VfGH vom 24.11.2016, E652/2016

VfGH vom 24.11.2016, E652/2016

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Versagung eines Einreisetitels für eine afghanische Familie wegen Unterlassens der Ermittlungstätigkeit zur Frage des Bestehens eines Familienverhältnisses zur in Österreich subsidiär schutzberechtigten Bezugsperson

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Antrag vom begehrte die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, bei der Österreichischen Botschaft Islamabad die Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I 100 idF BGBl I 68/2013, weil ihr Ehemann in Österreich aufhältig sei.

2. Mit Bescheid der Österreichischen Botschaft Islamabad vom wurde die Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 35 AsylG 2005 abgelehnt, weil das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wiederholt mitgeteilt hatte, dass die Beschwerdeführerin durch ihr Vorbringen nicht unter Beweis gestellt habe, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich sei. Das BFA begründete dies damit, dass die Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und der von ihr angegebenen Bezugsperson nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden habe, weshalb die Beschwerdeführerin keine Familienangehörige iSd 4. Hauptstückes des AsylG 2005 und die Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat als Österreich, nämlich Pakistan, möglich sei.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Islamabad vom abgewiesen. Mit Schreiben vom wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht auf Grund eines Vorlageantrages vorgelegt.

4. Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 35 AsylG 2005 ab. Begründend führte es wörtlich wie folgt aus:

"Eingehend auf das Beschwerdevorbringen, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht nur die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der ÖB Islamabad, sondern auch die Wahrscheinlichkeit der Gewährung desselben Schutzes wie die Bezugsperson zu überprüfen habe, ist auszuführen, dass nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die österreichischen Vertretungsbehörden in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG an die Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Prognose einer Gewährung des Status eines Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten gebunden sind. Die Nachprüfung dieser Wahrscheinlichkeitsprognose nach negativer Mitteilung des Bundesamtes durch die Botschaft kommt daher nicht in Betracht. Es würde auch dem Zweck der Erteilung dieses Einreisetitels zuwiderlaufen, dem Familienangehörigen einer asylberechtigten Ankerperson im Hinblick auf die voraussichtliche Gewährung von Asyl die Einreise zu ermöglichen, wenn das zur Beurteilung des Asylantrages zuständige Bundesamt die Schutzgewährung für nicht wahrscheinlich erachtet (, 2013/21/0152; , 2007/21/0423).

§35 AsylG ist auch für das erkennende Gericht mit jenem normativen Inhalt, welcher durch die Rechtsprechung der Höchstgerichte klargestellt wurde, anzuwenden. Eine solche Bindung ist Folge der Entscheidungsbefugnis in der Sache selbst und diese hinsichtlich des erkennenden Gerichtes durch Art 130 Abs 4 B VG verfassungsrechtlich abgesichert.

Vor diesem Hintergrund war auf die Beschwerdeausführungen hinsichtlich inhaltlicher Rechtswidrigkeit in Bezug auf die behauptete Familienangehörigeneigenschaft der Antragstellerin zur in Österreich aufhältigen Bezugsperson nicht näher einzugehen.

Die Beschwerdeführerin hat im Rahmen des Verfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt und wurde das Parteiengehör stets gewahrt.

Darüber hinaus kann nicht erkannt werden, inwiefern die ÖB Islamabad ihre in § 11 Abs 4 FPG verankerte Begründungspflicht verletzt hat, stellt doch der VwGH allein darauf ab, dass es einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, wenn in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht einmal auf die Mitteilung des Bundesamtes Bezug genommen wird (, 2013/21/0152; , 2013/21/0113; , 2012/21/0211). Im angefochtenen Bescheid wird jedoch sehr wohl auf eine konkrete und begründete negative Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abgestellt, weshalb auch der diesbezügliche Beschwerdeeinwand ins Leere geht.

Es ist weiters zu betonen, dass es sich nach § 35 AsylG 2005 bzw. § 26 FPG beim Antrag eines Familienangehörigen bei der österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland nur um einen bloßen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels handelt (vgl RV 330 24.GP). Bei einer Erteilung eines Einreisetitels ist aber weiter darauf zu verweisen, dass Art 8 EMRK im Allgemeinen kein Recht auf Einreise in ein bestimmtes Land gewährt (EGMR , Fall Boultif, Appl. 54.273/00, newsletter 2001, 159 uva). Art 8 EMRK gewährt kein unmittelbares Zuwanderungsrecht und lässt den Mitgliedstaaten der EMRK bei der Gestaltung der Einwanderungspolitik einen breiten Ermessensspielraum (vgl VfSlg 17.013/2003 und 18.613/2008).

