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VfGH vom 15.10.2016, E560/2016

VfGH vom 15.10.2016, E560/2016

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung der Verhaltensbeschwerde eines iranischen Asylwerbers wegen unzureichender Grundversorgung; keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien zur Entscheidung infolge Fehlens einer einfachgesetzlichen Grundlage; auch im Fall von nicht oder nicht im begehrten Ausmaß gewährten, von der Aufnahme-RL garantierten Grundversorgungsleistungen Verpflichtung zur bescheidmäßigen Erledigung eines diesbezüglichen Antrags; unionsrechtlich gebotener Rechtsschutz damit gewährleistet

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte nach illegaler Einreise in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach Angaben des Beschwerdeführers sei ihm am die Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 Asylgesetz 2005 AsylG 2005, BGBl I 100, zuletzt geändert durch BGBl I 70/2015, ausgefolgt und damit sein Antrag auf internationalen Schutz zur inhaltlichen Prüfung zugelassen worden (§28 Abs 1 AsylG 2005). Gleichzeitig sei der Beschwerdeführer in die Grundversorgung des Landes Wien aufgenommen worden. Der Beschwerdeführer habe eine "Service Karte" des Fonds Soziales Wien erhalten und sei im "Ferry-Dusika-Stadion" untergebracht worden.

1.1. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zufolge habe diese Unterkunft "den (insbesondere unionsrechtlich definierten) Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung" nicht entsprochen. So habe es mangels ausreichender Beheizung bzw. mangels Zurverfügungstellung adäquater Kleidung keinen hinreichen Schutz vor Kälte gegeben, er sei unzureichend mit Nahrungsmitteln versorgt worden, die Einrichtungen zur Körperhygiene seien für die Zahl der dort untergebrachten Personen nicht ausreichend gewesen, er habe zudem unter dem Mangel an Privatsphäre sowie unter einem inadäquaten Schlafplatz, der zunächst in Form einer Decke am Boden und später mittels Notbett zur Verfügung gestellt worden sei, gelitten. Diese Lebensumstände hätten bei ihm "Gefühle der Angst und Erniedrigung" ausgelöst, weswegen er als Ausdruck seiner Verzweiflung und Hilflosigkeit zunächst in den Hungerstreik getreten sei und sich schließlich den Mund zugenäht habe. In der Folge sei er am aufgefordert worden, das Stadion zu verlassen. Er habe seitdem das Stadion nicht mehr betreten dürfen und sei – mangels sonstiger Unterkunft – genötigt gewesen, im Freien bzw. in diversen Notschlafstellen zu übernachten. Darüber hinaus habe er seit seiner Aufnahme in die Grundversorgung des Landes Wien kein Taschengeld iSd § 3 Abs 1 Z 3 Wiener Grundversorgungsgesetz – WGVG, LBGl. 46/2004 idF LGBl 56/2010, erhalten.

1.2. Zur Geltendmachung der ihm aus seiner Sicht zustehenden adäquaten Leistungen nach dem WGVG erhob der durch einen gemeinnützigen Verein vertretene Beschwerdeführer – weil das WGVG keinen entsprechenden Rechtsschutz vorsehe – eine Verhaltensbeschwerde gemäß Art 130 Abs 2 Z 1 B VG iVm Art 26 Aufnahme-RL (s. Pkt. II.1.) und Art 47 GRC.

2. Das Verwaltungsgericht Wien wies die Verhaltensbeschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss mangels einfachgesetzlicher Grundlage als unzulässig zurück. Es führt unter Bezugnahme auf Judikatur des Verfassungsgerichtshofes aus, dass in der vorliegenden Fallkonstellation der Rechtsschutz durch die Möglichkeit der Einbringung einer Klage nach Art 137 B VG gewährleistet sei; im Konkreten verweist das Verwaltungsgericht Wien auf VfSlg 17.985/2006 zum Grundversorgungsgesetz-Bund und VfSlg 18.447/2008 zum Oö. Grundversorgungsgesetz. Daraus folgert das Verwaltungsgericht Wien, dass dem Beschwerdeführer – da eine bescheidmäßige Aberkennung oder Einschränkung der Leistungen aus der Grundversorgung behauptetermaßen nicht erfolgt sei – eine angemessene Grundversorgung weiterhin zu gewähren sei. Werde diese faktisch dennoch nicht gewährt, stehe ihm die Klage nach Art 137 B VG zur Verfügung.

3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Verletzung in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B VG) und eine wirksame Beschwerde (Art13 EMRK iVm Art 3 EMRK) sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt.

