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VfGH vom 12.12.2016, E583/2016

VfGH vom 12.12.2016, E583/2016

Leitsatz

Verletzung eines Vereins im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung der Beschwerde der - für die Vertretung im Verfahren zur Vereinsauflösung gerichtlich bestellten - Abwesenheitskuratorin gegen den Auflösungsbescheid als verspätet; Auslösung der vierwöchigen Rechtsmittelfrist erst durch die rechtwirksame Zustellung des Auflösungsbescheides an die Kuratorin

Spruch

I. Der beschwerdeführende Verein ist durch den angefochtenen Beschluss in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem beschwerdeführenden Verein zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der nach dem Vereinsgesetz gebildete beschwerdeführende Verein "Vorarlberger Tierschutzverband", Entstehungsdatum laut Eintrag im Zentralen Vereinsregister , mit Sitz in Dornbirn wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom gemäß § 29 Abs 1 3. Fall des Bundesgesetzes über Vereine (Vereinsgesetz 2002), BGBl I 66/2002 idgF (im Folgenden: VerG) behördlich aufgelöst, weil er den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes dadurch nicht mehr entsprach, dass er nach Ungültigerklärung der Neuwahlen vom durch das Bezirksgericht Dornbirn über keine vertretungsbefugten Organe mehr verfügte. Zeitgleich mit dem Auflösungsbescheid wurde ein Abwickler bestellt, weil der aufzulösende Verein "Vorarlberger Tierschutzverband" über Vermögen, insbesondere eine Liegenschaft, auf der ein Tierheim vom Vorarlberger Tierschutzverband betrieben wird bzw. wurde, verfügt.

2. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Dornbirn vom , zugestellt am , wurde zusätzlich eine Abwesenheitskuratorin bestellt, als deren Aufgaben gemäß diesem Beschluss die "Vertretung des Vereins gegenüber der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn betreffend das Verfahren zur behördlichen Auflösung des Vereins" sowie die "Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zur Wahl der nach den Statuten zu bestellenden Vereinsorgane" genannt sind. Die Abwesenheitskuratorin beantragte mit Schreiben vom bei der Vereinsbehörde die Zustellung des Auflösungsbescheides. Am übermittelte die Vereinsbehörde der Kuratorin den Auflösungsbescheid, am erhob die Kuratorin für den aufgelösten Verein Beschwerde gegen den Auflösungsbescheid an die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn. Am leitete die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn die Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg weiter. Am wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg diese Beschwerde als verspätet zurück. Der Auflösungsbescheid sei am "durch persönliche Übernahme der mit der Geschäftsführung betrauten und empfangsberechtigten Person" zugestellt worden, die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels sei daher am abgelaufen.

3. Gegen diesen zurückweisenden Beschluss richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf "Fortbestand als rechtmäßiger Verein" und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der "Vorarlberger Tierschutzverband" durch die Bestellung der Abwesenheitskuratorin handlungsfähig sei und ein Recht auf Fortbestand als Verein habe. Die Rechtsansicht des belangten Landesverwaltungsgerichtes, dass die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Auflösungsbescheid bereits abgelaufen sei, sei verfehlt; der Abwesenheitskuratorin sei der Bescheid erst am [laut Aktenlage: ] zugestellt worden. Der Auflösungsbescheid sei sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht rechtswidrig, da keine Auflösungsgründe iSd § 29 Abs 1 VerG vorlägen.

4. Das belangte Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt. Der von der Vereinsbehörde bestellte Abwickler erstattete eine Gegenschrift, in der er insbesondere den im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung enthaltenen Behauptungen entgegentritt:

Auf das Wesentliche zusammengefasst entgegnet er, dass der Fortbestand des vom aufgelösten Vorarlberger Tierschutzverband betriebenen Tierheimes keinesfalls gefährdet sei. Unter Berücksichtigung der geltenden Satzung des Vorarlberger Tierschutzverbandes (§19.3) und unter Berücksichtigung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Vereinsgesetzes (§30 Abs 2 2.Satz) sei das Vermögen des Vorarlberger Tierschutzverbandes dem für diesen Fall (Auflösung des Verbandes) vorgesehenen Zweck zuzuführen. § 19.3 der geltenden Satzung sehe vor, dass im Fall der Auflösung des Verbandes das Verbandsvermögen möglichst an eine Einrichtung mit gleichen Zielen übertragen werden soll. Dies sei auch der ausdrückliche Wunsch der Vereinsbehörde, an dessen Weisungen der Abwickler gebunden sei. Es sei gewährleistet, dass die bislang vom Vorarlberger Tierschutzverband durchgeführten Tätigkeiten (somit auch jene, welche in Vollziehung der Landesaufgaben aus der Materie Tierschutz erforderlich sind) auch weiterhin vollumfänglich erbracht werden und somit ein entsprechender Bestandschutz gegeben sei. Von einer Gefährdung des Fortbestandes des Tierheimes und somit auch des Tierschutzes im Land Vorarlberg könne deshalb nicht die Rede sein.

