OGH vom 03.08.2005, 9ObA99/05g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Kaszanits und Franz Gansch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Walter F*****, vertreten durch Forcher-Mayr & Kantner Rechtsanwälte Partnerschaft in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Georg Grießer, Dr. Roland Gerlach und Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 104.250 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 109/04y-25, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 43 Cga 178/03k-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
1. Das angefochtene Urteil wird in der Abweisung von EUR 62.550 samt 9,47 % Zinsen seit als Teilurteil bestätigt.
Die Entscheidung über die auf diesen Teil des Klagebegehrens entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.
2. Im Übrigen, also in Ansehung des weiteren Begehrens von EUR 41.700 samt Zinsen sowie im Kostenpunkt, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die auf diesen Teil des Klagebegehrens entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte, die durch mehrere Geschäftsführer und Prokuristen vertreten wird, hat ihre Zentrale an ihrem Sitz in Wien. An weiteren drei Orten befinden sich sogenannte Standortleitungen. Die Standortleiter sind weder zu Einstellungen noch zu Entlassungen berechtigt; sie sind angewiesen, der Geschäftsführung wichtige Vorfälle sofort zu melden. Die Standortleitung West hatte zum Zeitpunkt des zur Entlassung des Klägers führenden Vorfalls ca 25 Mitarbeiter. Der Kläger war dort seit als Angestellter beschäftigt; er arbeitete im Expedit und im Archiv. Sein letztes Bruttogehalt betrug monatlich EUR 2.780. Auf das Dienstverhältnis fand der Kollektivvertrag für die Angestellten der Versicherungsunternehmen im Innendienst (KVI) Anwendung. Der Kläger war schon längere Zeit eine schwierige Persönlichkeit gewesen; weil man ihm keine andere Tätigkeit hätte zuweisen können, war er im Archiv tätig und wurde von den Mitarbeitern als „Sozialfall" betrachtet. Bei einem Raubüberfall im Jahr 1992 erlitt er schwerere Verletzungen, die auch psychoorganische Veränderungen verursachten. Insbesondere litt er an einer Alkoholintoleranz, weshalb er die ärztliche Weisung erhalten hatte, keinerlei Alkohol zu sich zu nehmen. Aufgrund seiner Hirnverletzung traten bei Alkoholkonsum zeitweilig epileptische Anfälle auf. Der Kläger bekam sein Alkoholproblem jedoch nicht in den Griff und konsumierte regelmäßig, vor allem am Freitag nach Dienstschluss und am Wochenende, Alkohol.
Am - am ersten Tag eines kurzen Urlaubs - kam der Kläger zwischen 21.00 und 22.00 Uhr in die Büroräumlichkeiten, weil er seine Brille vergessen hatte. Er traf dort eine Mitarbeiterin an, die ein Telefongespräch führte. Unvermittelt und ohne Anlass fing der Kläger plötzlich an, die Frau zu beschimpfen und warf Akten sowie die auf dem Schreibtisch liegende Handtasche der Mitarbeiterin auf den Boden. Er packte sie mit einer Hand am Oberarm und schüttelte sie, wobei er seine Faust vor ihr Gesicht hielt. Sie setzte sich gegen diese Attacke verbal zur Wehr und forderte ihn lautstark auf, das Zimmer zu verlassen. Der Kläger drohte ihr mit erhobener Faust Schläge an, schimpfte weiter und äußerte, die Mitarbeiterin könne der dortigen Standortleiterin, der „blöden Sau", jetzt sagen, was vorgefallen sei. Durch das zielgerichtete Vorgehen der Mitarbeiterin ließ sich der Kläger jedoch insoweit beruhigen, als er schließlich der Aufforderung folgte, das Zimmer zu verlassen. Die Standortleiterin wurde von der betroffenen Mitarbeiterin nach ihrem Urlaub am abends von dem Vorfall informiert.