Die beschwerdeführende Partei hat jedenfalls die Möglichkeit, einen regulären Aufenthaltstitel nach den fremdenrechtlichen Bestimmungen zu erlangen, insbesondere auch zur Aufrechterhaltung des ins Treffen geführten Privat- und Familienlebens. Die Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) stellen in Österreich den gesetzlich vorgesehenen Weg für einwanderungswillige Drittstaatsangehörige dar, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, etwa auch zwecks Familienzusammenführung (vgl. § 46 Abs 1 Z 2 litc NAG). Gegen die Entscheidung der zuständigen Einwanderungsbehörde stehen letztlich auch noch Rechtsbehelfe an ein Verwaltungsgericht sowie an den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof offen. Auf diese Weise werden die Interessen der beschwerdeführenden Partei an der Fortsetzung des geltend gemachten Privat- und Familienlebens auf durchaus angemessene Weise im Gesetz berücksichtigt und insbesondere auch die Bestimmungen der Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG umgesetzt. In einem Verfahren nach den Bestimmungen des NAG sind aber auch die öffentlichen Interessen, insbesondere am wirtschaftlichen Wohl des Landes, entsprechend in die Prüfung einzubeziehen, wird doch das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK nicht absolut verbürgt, sondern unter Gesetzesvorbehalt."

5. In der dagegen gerichteten, auf Art 144 B VG gestützten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 BVG BGBl 390/1973) geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.

Begründend wird dazu im Wesentlichen vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht vertrete eine "irrige Rechtsauffassung", indem es davon ausgehe, dass die in § 35 AsylG 2005 normierte Bindung der Vertretungsbehörde an die Mitteilung des BFA für das Bundesverwaltungsgericht gelte, obwohl der Verfassungsgerichtshof jüngst erkannt habe, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des Verfahrens nach § 35 AsylG 2005 nicht an die Prognoseentscheidung des BFA gebunden sei (Hinweis auf ) und auch der Verwaltungsgerichtshof davon ausgehe, dass die Entscheidung über den Einreisetitel nach § 35 AsylG 2005 einer effektiven verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliege. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher Willkür geübt, weil es angehalten gewesen wäre, Ermittlungen zur Frage der Eheschließung durchzuführen und entsprechende Feststellungen zu treffen. Des Weiteren habe es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen, sich im Rahmen einer Interessenabwägung iSd Art 8 Abs 2 EMRK mit der Frage der Möglichkeit der Herstellung der Familieneinheit in einem anderen Land auseinanderzusetzen.

6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Die Österreichische Botschaft Islamabad erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt und u.a. ausführt, dass sie die im angefochtenen Erkenntnis dargelegte Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Bindungswirkung an die Mitteilung des BFA teile.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 70/2015, lautet:

"§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat;"

2. § 35 AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 68/2013, lautet:

"Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. (2) Befindet sich der Familienangehörige gemäß Abs 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, im Ausland, ist diesem über Antrag nach der ersten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten bereits zuerkannt wurde, die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs 4.

(3) Wird ein Antrag nach Abs 1 und Abs 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden nach Abs 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§7 und 9) und

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art 8 Abs 2 EMRK nicht widerspricht.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat."

3. § 11 FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, lautet:

"Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in

Visaangelegenheiten

§11. (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§39a AVG). § 10 Abs 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs 1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung ist auch die Rechtsmittelinstanz anzugeben.

(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.

(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Visums D auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.

(7) Der Fremde hat im Antrag auf Erteilung eines Visums D den jeweiligen Zweck und die beabsichtigte Dauer der Reise und des Aufenthaltes bekannt zu geben. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Antragsteller, ausgenommen die Fälle des § 22 Abs 3 FPG, trotz Aufforderung und Setzung einer Nachfrist kein gültiges Reisedokument oder gegebenenfalls kein Gesundheitszeugnis vorlegt oder wenn der Antragsteller trotz entsprechenden Verlangens nicht persönlich vor der Behörde erschienen ist, obwohl in der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.

(8) Minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können die Erteilung eines Visums selbst beantragen. Die Ausstellung bedarf der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters; diese ist vom Antragsteller nachzuweisen."

4. § 26 FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, lautet wie folgt:

"

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§26. Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Fremden ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen."

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. In seiner Entscheidungsbegründung führt das Bundesverwaltungsgericht weitestgehend formelhaft aus, dass hinsichtlich der Frage der Wahrscheinlichkeit der Gewährung desselben Schutzes wie die in Rede stehende Bezugsperson gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die österreichischen Vertretungsbehörden in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 eine Bindung an die Prognoseentscheidung des BFA bestehe; die Nachprüfung dieser Wahrscheinlichkeitsprognose durch die Botschaft nach negativer Mitteilung des BFA komme daher nicht in Betracht. Eine solche Bindung sei "Folge der Entscheidungsbefugnis in der Sache selbst" und diese hinsichtlich des Bundesverwaltungsgerichtes durch Art 130 Abs 4 B VG verfassungsrechtlich abgesichert. Vor diesem Hintergrund sei auf die Beschwerdeausführungen hinsichtlich inhaltlicher Rechtswidrigkeit in Bezug auf die behauptete Familienangehörigeneigenschaft der Antragstellerin zur in Österreich aufhältigen Bezugsperson nicht näher einzugehen.

3.2. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht, das – entgegen seiner Rechtsansicht – nicht an die Feststellungen des BFA bzw. der Österreichischen Botschaft Islamabad gebunden ist, jegliche Ermittlungstätigkeit zum wesentlichen Punkt der Frage des Bestehens eines Familienverhältnisses unterlassen, das diesbezügliche Parteivorbringen gänzlich ignoriert und somit bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung Willkür geübt (vgl. ; , E1526/2015; , E878-882/2015).

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E652.2016