3.1. Begründend führt der Beschwerdeführer dazu – auf das Wesentliche zusammengefasst – Folgendes aus:

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage lasse sich nicht mit der in den Entscheidungen VfSlg 17.985/2006 und VfSlg 18.447/2008 jeweils relevanten Rechtslage vergleichen. Das in VfSlg 17.985/2006 relevante Grundversorgungsgesetz-Bund, BGBl 405/1991 idF BGBl I 100/2005, habe für die Einschränkung bzw. den Entzug von Grundversorgungsleistungen eine bescheidmäßige Erledigung vorgesehen, weswegen der Verfassungsgerichtshof die nach Art 137 B VG eingebrachte Klage zurückgewiesen habe. Dem in VfSlg 18.447/2008 relevanten Oö. Grundversorgungsgesetz, LGBl 12/2007, zufolge habe bei einer Einschränkung oder dem Entzug der Grundversorgung binnen vier Wochen die bescheidmäßige Feststellung durch die Landesregierung verlangt werden können. Für den Fall, dass Grundversorgungsleistungen bereits vor Bescheiderlassung entzogen worden wären, habe der Verfassungsgerichtshof die Eröffnung der Klagemöglichkeit nach Art 137 B VG als notwendig erachtet.

Im Gegensatz dazu lasse das Wiener Grundversorgungsgesetz jegliche Regelungen zu verfahrensrechtlichen Fragen bzw. zum Rechtsschutz vermissen. Zudem sei die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auf die im vorliegenden Fall heranzuziehende Rechtslage nicht übertragbar, weil es damals die Möglichkeit der Einbringung einer Verhaltensbeschwerde nach Art 130 Abs 2 Z 1 B VG, die mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 eingeführt worden sei, noch nicht gegeben habe. Mit diesem Rechtsbehelf könne jedoch nunmehr die Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Verwaltungsbehörde, das nicht einer "vertypten" Rechtssatzform (Bescheid oder Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) zugeordnet werden könne, geltend gemacht werden. Zwar finde sich im WGVG keine gesetzliche Grundlage für die Einbringung einer Verhaltensbeschwerde, ein wirksamer Rechtsbehelf sei jedoch unionsrechtlich geboten. Und als solcher könne die Verhaltensbeschwerde – auch im Hinblick darauf, dass § 13 Abs 3 VwGVG die Möglichkeit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zulasse – angesehen werden. Es bedürfe daher nicht mehr des Rückgriffs auf die Klage nach Art 137 B VG. Durch die Zurückweisung der Verhaltensbeschwerde werde der Beschwerdeführer in den oben genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.

Im Hinblick darauf, dass das WGVG keine verfahrensrechtlichen Bestimmungen vorsehe und nicht ersichtlich sei, welches Organ bzw. welche Behörde für die Vollziehung des WGVG zuständig sei, moniert der Beschwerdeführer auch die Verfassungswidrigkeit des WGVG.

3.2. Unter einem stellt der Beschwerdeführer einen "Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht".

Diesen begründet der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (u.a. EuGH, , Rs. C 213/89, Factortame I , Slg. 1990, I-2433, und , Rs. C 432/05, Unibet , Slg. 2007, I 2271) und des Verwaltungsgerichtshofes (, oder , AW 2005/17/0016) folgendermaßen:

Ihm stehe ab dem Zeitpunkt der Asylantragstellung ein aus dem Unionsrecht abgeleiteter Anspruch auf materielle Leistungen zu. Auch bei einer allenfalls vorübergehend zulässigen Einschränkung müssten unter allen Umständen die Grundbedürfnisse gedeckt sein (er verweist auf Art 18 Abs 9 der Aufnahme-RL). Die derzeitige Situation des Beschwerdeführers werde diesen Anforderungen jedoch nicht gerecht. Er sei völlig vermögens- und einkommenslos und sei nicht in der Lage, selbst grundlegende Lebensbedürfnisse zu stillen, er werde derzeit nicht adäquat versorgt, sondern lebe in einem Notquartier der Diakonie. Er verfüge über keine ausreichende Kleidung, habe keinen Zugang zu medizinischer oder psychologischer Versorgung, könne keiner regelmäßigen Körperpflege nachkommen und werde nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt. Mit dem Antrag begehrt er, dass der zuständigen Behörde aufgetragen werde, ihn wieder in die Grundversorgung aufzunehmen, um damit die ihm zustehenden Leistungen (Unterkunft, Nahrung und medizinische Versorgung) zu gewährleisten. Mangels innerstaatlicher Regelung stütze sich sein Antrag unmittelbar auf Unionsrecht.

4. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

5. Der Magistrat der Stadt Wien nahm die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Erstattung einer Äußerung nicht in Anspruch.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Nach der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABl. 2013 L 180, 96 (im Folgenden: Aufnahme-RL), die eine Neufassung der Richtlinie 2003/9/EG darstellt, haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass Asylwerber ab Stellung ihres Antrags auf internationalen Schutz materielle Leistungen, wie Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung, in Anspruch nehmen können (Art17 Abs 1 Aufnahme-RL).

Diese können gemäß Art 18 Abs 9 litb Aufnahme-RL in begründeten Ausnahmefällen für einen angemessenen, möglichst kurzen Zeitraum eingeschränkt werden, wenn "die üblicherweise verfügbaren Unterbringungskapazitäten vorübergehend erschöpft sind"; die Grundbedürfnisse müssen dabei "unter allen Umständen" gedeckt sein.

Darüber hinaus können die Leistungen unter bestimmten Umständen eingeschränkt oder entzogen werden, beispielsweise wenn der Asylwerber die ihm zugewiesene Unterbringung ohne entsprechende Information bzw. gegebenenfalls Genehmigung verlässt (Art20 Abs 1 lita), seinen Melde- und Auskunftspflichten nicht nachkommt (Art20 Abs 1 litb) oder wenn er verschwiegen hat, dass er über Finanzmittel verfügt (Art20. Abs 3). Für grobe Verstöße gegen die Vorschriften der Unterbringungszentren und grob gewalttätiges Verhalten können die Mitgliedstaaten Sanktionen festlegen (Art20 Abs 4).

Die Abs 5 und 6 des Art 20 Aufnahme-RL sehen folgende Vorgehensweise für die Einschränkung bzw. den Entzug der ihm Rahmen der Richtlinie gewährten Vorteile vor:

"Artikel 20

Einschränkung oder Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen

(1) – (4) […]

(5) Entscheidungen über die Einschränkung oder den Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen oder über Sanktionen nach den Absätzen 1, 2, 3 und 4 dieses Artikels werden jeweils für den Einzelfall, objektiv und unparteiisch getroffen und begründet. Die Entscheidungen sind aufgrund der besonderen Situation der betreffenden Personen, insbesondere im Hinblick auf die in Artikel 21 genannten Personen, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu treffen. Die Mitgliedstaaten gewährleisten im Einklang mit Artikel 19 in jedem Fall Zugang zur medizinischen Versorgung und gewährleisten einen würdigen Lebensstandard für alle Antragsteller. Entscheidungen über die Einschränkung oder den Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen oder über Sanktionen nach den Absätzen 1, 2, 3 und 4 dieses Artikels werden jeweils für den Einzelfall, objektiv und unparteiisch getroffen und begründet."

Im Fall von abschlägigen Entscheidungen sieht die Aufnahme-RL folgenden Rechtsschutz vor:

"Artikel 26

Rechtsbehelfe

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass gegen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gewährung, dem Entzug oder der Einschränkung von Vorteilen gemäß dieser Richtlinie oder gegen Entscheidungen gemäß Artikel 7, die Antragsteller individuell betreffen, ein Rechtsbehelf nach den im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren eingelegt werden kann. Zumindest in der letzten Instanz ist die Möglichkeit einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch eine Justizbehörde vorzusehen.

(2)-(6) […]"

Die soeben genannten Bestimmungen entsprechen in allen hier wesentlichen Punkten jenen der ursprünglichen Richtlinie 2003/9/EG (s. VfSlg 18.447/2008).

2. Vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben und in Übereinstimmung mit der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art 15a B VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde […] in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung – Art 15a B VG), BGBl I 80/2004, wurde in Wien das Wiener Grundversorgungsgesetz, LGBl 46/2004, erlassen.

Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§1. (1) Leistungen nach diesem Gesetz werden an hilfs- und schutzbedürftige Fremde erbracht.

(2) Hilfsbedürftig ist, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

(3) Schutzbedürftig sind:

1. Fremde, die nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997 – AsylG), BGBl I Nr 76, einen Asylantrag gestellt haben (Asylwerber) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens,

2. – 5. […]

(4) – (5) […]

§2. (1) Leistungen der Grundversorgung nach diesem Gesetz können einem hilfs- und schutzbedürftigen Fremden gewährt werden, der seinen Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen seinen Aufenthalt in Wien hat.