II. Rechtslage

1. § 19 Punkt 3 der Satzung des Vorarlberger Tierschutzverbandes lautet:

"19.3. Bei Auflösung des Verbands oder bei Wegfall des bisher begünstigten Verbandszweckes ist das verbleibende Verbandsvermögen für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne der §§34 ff Bundesabgabenordnung zu verwenden, wobei das Verbandsvermögen möglichst an eine Einrichtung mit gleichen Zielen übertragen werden soll. Diese Einrichtung darf das übertragene Vermögen wieder nur für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne der §§34 ff Bundesabgabenordnung verwenden. "

2. § 270 ABGB idF BGBl I 92/2006 lautet:

"Die Bestellung eines Curators für Abwesende, oder für die dem Gerichte zur Zeit noch unbekannten Theilnehmer an einem Geschäfte findet dann Statt, wenn sie keinen ordentlichen Vertreter zurückgelassen haben, ohne solchen aber ihre Rechte durch Verzug gefährdet, oder die Rechte eines Andern in ihrem Gange gehemmet würden und nicht in anderer Weise, etwa durch die Bestellung eines Kurators in einem bestimmten gerichtlichen Verfahren durch das dort zur Entscheidung berufene Gericht, für die Wahrung dieser Rechte Sorge getragen werden kann. Ist der Aufenthaltsort eines Abwesenden bekannt, so muß ihn sein Curator von der Lage seiner Angelegenheiten unterrichten, und diese Angelegenheiten, wenn keine andere Verfügung getroffen wird, wie jene eines Minderjährigen besorgen".

3. § 11 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl 51/1991, idF BGBl I 5/2008 lautet:

"Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines Sachwalters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§109 JN) veranlassen."

III. Erwägungen

1. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Dornbirn vom , zugestellt am , wurde eine Abwesenheitskuratorin bestellt, deren Aufgabenbereich unter anderem die "Vertretung des Vereins gegenüber der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn betreffend das Verfahren zur behördlichen Auflösung" umfasst. Die Bestellung der Abwesenheitskuratorin durch das Bezirksgericht Dornbirn stützt sich auf § 270 ABGB. Begründet wird der Beschluss im Wesentlichen damit, dass auf Grund der Ungültigerklärung der Neuwahlen vom seit (Ablauf der letzten Wahlperiode) der Verein mangels eines Leitungsorgans nicht mehr handlungsfähig sei. Die "Bestellung eines Abwesenheitskurators für den Vorarlberger Tierschutzverband [ist] notwendig […], da [der Verein] derzeit über kein nach außen vertretungsbefugtes Organ verfügt und somit handlungsunfähig ist, obwohl er vertretungsbefugter Organe bedarf, um im Verfahren der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, in dem über seine Auflösung entschieden wird, rechtswirksam auftreten zu können".

Der Oberste Gerichtshof hat in dem Fall 6 Ob 323/61 zu der Vorgängerbestimmung des § 270 ABGB erwogen: "Die Vorschrift des § 276 ABGB greift auch dann ein, wenn eine juristische Person […] ihrer Organe beraubt und daher handlungsunfähig ist und dadurch die Rechte eines anderen in ihrem Gange gehemmt werden, und zwar auch dann, wenn Abhilfe durch eine konkurrierende Bestimmung der Prozessordnung geschaffen werden könnte. Hingegen kommt eine Abhilfe durch die Verwaltungsbehörde nur dann in Frage, wenn dafür die gesetzlichen Grundlagen vorhanden sind. Dies trifft beispielsweise im Falle des § 27 Abs 2 VereinsG. zu, wenn infolge behördlicher Auflösung eines Vereines von der Verwaltungsbehörde Liquidatoren zu bestellen sind. In solchen Fällen hat daher die Judikatur überwiegend - mit Ausnahme der vereinzelten Entscheidung 2 Ob 88/51 - die Bestellung eines Kurators durch das Gericht abgelehnt (2 Ob 193/51, 3 Ob 37/51, 1 Ob 475/51 u. v. a.)."

