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OGH vom 11.06.2008, 13Os63/08a

OGH vom 11.06.2008, 13Os63/08a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Just als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mario B***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 24 Hv 119/06y-90, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auch Freisprüche - von denen übrigens der erste (US 4 erster Absatz) als „Subsumtionsfreispruch" in Betreff der rechtlichen Nichtannahme idealkonkurrierender strafbarer Handlungen nach § 201 Abs 1 StGB (US 9 unten, 24 Mitte) unangebracht war (Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1, Fabrizy StPO10 § 259 Rz 16) - enthaltenden angefochtenen Urteil wurde Mario B***** einer unbestimmten Zahl von Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Innsbruck mit nachfolgend angeführten unmündigen Personen den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar:

1. in der Zeit von ca 1994 bis ca Ende 2001 mit dem am geborenen David Ö*****, indem er an diesem wiederholt den Analverkehr durchführte bzw diesen dazu veranlasste, an ihm den Analverkehr durchzuführen;

2. in der Zeit von ca 1999 bis Ende 2001 mit dem am geborenen Alexander L*****, indem er an diesem wiederholt den Analverkehr durchführte bzw diesen veranlasste, an ihm den Analverkehr durchzuführen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Der Verteidiger hatte in der Hauptverhandlung einen die Sachverständige Mag. Dr. Ernestine T***** betreffenden Ablehnungsantrag mit der Begründung gestellt, dass sie - zusammengefasst wiedergegeben - nicht über die notwendige fachliche Spezialisierung und Ausbildung für forensische Aussagepsychologie verfüge und „darüber hinaus den Gutachterauftrag des Gerichts klar überschritten" habe; sie habe „nicht die notwendige Unterscheidung zwischen der Tätigkeit eines gerichtlichen Sachverständigen und eines Therapeuten ihrer Tätigkeit und ihrem Gutachten zu Grunde gelegt" (S 27 f/IV).

Erhebliche Einwendungen gegen die Person des Sachverständigen, entweder wegen Befangenheit oder wegen fehlender fachlicher Qualifikation, sind aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO beachtlich (Hinterhofer, WK-StPO § 120 Rz 5 und 9 mwN zur hier - gemäß § 516 Abs 1 StPO - maßgeblichen Rechtslage vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 2004/19; nicht anders übrigens nun § 126 Abs 3 letzter Satz und Abs 4 iVm § 248 Abs 1 erster Satz StPO; Hinterhofer, ÖJZ 2008, 397 [400 f]), vorausgesetzt, der Antrag, statt des vom Gericht ausgewählten Sachverständigen einen anderen zu bestellen, wurde substanziiert begründet.

Davon kann bei dem zur Fundierung des Antrags in der Hauptverhandlung erstatteten allgemein gehaltenen Vorbringen über Aufgaben von Sachverständigen und Therapeuten (S 27/IV Mitte bis unten) nicht gesprochen werden. Gleiches gilt für die bei Antragstellung vorgetragene Behauptung des Angeklagten (S 27/IV unten, 29/IV oben), die vom Gericht bestellte Sachverständige habe „durch ihr nicht in Auftrag gegebenes Täterprofil ihre wertende Haltung gegenüber dem als unschuldig zu geltenden Angeklagten zum Ausdruck gebracht und damit die Schranken der Objektivität eines gerichtlichen Sachverständigen überschritten", die ganz im Unklaren ließ, auf welche konkreten Ausführungen der Expertin in deren sehr umfangreichem Gutachten (S 1 bis 613/II, 19 bis 25/IV) er sich beziehen wollte.

Der in der Hauptverhandlung gestellte Antrag auf „Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die beiden Belastungszeugen David Ö***** und Alexander L***** zum Beweis dafür, dass die Aussagen der beiden Zeugen nicht ein eigenes Erleben, sondern eine indizierte Wahrheit wiedergeben" (S 29/IV), zielte auf ein weiteres Gutachten zu dem schon von der Sachverständigen Mag. Dr. Ernestine T***** beleuchteten Themenkomplex ab (ON 42 bis 45, S 19 ff/IV), ohne Mängel des bereits vorliegenden Befundes und Gutachtens auch nur zu behaupten, die aber - abgesehen vom ebenso wenig reklamierten Fall besonderer Schwierigkeit (§ 118 Abs 2 StPO aF) - gemäß §§ 125, 126 Abs 1 StPO aF (desgleichen übrigens nunmehr nach § 127 Abs 3 StPO) Voraussetzung der Beiziehung eines zweiten Sachverständigen sind. Die weiters beantragte „Einholung eines gerichtspsychiatrischen Gutachtens über den Angeklagten zur Widerlegung des Täterprofils, das sich im Gutachten der Sachverständigen Dr. T***** findet, dies zum Beweis dafür, dass der Angeklagte keine pädophilen Neigungen hat, keine homosexuellen Neigungen hat und nicht gewalttätig ist" (S 29/IV), betraf ein im gegebenen Fall unerhebliches Beweisthema, stellten doch die Tatrichter, wie sie schon im abweisenden Zwischenerkenntnis zum Ausdruck brachten, auf die im Antrag angesprochenen Persönlichkeitszüge gar nicht ab (S 33/IV; vgl US 23). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.