(2) […]

§3. (1) Die Grundversorgung umfasst:

1. Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Achtung der Menschenwürde und unter Beachtung der Familieneinheit (einschließlich der eingetragenen Partnerschaft),

2. Versorgung mit angemessener Verpflegung,

3. Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Personen in organisierten Unterkünften und für unbegleitete minderjährige Fremde, ausgenommen bei individueller Unterbringung,

4. Durchführung einer medizinischen Untersuchung im Bedarfsfall bei der Erstaufnahme nach den Vorgaben der gesundheitsbehördlichen Aufsicht,

5. Sicherung der Krankenversorgung im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, durch Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge,

6. Gewährung allenfalls über die Krankenversorgung gemäß Z 5 hinausgehender notwendiger, durch die Krankenversicherung nicht abgedeckter Leistungen nach Einzelfallprüfung,

7. Maßnahmen für pflegebedürftige Personen,

8. Information, Beratung und soziale Betreuung des Fremden durch geeignetes Personal unter Einbeziehung von Dolmetschern zu dessen Orientierung in Österreich und zur Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr,

9. Übernahme von Beförderungskosten bei Überstellungen und behördlichen Ladungen,

10. Übernahme der für den Schulbesuch erforderlichen Fahrtkosten und Bereitstellung des Schulbedarfs für Schüler,

11. Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufes im Bedarfsfall,

12. Gewährung von Sach- oder Geldleistungen zur Erlangung der notwendigen Bekleidung,

13. Kostenübernahme eines ortsüblichen Begräbnisses oder eines Rückführungsbetrages in derselben Höhe und

14. Gewährung von Rückkehrberatung, von Reisekosten sowie einer einmaligen Überbrückungshilfe bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland in besonderen Fällen.

(2) Die Grundversorgung kann, wenn damit die Bedürfnisse des Fremden ausreichend befriedigt werden, auch in Teilleistungen gewährt werden.

(3) Einem Fremden, der die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Unterkunft durch sein Verhalten fortgesetzt und nachhaltig gefährdet, kann die Grundversorgung gemäß Abs 1 eingeschränkt oder eingestellt werden. Das Gleiche gilt im Anwendungsfall des § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991.

(4) Durch die Einschränkung oder Einstellung der Leistungen darf die medizinische Notversorgung des Fremden nicht gefährdet werden.

(5) […]"

§4 WGVG enthält Regelungen zum Datenaustausch, zur Datenverarbeitung und Datenverwendung, § 5 normiert die sprachliche Gleichbehandlung von Mann und Frau, § 6 stellt klar, auf welche Fassungen sich die im Gesetz enthaltenen Verweisungen beziehen.

Regelungen zu Rechtsschutz, Rechtsbehelfen oder zu der Frage, welches Organ bzw. welche Behörde für die Vollziehung des Gesetzes zuständig ist, enthält das WGVG nicht. Auch die Materialien lassen diese Punkte offen.

3. Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien auf Art 130 Abs 2 Z 1 B VG. Diese Bestimmung lautet:

"Artikel 130. (1) […]

(2) Durch Bundes- oder Landesgesetz können sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über

1. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze […]

2. […]

3. […]

vorgesehen werden. […]

(3) (5) […]"

In den Materialien (RV 1618 BlgNR 24. GP) heißt es zu dieser Bestimmung:

"Nach dem vorgeschlagenen Art 130 Abs 2 können durch Bundes- oder Landesgesetz sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit vorgesehen werden. Solche Beschwerden können nur andere als die in Abs 1 Z 1 bis 4 genannten Beschwerdegegenstände, also nicht typengebundenes Verwaltungshandeln und andere Weisungen als solche nach Art 81a Abs 4 B VG, zum Gegenstand haben. Sie sind jedoch nach der vorgeschlagenen Z 1 auf den Bereich der Hoheitsverwaltung ('Verhalten einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze'; vgl. Art 23 Abs 1 B VG) beschränkt. Akte der Gerichtsbarkeit kommen daher ebenso wenig als Beschwerdegegenstand in Betracht wie Akte der sog. Privatwirtschaftsverwaltung oder sog. Verwaltungsrechtliche Verträge. […]"

4. Die folgende Begründung stützt sich auch auf § 107 Wiener Stadtverfassung, LGBl 28/1968; dieser lautet:

"Angelegenheiten der Bezirksverwaltung

§107. Der Magistrat hat unter Leitung und Verantwortung des Bürgermeisters die Angelegenheiten der Bezirksverwaltung zu besorgen."

