VfGH vom 08.06.2020, E535/2020 ua
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtiger betreffend eine irakische Familie; keine Ausführungen zur Gesundheitsversorgung und Behandlungsmöglichkeit von Epileptikern
Spruch
I.1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln sowie gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.400,80 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Republik Irak und gehören der arabischen Volksgruppe an. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer.
2. Am stellten die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer in Österreich Anträge auf internationalen Schutz und begründeten diesen im Wesentlichen damit, dass im Irak eine unruhige Lage bestehe und der Erstbeschwerdeführer immer wieder von Milizen gezwungen worden sei, in den Kampf zu ziehen. Dies habe der Erstbeschwerdeführer jedoch abgelehnt, weshalb die Milizen angefangen hätten, ihn anfangs mit Drohbriefen und schließlich auch persönlich mit dem Umbringen und mit Folter zu bedrohen. Einmal sei der Erstbeschwerdeführer auch verprügelt worden. Dadurch habe er immer mehr Angst und auch Depressionen bekommen. Bei einer niederschriftlichen Einvernahme am brachten die Beschwerdeführer ergänzend vor, dass sie in Österreich mittlerweile zum Christentum konvertiert seien.
3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom wurden sowohl die Anträge der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgelegt. Gegen den Bescheid erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Am wurde die Sechstbeschwerdeführerin geboren und im Zuge des Familienverfahrens ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Mit Bescheid vom wies das BFA sowohl den Antrag der Sechstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten ab und erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Weiters wurde gegen die Sechstbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei. Auch der Sechstbeschwerdeführerin wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gesetzt.
4. Die gegen die Bescheide des BFA vom und vom erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
5. Zum Gesundheitszustand des minderjährigen Drittbeschwerdeführers, bei dem in Österreich eine fokale Epilepsie festgestellt wurde, führte das Bundesverwaltungsgericht das Folgende aus:
"Bezüglich des Drittbeschwerdeführers wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Kurzarztbrief des LKH H[...], Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, datierend vom vorgelegt. In diesem wird bestätigt, dass sich der Drittbeschwerdeführer wegen seiner fokalen Epilepsie bereits seit drei Jahren in medizinischer Kontrolle befindet. Dabei verkrampfen sich im Wachzustand für eine halbe Minute die rechte Hand mit Überstreckung der Finger und die rechte Gesichtshälfte bzw der rechte Mundwinkel. Die Augen drehen sich bei den Krampfanfällen nach oben. Die Symptome würden rund sechs Mal am Tag auftreten. Darüber hinaus zeigen die durchgeführten Befunde des Gehirns keinerlei Auffälligkeiten und ergaben auch das EEG keine Anzeichen für die erhöhte Erregungsbereitschaft bzw auch keine regionale Verlangsamung des Großhirns. Aus einem Parteiengehör der Bildungsdirektion Steiermark vom und einem schulpsychologischen Gutachten vom resultiert die Feststellung, dass der Drittbeschwerdeführer eine leichte Intelligenzminderung und Belastungsreaktionen aufweist. […] Die Feststellung, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Erst- bis Drittbeschwerdeführer einer Rückkehr in den Irak nicht entgegensteht, ergibt sich daraus, dass die Leiden der Beschwerdeführer offenkundig bereits in ihrem Herkunftsstaat bestanden haben […].Hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Drittbeschwerdeführers ist auszuführen, dass diese einer Rückkehr ebenfalls nicht entgegensteht. Aus dem Kurzar[z]tbrief des LKH H[...] leitet sich ab, dass der Beschwerdeführer erstmalig im August 2016 in Österreich untersucht wurde und sich aus der Anamnese seines letzten Kontrolltermins vom April 2019 die gleichbleibenden Probleme geschildert werden. Aus den Ausführungen des Kurzarztbriefes ergeben sich keine Anzeichen für eine lebensbedrohliche Erkrankung. Zudem ergibt sich aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes, dass die für Epilepsie erforderlichen Behandlungsmöglichkeiten sowohl in Bagdad als auch in der Provinz Najaf gegeben sind (vgl den Bericht der Irakischen Vereinigung gegen Epilepsie – https://www.ilae.org/regions-and-countries/national-chapters/iraq)."
Weiters führte das Bundesverwaltungsgericht zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers aus, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht habe, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, sondern schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, allerdings müsse der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerkes und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen seien (EGMR, [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10, Z 189 ff.). Wie sich aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes ergebe, seien die Zivilisationskrankheiten, an denen der Erstbeschwerdeführer leide, im Irak behandelbar. Ebenso ergebe sich aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes, dass Epilepsie im Irak medizinisch behandelt werde. Wie der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin zuletzt im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben hätten, hätten sich sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Leiden im Irak einer medizinischen Behandlung unterzogen.
6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK, auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK sowie im Recht darauf, keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Darüber hinaus beantragten die Beschwerdeführer, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Diesem Antrag wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom Folge gegeben. Begründend wird in der Beschwerde im Wesentlichen das Folgende ausgeführt:
6.1. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes sei auf Grund des Unterlassens eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und dadurch geübter Willkür mit in die Verfassungssphäre der Beschwerdeführer reichender Rechtswidrigkeit behaftet. Das Bundesverwaltungsgericht habe eine nachvollziehbare und nachprüfbare Auseinandersetzung mit der Lage der Beschwerdeführer und der konkreten Situation der Beschwerdeführer unter den im Irak vorherrschenden Umständen verabsäumt und keine ausreichende Refoulement-Prüfung durchgeführt. Die Beschwerdeführer hätten nachvollziehbar geschildert, aus welchen asylrelevanten Gründen – nämlich auf Grund der Verfolgung durch iranische Milizen und auf Grund ihrer Konversion zum Christentum – sie ihren Heimatstaat verlassen mussten. Im Fall der Ausübung ihres christlichen Glaubens drohten den Beschwerdeführern im Heimatstaat sowohl von staatlicher als auch von privater Seite schwere Sanktionen und somit asylrelevante Verfolgung. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfüllten die Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten bzw jedenfalls des Status der subsidiär Schutzberechtigten.
