VfGH vom 15.06.2015, B44/2014
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine als Bescheid zu qualifizierende Entscheidung der Österreichischen Botschaft in Peking betr die Verweigerung eines Schengen-Visums; Begründung in der formularartigen Erledigung ohne jeglichen Begründungswert
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Volksrepublik China. Sie hielt sich bis zu ihrer – nach negativem Ausgang des Asylverfahrens erfolgten – Abschiebung am bereits über zehn Jahre in Österreich auf. Am stellte die Beschwerdeführerin bei der Österreichischen Botschaft Peking einen Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums. Dieser wurde mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung der Österreichischen Botschaft Peking abgelehnt.
2. In ihrer auf Art 144 B VG gestützten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie eine wirksame Beschwerde gemäß Art 47 GRC geltend. Sie beantragt weiters die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Begründend führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes aus:
Der angefochtenen Entscheidung sei weder das Datum noch die Unterschrift des Genehmigenden zu entnehmen. Es sei auch nicht erkennbar, mit welcher Begründung der Visumsantrag – es sei keines der vorgesehenen Kästchen angekreuzt worden – abgelehnt worden sei, weswegen die Entscheidung unter einem gravierenden Begründungsmangel leide. Dies wiege umso schwerer, als die Entscheidung auf Basis der vor Ablauf des geltenden Rechtslage erlassen worden sei und demnach die österreichische Vertretungsbehörde in erster und letzter Instanz entschieden habe. Die Behörde unterliege daher einer erhöhten Begründungspflicht, gegen die sie jedoch verstoßen habe. Darüber hinaus rügt die Beschwerdeführerin neben Ermittlungsmängeln (im Hinblick darauf, dass die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem irrtümlich erfolgt sei) insbesondere die Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht, weil der Verwaltungsakt der Österreichischen Botschaft Peking erst einen Tag vor Ablauf der – der bestellten Verfahrenshelferin eingeräumten – Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof beim selbigen eingelangt sei und es dieser daher nicht mehr möglich gewesen sei, zeitgerecht Akteneinsicht zu nehmen. Dies beeinträchtige erheblich die Effektivität des Rechtsschutzes. Insgesamt sei die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet.
3. Die Botschaft Peking hat schließlich die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Dass der angefochtene Akt der Österreichischen Botschaft Peking weder Datum noch Unterschrift – nämlich weder auf der Kopie noch auf der im Verwaltungsakt befindlichen "Urschrift" – aufweist, ändert nichts an dessen Bescheidqualität. So sieht § 11 Abs 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl I 157 idF BGBl I 68/2013, ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass "an die Stelle der Unterschrift […] das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden [kann], sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist". Dies ist im vorliegenden Fall gegeben: Sowohl die Kopie als auch die "Urschrift" der angefochtenen Entscheidung weisen das Siegel der Republik Österreich auf; Datum (i.e. ) und die Identität der Genehmigenden ergeben sich eindeutig aus dem Verwaltungsakt.
Folglich handelt es sich bei dem angefochtenen Akt um einen Bescheid, der – da er noch nach der vor dem Ablauf des geltenden Rechtslage erlassen wurde – mittels Beschwerde gemäß Art 144 B VG vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpft werden kann (s. § 6 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl I 33/2013 idF BGBl I 122/2013 [im Folgenden: VwGbk-ÜG]).
2. Die – somit zulässige – Beschwerde ist auch begründet.
2.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. VfSlg 18.925/2009 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000, 17.642/2005).
2.2. Ein solches Verhalten ist der Österreichischen Botschaft Peking vorzuwerfen:
Bei der als "Verweigerung/Annullierung/Aufhebung des Visums" bezeichneten – nunmehr angefochtenen – Entscheidung der Botschaft Peking handelt es sich dem äußeren Erscheinungsbild nach um eine formularartige Erledigung, bei der unter mehreren Optionen die jeweils Zutreffende anzukreuzen ist. So wurde nach dem angekreuzten Satz "Das Österreichische Generalkonsulat in China hat" bei den folgenden zwei Optionen "Ihren Visumsantrag geprüft" bzw. "Ihr Visum mit der Nummer [...] geprüft" das Kreuz vor erstere gesetzt, bei letzterer blieb das vorangestellte Kästchen leer. Bei den folgenden drei anzukreuzenden Möglichkeiten "Das Visum wurde verweigert", "Das Visum wurde annulliert", "Das Visum wurde aufgehoben" befindet sich vor der ersten ein Kreuz, die jeweils vorangestellten Kästchen vor den anderen zwei Möglichkeiten sind nicht angekreuzt.
Die darauf folgende Begründung, die mit dem Satz "Diese Entscheidung stützt sich auf den folgenden Grund/die folgenden Gründe" eingeleitet wird, lautet:
"□ Sie wurden im Schengener Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben von …………………………. (Angabe des Mitgliedstaats)
□ Ein oder mehrere Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit gemäß Artikel 2 Absatz 19 der Verordnung (EG) Nr 562/2006 (Schengener Grenzkodex) oder die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten darstellen"
Auf diese Begründung folgt die Rechtsmittelbelehrung unter Hinweis auf die §§4 und 6 VwGbk-ÜG.
Der oben – wie in der angefochtenen Entscheidung – wiedergegebenen Begründung fehlt jedweder Begründungswert. So ist aus dieser Begründung nicht erkennbar, welcher der beiden angeführten Gründe zur Verweigerung des Visums führte oder ob – nachdem weder der erste noch der zweite Grund angekreuzt ist – keiner der beiden Gründe auf die Beschwerdeführerin zutrifft (dies erscheint für den objektiven Betrachter am ehesten der Fall zu sein) oder ob beide Gründe zutreffen, obwohl keine Kreuze gesetzt wurden. Dann wiederum bliebe offen, von welchem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Beschwerdeführerin zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben wurde.
Die Begründung erweist sich daher – insbesondere vor dem Hintergrund, dass bis zur Begründung das jeweils Zutreffende immer angekreuzt ist – nicht in einer Weise nachvollziehbar, dass dem – aus dem Gleichheitssatz erfließenden – Willkürverbot entsprochen wäre (s. VfSlg 18.925/2009 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000, 17.642/2005).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2015:B44.2014