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

1. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter rügt, ist ihm Folgendes zu entgegnen:

Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung annimmt, wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Entscheidung einer Behörde dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg 9696/1983, 11.405/1987).

Im vorliegenden Fall liegt eine einfachgesetzliche Grundlage, die gemäß Art 130 Abs 2 Z 1 B VG die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien zur Entscheidung über die eingebrachte Verhaltensbeschwerde begründen würde, nicht vor. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Beschwerde daher zu Recht zurückgewiesen (siehe dazu auch ).

2. Zur behaupteten Verletzung im verfassungsgesetzlich durch Art 13 iVm Art 3 EMRK (bzw. Art 47 iVm Art 4 GRC) gewährleisteten Recht auf eine wirksame Beschwerde:

2.1. Das WGVG enthält keine den Rechtsschutz regelnden Bestimmungen. Mit der Umsetzung der Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Wien wurde mit Beschluss des Wiener Gemeinderates der Fonds Soziales Wien betraut (s. Sitzungsprotokoll des Wr. Gemeinderates, 17. GP, 43. Sitzung, 6). Der Fonds Soziales Wien ist mit keinen hoheitlichen Befugnissen ausgestattet (vgl. Satzung des Fonds Soziales Wien bzw. Herwei/Mayr/Wendel , [Autonome] wirtschaftliche Einrichtungen, in: Holoubek/Madner/Pauer [Hrsg.], Recht und Verwaltung in Wien, 2014, 881 [891]). Betrachtet man also die rechtstechnischen Mittel, die der Wiener Landesgesetzgeber zur Verwirklichung der Grundversorgung bereitgestellt hat, und die Tatsache, dass der dafür zuständige Verwaltungsträger – der Fonds Soziales Wien – mit keinen hoheitlichen Befugnissen ausgerüstet wurde, werden Leistungen nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz grundsätzlich im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (vgl. VfSlg 3262/1957).

2.2. Im vorliegenden Fall fällt das Wiener Grundversorgungsgesetz in einem Teilbereich – nämlich soweit Personen davon betroffen sind, die einen Antrag auf internationalen Schutz (§1 Abs 3 Z 1 WGVG; § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005) gestellt haben – in den Anwendungsbereich der Aufnahme-RL. Insoweit sind daher die Bestimmungen der Aufnahme-RL zu berücksichtigen und die Bestimmungen des Wiener Grundversorgungsgesetzes im Lichte der Richtlinie auszulegen (vgl. VfSlg 14.391/1995; zur richtlinienkonformen Interpretation siehe weiters VfSlg 15.354/1998, 16.737/2002, 18.362/2008, 19.518/2011; von Colson und Kamann , Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891; , Marleasing SA , Rs. C 106/89, Slg. 1990, I-4135, sowie , Faccini Dori , Rs. C 91/92, Slg. 1994, I-3325 ).

Nach Art 20 Abs 5 der Aufnahme-RL setzt die Einschränkung bzw. der Entzug von Grundversorgungsleistungen eine im Einzelfall begründete Entscheidung voraus; diese Entscheidung muss im Rahmen eines in der nationalen Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsweges bekämpfbar sein (Art26 Aufnahme-RL). Nun ist es aus unionsrechtlicher Sicht unerheblich, ob staatliche Leistungen durch Vertrag oder hoheitlichen Verwaltungsakt gewährt werden (s. bspw. , Huber, Slg. 2002, I-7736, Rz 60 ff., betr. staatliche Beihilfen im landwirtschaftlichen Bereich). Die Verfassung stellt es dem einfachen Gesetzgeber ebenso weithin frei, eine Angelegenheit entweder dem Bereich hoheitlicher oder dem Bereich privatwirtschaftlicher Vollziehung zuzuweisen (vgl. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger , Bundesverfassungsrecht 11 , 2015, Rz 565).

Der Verfassungsgerichtshof leitete jedoch bereits in seinem Beschluss VfSlg 18.447/2008 aus dem von der Aufnahme-RL vorgezeichneten Rechtsschutzsystem ab (wie bereits unter Pkt. II.1. festgehalten, entspricht die Rechtslage nach der neuen Fassung der Aufnahme-RL im Bereich des Rechtsschutzes der ursprünglichen – damals maßgeblichen – Rechtslage), "dass die Grundversorgung nur infolge eines rechtsgestaltenden Bescheides entzogen oder eingeschränkt werden darf".