Am 12. und fand eine Führungskräftetagung statt, an der sowohl die Standortleiterin als auch die Geschäftsführer der Beklagten teilnahmen. Am besprach sich die Standortleiterin mit dem Zentralbetriebsrat und erörterte, was sie machen solle. Sie entschloss sich schließlich, den Vorfall den anwesenden Geschäftsführern zu verschweigen, weil sie ihre Regelungsbefugnis in dieser Sache nicht verlieren wollte und fürchtete, die Geschäftsführer könnten die Sache an sich ziehen und ohne ihre Einflussnahme Entscheidungen fällen. Sie führte daher am , dem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub des Klägers, mit diesem am Vormittag ein persönliches Gespräch und konfrontierte ihn mit der Darstellung der attackierten Mitarbeiterin. Nachdem er alles abgestritten hatte, war sie enttäuscht, weil ihr ein Eingestehen des Fehlers auf Basis eines Vertrauensverhältnisses wichtig gewesen wäre. Um zu dokumentieren, dass sie Lügengeschichten nicht toleriere, nahm sie ihm die Schlüssel zum Büro ab. Dies sollte ein symbolisches Zeichen dafür sein, dass er sich besinnen solle, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie erklärte ihm, er solle sich bis morgen überlegen, ob er mit der Wahrheit herausrücke. Aufgrund der Unaufrichtigkeit des Klägers informierte die Standortleiterin nach diesem Gespräch einen Geschäftsführer, der mit dem zweiten Geschäftsführer Rücksprache halten wollte. Noch am entschieden sich beide Geschäftsführer gemeinsam dazu, den Kläger zu entlassen. Das Entlassungsschreiben wurde am ausgefertigt und die Standortleiterin an diesem Tag telefonisch informiert. An diesem Tag führte sie ein weiteres Gespräch mit dem Kläger, der darin zugab, er sei in der Nacht im Büro gewesen und habe die Handtasche vom Tisch geschmissen; im Übrigen habe er keine Erinnerungen an den Vorfall. Entsprechend der mit den Geschäftsführern getroffenen Vereinbarung brachten diese bei einem Besuch in Innsbruck am das ausgefertigte Entlassungsschreiben mit, das sie der Standortleiterin gegen 15.30 Uhr am Flughafen übergaben. Sie überreichte es dem Kläger schließlich am um 10.30 Uhr im Büro.
Der Kläger begehrte EUR 104.250 samt Zinsen als Abfertigung. Gemäß § 29 Abs 7 des Kollektivvertrags für Versicherungsangestellte im Innendienst (KVI) sei er berechtigt, anstelle der gesetzlichen Abfertigung und der Kündigungsentschädigung die zweieinhalbfache gesetzliche Abfertigung zu verlangen, sofern er die Beendigung des (kündigungsgeschützten) Dienstverhältnisses mit dem Tag der ungerechtfertigten Entlassung anerkenne, was er hiemit tue. Seit dem Raubüberfall im Jahr 1992 sei seine Gesundheit stark angegriffen. Es sei ihm allerdings nicht gelungen, mit den Unfallfolgen und der ärztlichen Weisung, keinen Alkohol zu trinken, zu leben, was auch dem Dienstgeber bekannt gewesen sei. An den Vorfall vom habe er keine Erinnerung. Sollte sich ein derartiger Vorfall zugetragen haben, sei dies dem Kläger nicht als Entlassungsgrund zuzurechnen, weil er zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht geschäftsfähig gewesen sei. Auch der Alkoholkonsum könne dem Kläger aufgrund seines Krankheitsbilds nicht als Fehlverhalten angelastet werden. Die Entlassung sei im Übrigen verspätet erklärt worden und auch deshalb unberechtigt. Er habe nach seinem Urlaub am 16. und an seinem Arbeitsplatz normal gearbeitet und sei erstmals bei Überreichung des Entlassungsschreibens am 18. 6. mit dem Vorfall konfrontiert worden.
