruchswerberin“ verletzt habe.

Mit Beschluss vom , AZ 334 HR 436/08g (ON 5081), folgte das Landesgericht für Strafsachen Wien diesem Einspruch hinsichtlich der Punkte 1 und 4, nicht jedoch bezüglich des Punktes 2.

Der gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung gerichteten Beschwerde des belangten Verbandes vom (ON 5104) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom , AZ 22 Bs 232/14z (ON 5502), nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Der mit Bezug auf diese Entscheidung erhobene Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens des belangten Verbandes ist unzulässig.

Der Antrag behauptet mehrere Verletzungen der Garantien des Art 6 MRK, nämlich

(1) des Rechts auf Akteneinsicht (Art 6 Abs 3 lit b MRK [ Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 117 mwN]),

(2) des „nemo tenetur“ Grundsatzes, also des Rechts, zu schweigen und sich nicht selbst zu belasten (Art 6 Abs 2 MRK [ Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 138; Meyer Ladewig , EMRK 3 Art 6 Rz 131; jeweils mwN]),

(3) des Rechts auf Entscheidung durch ein auf Gesetz beruhendes Gericht (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK, unter dem Aspekt des § 363a StPO unverständlich auch „Art 83 B VG“) und

(4) des Anspruchs auf Begründung gerichtlicher Entscheidungen (Art 6 Abs 1 MRK [ Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 76; Meyer Ladewig , EMRK 3 Art 6 Rz 109; jeweils mwN]).

Der Antrag bezieht sich somit ausschließlich auf Konventionsgarantien, welche auf die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage, also über Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten, zielen ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 28) und die demgemäß in der Hauptverhandlung (§ 238 StPO) oder im Rahmen der Urteilsanfechtung (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) im Sinn des Art 13 MRK wirksam durchgesetzt werden können (13 Os 51/15x; vgl auch 11 Os 119/10z, SSt 2010/75 und RIS Justiz RS0126370). Da der Antrag nicht erkennen lässt, weshalb der belangte Verband hier dennoch bereits im Ermittlungsverfahren in seinen durch Art 6 MRK garantierten Rechten verletzt worden sein soll, legt er die Opfereigenschaft (Art 34 MRK) nicht deutlich und bestimmt dar (13 Os 51/15x, 13 Os 90/15g).

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00064.16K.0906.000