Weiters führte der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss wörtlich aus:

"Da im vorliegenden Fall kein Bescheid erlassen wurde, der die Einschränkung bzw. Entziehung der Grundversorgungsleistungen gegenüber dem Beschwerdeführer anordnet, sind diese Leistungen weiterhin zu gewähren. Der Umstand, dass noch kein Bescheid erlassen wurde, und die Zurückweisung des Devolutionsantrags greifen somit nicht in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers ein. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im vorliegenden Fall die Behörde – trotz des Fehlens eines Rechtsgestaltungsbescheides – die Grundversorgungsleistungen faktisch eingeschränkt bzw. entzogen hat. Um dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot im Rahmen des österreichischen Rechtsschutzsystems zu entsprechen, könnte der Beschwerdeführer bei faktischer Vorenthaltung der Grundversorgung eine Klage nach Art 137 B VG erheben, solange und insoweit die Entziehung der Grundversorgung noch nicht durch Bescheid verfügt wurde."

2.3. Wie der Verfassungsgerichtshof zur möglichen Klagsführung nach Art 137 B VG im Erkenntnis vom , A15/2015, dargelegt hat, kann diese Rechtsprechung mit Blick auf die mittlerweile ergangene Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (, Saciri ) nicht aufrecht erhalten werden. Die Leistungen gemäß der Aufnahme-RL sind den Asylwerbern bei Vorliegen der Voraussetzungen grundsätzlich unmittelbar, ohne dass es einer weiteren Antragstellung bedarf, zu gewähren. Sofern solche Leistungen nicht gewährt werden, ist es nach dem österreichischen Rechtsschutzsystem erforderlich, dass darüber eine behördliche Entscheidung ergeht, damit die in Art 26 Aufnahme-RL enthaltenen Anforderungen an den Rechtsschutz in einer dem Effizienzgebot entsprechenden Weise erfüllt werden: Nach Art 26 Aufnahme-RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass auch gegen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gewährung, dem Entzug oder der Einschränkung von Vorteilen gemäß der Aufnahme-RL ein Rechtsbehelf nach dem im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren eingelegt werden kann und zumindest in der letzten Instanz die Möglichkeit einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch eine Justizbehörde vorgesehen ist.

Es hat daher nicht nur, wie der Verfassungsgerichthof bereits in VfSlg 18.447/2008 ausgesprochen hat, im Falle von Einschränkungen bzw. Entziehung von Leistungen, die von der Aufnahme-RL garantiert werden, eine bescheidmäßige Erledigung zu erfolgen, sondern stets dann, wenn Leistungen nach der Aufnahme-RL nicht oder nicht in dem vom betreffenden Asylwerber begehrten Ausmaß gewährt werden. Sofern eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, keine oder ihrer Auffassung nach unzureichende Leistungen gemäß der die Aufnahme-RL umsetzenden gesetzlichen Bestimmungen (hier: § 3 WGVG) erhält, hat sie die Möglichkeit, mit einem Antrag derartige Leistungen bzw. solche Leistungen in der von ihr als gesetzmäßig erachteten Weise zu begehren; über diesen Antrag ist mit Bescheid abzusprechen. In der Folge besteht der – Art 26 Aufnahme-RL entsprechende – Rechtsschutz gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B VG, wonach gegen einen solchen Bescheid die Landesverwaltungsgerichte und anschließend die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts anrufbar sind.

Zuständig zur Erlassung eines derartigen Bescheides ist, da es sich um Landesvollziehung handelt und keine andere Behörde dazu gesetzlich berufen ist, gemäß § 107 Wiener Stadtverfassung der Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde.

3. Soweit in der Beschwerde die Verfassungswidrigkeit des WGVG behauptet wird, ist festzuhalten, dass die diesbezüglichen Ausführungen in keiner Weise substantiiert sind; im Übrigen ist auf die oben getätigten Ausführungen zu verweisen.

4. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht. Nur am Rande sei erwähnt, dass sich dem Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt entnehmen lässt, dass der Beschwerdeführer rückwirkend mit wieder in die Grundversorgung aufgenommen wurde. Laut im Akt befindlicher Meldeauskunft war der Beschwerdeführer bis zum in einer Unterkunft der Diakonie im 9. Wiener Gemeindebezirk gemeldet. Insofern scheint die vom Beschwerdeführer behauptete Dringlichkeit im Sinne der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (zB und C 92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest , Slg. 1991, I-534, Rz 29) nicht gegeben zu sein (vgl. ).

IV. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E560.2016