6.2. Das Bundesverwaltungsgericht habe zudem die Integrationsbemühungen der Beschwerdeführer völlig außer Acht gelassen und die Beschwerdeführer in ihrem durch Art 8 EMRK geschützten Recht auf Achtung ihres Privatlebens verletzt.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln sowie gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt die im Lichte dessen notwendige Auseinandersetzung mit der gesundheitlichen Situation des Drittbeschwerdeführers im Hinblick auf eine, nach seiner Rückführung in den Herkunftsstaat erfolgende, mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art 3 EMRK nicht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise vor (vgl hiezu ua; , E381/2016 ua; , E1085/2016 ua mwN); das Bundesverwaltungsgericht führt insbesondere keine hinreichende Prüfung des Einzelfalles anhand der Kriterien aus der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10; vgl zuletzt auch EGMR , Fall Savran, Appl 57.467/15) durch (zur Maßgeblichkeit einer Prüfung des Einzelfalles anhand der Kriterien dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in vergleichbaren Fällen vgl bereits ua; , E3796/2018; , E4253/2019 ua; , E2373/2019 ua):
3.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht lässt entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte das junge Alter des Drittbeschwerdeführers und damit seine sich daraus ergebende besondere Vulnerabilität außer Betracht (zur Relevanz besonderer Vulnerabilität einer Person in diesem Zusammenhang vgl ) und misst diesem Umstand für die Beurteilung der Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK keine hinreichende Bedeutung zu (vgl zur Maßgeblichkeit dieses Kriteriums EGMR [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10, [Z174] sowie ua).
3.2.2. Zudem stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Erwägungen im angefochtenen Erkenntnis wesentlich auf die Annahme, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Drittbeschwerdeführers einer Rückkehr in den Irak nicht entgegenstehe, da sich aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes ergebe, dass die für Epilepsie erforderlichen Behandlungsmöglichkeiten sowohl in Bagdad als auch in der Provinz Najaf gegeben seien und verweist diesbezüglich auf den Bericht der Irakischen Vereinigung gegen Epilepsie unter Hinweis auf deren Homepage. In den vom Bundesverwaltungsgericht abgedruckten Länderberichten finden sich keinerlei nähere Informationen zur Gesundheitsversorgung im Irak und weist das Bundesverwaltungsgericht lediglich allgemein darauf hin, dass sich aus den Länderberichten die Sicherstellung der grundlegenden medizinischen Versorgung im Irak ergebe.
3.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dabei nicht ausreichend mit der individuellen Situation des Drittbeschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr in den Irak auseinandergesetzt und die für diese Auseinandersetzung maßgeblichen Ermittlungsschritte unterlassen. Im angefochtenen Erkenntnis wird zwar der Gesundheitszustand des minderjährigen Drittbeschwerdeführers thematisiert, eine Auseinandersetzung mit der konkreten Krankheit im Einzelfall und ihrem Schweregrad findet jedoch nicht statt. Der bloße Hinweis, dass sich aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes bzw aus der Homepage der Irakischen Vereinigung gegen Epilepsie die Behandlungsmöglichkeiten von Epilepsie sowohl in Bagdad als auch in der Provinz Najaf ergäben, stellt keine hinreichende Ermittlung der Behandlungsmöglichkeiten von Epilepsie im Irak sowie der konkreten Versorgungslage betreffend die zur Behandlung notwendigen spezifischen Medikamente dar. Zudem fehlt eine Auseinandersetzung mit dem individuellen Zugang des Drittbeschwerdeführers zu den im Irak (angeblich) vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten, auf die das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung stützt. Es findet auch keine Erwähnung dazu statt, welche Distanz zwischen dem Wohnort des Drittbeschwerdeführers, der zuletzt in der Stadt Al-Diwaniya gelebt hat, und den Behandlungseinrichtungen liegt (vgl zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien EGMR [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10, [Z190]; ua).
3.2.4. Die angefochtene Entscheidung ist aus diesen Gründen im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Drittbeschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Irak drohenden Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 3 EMRK mit Willkür behaftet und erweist sich – soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird – schon aus diesem Grund als verfassungswidrig. Sie ist insoweit aufzuheben.
3.3. Dieser Mangel schlägt gemäß § 34 Abs 4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die übrigen Beschwerdeführer durch (s VfSlg 19.855/2014; ua; , E2094/2018 ua; , E2373/2019 ua), weshalb diese auch – im selben Umfang wie jene des Drittbeschwerdeführers – hinsichtlich der übrigen Beschwerdeführer aufzuheben ist.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der Beschwerdeführer in allen Aspekten rechtmäßig beurteilt hat, insoweit nicht anzustellen.
4.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln sowie gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 654,–, zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 566,80 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießen.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E535.2020 |
Schlagworte: | Asylrecht / Vulnerabilität, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung |
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