OGH vom 03.08.2021, 14Os84/21s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. SetzHummel LL.M. und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Gsellmann in der Strafsache gegen ***** A***** und andere Beschuldigte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 27 HR 151/18s des Landesgerichts Salzburg, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten ***** S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom , AZ 8 Bs 92/21t (ON 826 der HRAkten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
***** S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.
Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 960 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Linz der Beschwerde des ***** S***** gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 27 HR 151/18s-727, mit dem die über den Genannten, dessen Festnahme aufgrund Europäischen Haftbefehls am in Deutschland erfolgt war (ON 642 S 2 der HR-Akten), am verhängte (ON 679 der HR-Akten) Untersuchungshaft fortgesetzt worden war, nicht Folge und setzte diese aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.
[2] Dabei ging das Beschwerdegericht vom dringenden Verdacht aus, S***** habe vom Anfang des Jahres 2016 bis zum in B***** und andernorts
(I) vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 10 Mio Stück Captagon-Tabletten (Wirkstoff Fenetyllin mit noch festzustellendem Reinheitsgrad, [BS 4]„von marktfähiger Güte“), in wiederholten Angriffen durch jeweils grenzüberschreitenden Transport vom Libanon über Belgien und Deutschland nach Österreich und weiter nach Saudi-Arabien ein- und ausgeführt, wobei er die Taten als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher Straftaten nach § 28a Abs 1 SMG begangen hat, und zwar unter führender Tätigkeit des ***** A***** und unter Beteiligung von weiteren 13 im Beschluss namentlich genannten und unbekannten Tätern und
(II) sich dadurch an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich von Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, als Mitglied beteiligt.
[3] Diese Taten subsumierte das Beschwerdegericht mehreren (vgl aber RIS-Justiz RS0117464 [T12, T 14], RS0131856 [T4], RS0132322) Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG (I) und einem Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a zweiter Fall StGB (II).
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des S*****.
[5] Zu Recht wendet die Beschwerde das Fehlen einer Sachverhaltsbasis in Bezug auf die subjektive Tatseite ein.
[6] Setzt das Oberlandesgericht im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung (§ 87 Abs 1 StPO) die Untersuchungshaft fort, muss es nämlich selbst Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht treffen, welche die rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob durch die solcherart als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen
– in objektiver wie in subjektiver Hinsicht – eine hafttragende strafbare Handlung begründet wird (RIS-Justiz RS0120817 [insb T 7]).
[7] Diesem Erfordernis wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, indem sie sich zum Vorsatz auf die Überlegung beschränkt, „die qualifizierte Verdachtslage zur objektiven und (in der konkreten Fallkonstellation daraus abzuleitenden) subjektiven Tatseite“ resultiere aus bestimmt bezeichneten Beweismitteln (BS 2 f). Auch der (grundsätzlich zulässige [Kirchbacher/Rami, WKStPO § 174 Rz 12 f mwN], RISJustiz RS0122395) Verweis auf die Ausführungen des Erstgerichts (BS 2) ist vorliegend nicht zielführend, weil der Beschluss des Landesgerichts Salzburg gleichfalls keine hinreichend deutlichen Sachverhaltsannahmen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale enthält. Auch der Hinweis des Beschwerdegerichts auf seine „Bezug habenden Überlegungen“ in (die Mitbeschuldigten betreffenden) vorhergehenden Beschwerdeentscheidungen (BS 2) geht mangels jeglicher Ausführungen zur subjektiven Tatseite des S***** ins Leere.
[8] Demzufolge sei insbesondere auf nachstehende Vorsatzerfordernisse hingewiesen:
[9] Beim Tatbestand des § 28a Abs 1 SMG muss sich der Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) des Täters auf die vorschriftswidrige (hier) Ein- und Ausfuhr von Suchtmittel in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, bei der Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 3 SMG auf eine solche in Bezug auf die Überschreitung des 25Fachen der Grenzmenge beziehen. Die Ein- und Ausfuhr (gegebenenfalls) mehrerer, für sich allein diese Grenzmengen nicht übersteigender Suchtgiftmengen erfordert zudem, dass die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von Anfang an vom Vorsatz des Beschuldigten umfasst waren (Schwaighofer in WK2 SMG § 28a Rz 9, 23/1, 50; RISJustiz RS0088011, RS0131856 [T4]). Die Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 2 SMG bedingt den Vorsatz des Beschuldigten auf die Tatbegehung als Mitglied einer solchen Verbindung (Schwaighofer in WK2 SMG § 28a Rz 46). „Als Mitglied“ handelt der Täter, wenn er im Rahmen seiner Tätigkeit für das Kollektiv als funktionell und nicht bloß punktuell eingegliederter Part im arbeitsteilig strukturierten und auf eine gewisse Dauer ausgerichteten Ganzen deliktisch agiert (RISJustiz RS0118505; Schwaighofer in WK2 SMG § 28a Rz 45 mwN).
[10] Der Tatbestand des § 278a zweiter Fall StGB („sich an einer kriminellen Organisation als Mitglied beteiligen“) erfordert einen auf das Bestehen einer kriminellen Organisation, deren Ausrichtung und kriminelle Zielsetzungen und das organisations- oder deliktsbezogene Tätigwerden in dieser gerichteten Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) des Täters (Plöchl in WK2 StGB § 278a Rz 29; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4§ 278a Rz 8).
[11] Das von der Grundrechtsbeschwerde zutreffend aufgezeigte Defizit der Sachverhaltsannahmen erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung, nicht aber die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 und 2 GRBG, RIS-Justiz RS0119858).
[12] Hinzugefügt sei, dass der angefochtene Beschluss zu I schon in objektiver Hinsicht keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage betreffend Tathandlungen des S***** zur Ein- und Ausfuhr von Suchtgift enthält. Der grenzüberschreitende Transport des Suchtgifts erfolgte nach der Beschwerdeentscheidung nicht durch S***** (BS 2 ff), sodass für die Annahme unmittelbarer Täterschaft (§ 12 erster Fall StGB) erforderliche Ausführungshandlungen des Beschwerdeführers (RISJustiz RS0089420) gerade nicht angenommen wurden. Ob dieser durch seine „vergleichsweise enger eingegrenzte[n] Hilfsdienste“ (BS 3 und 5) für die Ein- und Ausfuhr Beitragshandlungen (§ 12 dritter Fall StGB; zur rechtlichen Gleichwertigkeit RISJustiz RS0117604) gesetzt (und sich auch sein Vorsatz darauf bezogen) hat, ist dem angefochtenen Beschluss ebenfalls nicht zu entnehmen.
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG. Die Höhe der Beschwerdekosten gründet auf § 1 der GRBKV 2020 BGBl II 2019/416.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00084.21S.0803.000 |
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