Ungeachtet des Umstands, dass seitens der Vereinsbehörde ein Abwickler bestellt wurde, hat das Gericht gemäß § 270 ABGB eine Abwesenheitskuratorin bestellt (vgl. zu gerichtlicher Bestellung eines Kurators und behördlicher Bestellung eines Liquidators auch VfSlg 2153/1951).

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Dornbirn vom wurde die Abwesenheitskuratorin ihres Amtes enthoben. Die Frage der Beschwerdeberechtigung ist jedoch nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung zu beurteilen, daher hat die nachträgliche Enthebung der Kuratorin von ihrer Funktion auf den Fortgang des Verfahrens keinen Einfluss (VfSlg 2153/1951).

2. Die Beschwerde wurde von der zum Zeitpunkt der Einbringung beim Verfassungsgerichtshof durch den zitierten Beschluss des Bezirksgerichts Dornbirn legitimierten Abwesenheitskuratorin eingebracht und ist daher zulässig; sie ist auch im Ergebnis begründet:

Die Rechtsverhältnisse eines Vereins, etwa sein Verhältnis zu seinen Organen und zu seinen Mitgliedern, sind grundsätzlich privatrechtlicher Natur und unterliegen den Regeln des Zivilrechts (VfSlg 16.298/2001, 17.049/2003). Streitigkeiten aus diesen Vereinsverhältnissen entscheiden demnach (nach Erschöpfung vereinsinterner Streitschlichtungsmechanismen) letztlich die ordentlichen Gerichte (§1 JN). Die Vereinsbehörde ist daher auch nicht zuständig, über Wahlvorgänge und vereinsinterne Meinungsverschiedenheiten zu entscheiden (VfSlg 15.825/2000 in Bezug auf das Vereinsgesetz 1951). Mit Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom wurde nun festgestellt, dass die Neuwahlen des Vorarlberger Tierschutzverbandes der am stattgefundenen Jahreshauptversammlung ungültig sind. Das Landesgericht Feldkirch bestätigte am das erstinstanzliche Urteil. Auf Grund dieses Urteils wurde die Wahl vom am aus dem Zentralen Vereinsregister gelöscht. Bis zu diesem Tag waren der in Rahmen der Neuwahl vom gewählte Präsident, ein Vizepräsident, eine Vizepräsidentin, eine Schriftführerin und ein Kassier als organschaftliche Vertreter im Zentralen Vereinsregister eingetragen.

Mit Bescheid vom wurde der Verein – da sichtlich eine Neuwahl unterblieb – von der Vereinsbehörde aufgelöst.

Die Vereinsbehörde begründet – sich auf das rechtskräftige gerichtliche Urteil stützend – die Auflösung des Vorarlberger Tierschutzverbandes damit, dass er dadurch nicht mehr den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes entspreche, weil er über keine vertretungsbefugten Vereinsorgane verfüge. Ob die Zustellung des Auflösungsbescheides durch die Vereinsbehörde an die nicht mehr vertretungsbefugten Organe überhaupt rechtmäßig ist, kann dahinstehen. Denn erst die rechtswirksame Zustellung des Auflösungsbescheides an die gerade auch für diesen Zweck gerichtlich bestellte Abwesenheitskuratorin hat – vor dem Hintergrund der im vorliegenden Fall auflösungsbegründenden Konstellation – die vier-wöchige Rechtsmittelfrist für sie und damit für den Verein, den sie vertritt, ausgelöst.

Die Zustellung erfolgte ausweislich der vorgelegten Akten am . Die Beschwerdeerhebung durch die Abwesenheitskuratorin erfolgte (ausweislich der vorgelegten Akten) am , sohin am letzten Tag der Rechtsmittelfrist.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg unterlaufen, indem es zu Unrecht die Beschwerde der Abwesenheitskuratorin als verspätet zurückwies und keine Entscheidung in der Sache traf.

IV. Ergebnis

1. Der beschwerdeführende Verein ist somit durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E583.2016