VfGH vom 10.12.2015, E631/2015

VfGH vom 10.12.2015, E631/2015

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines iranischen Staatsangehörigen; nicht nachvollziehbare Ausführungen zur Unglaubwürdigkeit hinsichtlich Inhaftierung und Folter; Willkür infolge Vernachlässigung des festgestellten Sachverhalts

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein iranischer Staatsangehöriger und stellte am in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, dass er im Februar 2010 an einer Demonstration gegen das iranische Regime teilgenommen habe. Er sei festgenommen und ein Jahr lang, sechs Monate davon im Evin-Gefängnis in Teheran, eingesperrt gewesen. Im Gefängnis sei er u.a. mit Elektroschocks gefoltert worden. Drei Tage nach seiner Freilassung sei er aus dem Iran geflohen. In Österreich habe er den Glauben des Christentums angenommen und sich taufen lassen.

Das Bundesasylamt holte ein fachärztliches Gutachten ein zur Frage, ob die vorgebrachten Misshandlungen objektivierbar und zeitmäßig nachvollziehbar seien. Der Gutachter kam u.a. zum Ergebnis, dass "[d]ie an Brust und Bauch vorhandenen Narben […] mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Folter entstanden [sind]", verneint jedoch die vom Beschwerdeführer geschilderte Art und Weise der Folter.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran aus.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz ab und verwies das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers. Er habe das Geschehen nicht widerspruchsfrei geschildert, insbesondere sei es ihm nicht gelungen, den konkreten Tag und die genauen Umstände seiner Festnahme anzugeben oder etwa die Abfolge der in Haft angeblich erfolgten Misshandlungen im Detail zu schildern.

Zu der vom Beschwerdeführer behaupteten erlittenen Folter in Haft stellt das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass der Beschwerdeführer "Narben am Brustkorb und Bauch auf[weist]" und führt dazu aus:

"Wenn der BF nun Narben am Oberkörper aufweist, von denen der Gutachter nicht ausschließt, dass diese von Folterungen stammen, so ist dazu festzuhalten, dass dies auch seitens der erkennenden Richterin nicht ausgeschlossen wird, doch ist ein Kausalitätszusammenhang zwischen den seitens des BF geschilderten Vorfällen und den dem BF zugefügten Verletzungen aufgrund des absolut unglaubwürdigen Vorbringens des BF entschieden zu verneinen.

Dem Sachverhalt, den der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit der von ihm behaupteten Folter ins Treffen führte, ist die Glaubwürdigkeit zur Gänze abzusprechen, sodass ein Kausalitätszusammenhang zwischen diesen Vorfällen, auf denen der BF auch in der hg. Verhandlung trotz massiver Widersprüche beharrte, und den Narben am Oberkörper, die der BF unbestritten aufweist, nicht existent ist und dieses Vorbringen zu den Vorfällen, die lt. BF zu den Folterungen geführt haben, der rechtlichen Würdigung nicht zugrunde gelegt wird […]."

Ebenso hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass "die Ausführungen des BF zu seinen psychischen Problemen (Panikattacken, Schlafstörungen) […] aufgrund der Unglaubwürdigkeit seiner Angaben zu den ausreisekausalen Vorfällen keinen asylrechtlich relevanten Konnex auf[weisen]". Weiters führt es aus:

"Sofern im Gutachten davon die Rede ist, dass die an Brust und Bauch vorhandenen Narben mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Folter entstanden seien, jedoch nicht auf die vom BF geschilderte Art und Weise bzw. in der geschilderten Position, ist auszuführen, dass selbst dann, wenn das Gutachten zu dem Schluss käme, dass die seitens des BF geschilderte Folterung in der beschriebenen Art und Weise stattgefunden haben könnte, aufgrund des unglaubwürdigen Vorbringens zu den geschilderten Vorfällen, die zur Inhaftierung und Folterung geführt haben sollen, für den BF nichts zu gewinnen ist, da ein asylrelevanter Anknüpfungspunkt fehlt, weshalb auf die in der Beschwerdeergänzung geltend gemachten Kritikpunkte zum Gutachter bzw. zum Gutachten auch nicht weiter einzugehen ist.

Auch gibt der BF in der Beschwerdeergänzung an, er habe das Folterinstrument nicht sehen können, während er in der hg. Verhandlung und vor dem BAA sehr wohl behauptete, mit einem heißen Metallstück in den Brustbereich gestochen worden zu sein.

Auch erklärte der BF in der hg. Verhandlung über Vorhalt des Gutachtens, wonach die Narben nicht in der von ihm geschilderten Position zugefügt worden sein können, er wisse nicht genau, wie die Verletzungen zugefügt worden seien, da sein Kopf immer bedeckt gewesen sei; wie und was sie gemacht hätten, wisse er nicht, sondern vermute er dies nur".

2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Leben und im Recht, keiner Folter unterworfen zu sein, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundesverwaltungsgericht haben die Bezug habenden Akten vorgelegt, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht zwar davon aus, dass der Körper des Beschwerdeführers Folterspuren aufweist und stellt dies so auch in seiner Entscheidung fest. Auch bestätigt das eingeholte fachärztliche Gutachten, dass der Beschwerdeführer Narben an Brust und Bauch habe, die "mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Folter entstanden" seien.

Dennoch kommt das Bundesverwaltungsgericht – für den Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhaltes nicht nachvollziehbar – zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei aus politischen Gründen (Teilnahme an regimekritischer Demonstration) inhaftiert und im Gefängnis gefoltert worden, nicht glaubwürdig sei. Dies stützt es mit weitwendigen Ausführungen etwa darauf, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, die genauen Umstände der Festnahme oder die "Art und Weise" der Folter widerspruchsfrei wiederzugeben, übersieht dabei jedoch, dass der Beschwerdeführer die Folterhandlungen im Kern stets gleich und zusammenhängend beschrieben hat (vgl. , und , E308/2014 ua.).

Dadurch vernachlässigt es den festgestellten Sachverhalt.

Schon deshalb ist das angefochtene Erkenntnis daher mit Verfassungswidrigkeit belastet.

III. Ergebnis

Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E631.2015