Die Beklagte wandte ein, die Entlassung sei gerechtfertigt, weshalb dem Kläger maximal die gesetzliche Abfertigung zustehen könne. Die Beklagte habe keine andere Wahl gehabt, als mit Entlassung vorzugehen, zumal sie im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für die körperliche und persönliche Integrität vor allem der weiblichen Mitarbeiter verantwortlich sei. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers wäre auch dann unzumutbar, wenn er sein Verhalten in einem Zustand der Geschäftsunfähigkeit gesetzt hätte. Die Entlassung sei auch nicht verspätet erfolgt. Die Standortleiterin habe den Kläger am ersten Arbeitstag nach seinem Urlaub zur Rede gestellt und sei am nächsten Tag von den Geschäftsführern angewiesen worden, die Entlassung auszusprechen, was schließlich am Vormittag des 18. 6. auch geschehen sei. Eine Verzögerung der Entlassung sei nicht gegeben, weil insbesondere die Rechtfertigung des Klägers habe eingeholt werden müssen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Verhalten des Klägers stelle zwar einen Entlassungsgrund dar, doch sei die Entlassung verspätet ausgesprochen worden. Die Standortleiterin habe den Geschäftsführern in Wien den Sachverhalt während der Urlaubswoche des Klägers bewusst verschwiegen. Diese Verzögerung müsse sich die Beklagte zurechnen lassen, sodass Verfristung eingetreten sei.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Die Beklagte habe ihre Obliegenheit, eine Entlassung unverzüglich auszusprechen, nicht verletzt. Bei einem zweifelhaften Sachverhalt sei der Arbeitgeber verpflichtet, die entsprechenden Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen. Die Unterlassung der sofortigen Geltendmachung eines Entlassungsgrundes führe dann nicht zur Verwirkung des Entlassungsrechts, wenn das Zögern des Arbeitgebers in der Sachlage begründet sei. Der Grundsatz der Unverzüglichkeit beruhe auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der Entlassung beantworte, dessen Beschäftigung nicht als unzumutbar ansehe und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichte. Jedenfalls sei der Arbeitgeber verpflichtet, so zu handeln, dass dem Dienstnehmer gegenüber der Eindruck vermieden werde, der Sachverhalt werde nicht mehr zum Anlass für eine Entlassung genommen werden. In jedem Einzelfall sei zu prüfen, ob im Zuwarten mit der Entlassung ein Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsrechts begründet sei oder ob die Annahme eines solchen Verzichts nach den Umständen nicht gerechtfertigt sei. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, nach der Rückkehr des Klägers aus seinem Urlaub auf den dargestellten Vorfall zu reagieren. Zutreffend verweise sie darauf, dass es ihr nicht zur Last gelegt werden könne, wenn sie vor ihrer Entscheidung dem Kläger Gelegenheit gegeben habe, sich zum Entlassungsvorwurf zu äußern. Dieser habe sich des Ernstes der Lage auch bewusst sein müssen, als ihm die Schlüssel abgenommen wurden. Er habe auch deshalb nicht davon ausgehen können, dass sein Verhalten toleriert bzw mit Stillschweigen übergangen würde, da es schon am nächsten Tag zu einer neuerlichen Unterredung gekommen sei, in der ihm Vorwürfe gemacht worden seien. Wenn ihm am darauffolgenden Tag das Entlassungsschreiben ausgefolgt worden sei, könne nicht von einer Verspätung ausgegangen werden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass den Geschäftsführern vor allem im Hinblick auf die lange Dienstzugehörigkeit des Klägers eine Beratung zuzubilligen sei. Dass sich die Standortleiterin nicht sofort an die Geschäftsführer gewandt habe, sei durchaus gerechtfertigt, zumal es der Beklagten nicht schaden könne, dem Betroffenen auch die Möglichkeit der Rechtfertigung zu geben. Maßgeblich müsste für den Arbeitnehmer sein, in welcher Weise nach außen hin sein Dienstgeber oder dessen Stellvertreter auf ein entlassungswürdiges Verhalten reagiert. Unter den gegebenen Umständen sei die Entlassung nicht verspätet erklärt worden.
Ein Entlassungsgrund sei jedenfalls vorgelegen. Da der Gesetzgeber im Bereich des Angestelltenrechts eine demonstrative Aufzählung der Entlassungsgründe gewählt habe, könne auch ein entsprechend schwerwiegendes Verhalten einen Entlassungsgrund darstellen, das nicht unmittelbar einem der (konkret geregelten) Entlassungsgründe unterstellt werden könnte. Auch für den Fall einer Schuldunfähigkeit sei das Verhalten des Klägers einem Entlassungsgrund gleichzustellen. Er habe gleichsam den „äußeren Tatbestand" des § 27 Z 6 AngG verwirklicht und zwar in einer Weise, dass bei Berücksichtigung aller Umstände und objektiver Wertung derselben der Beklagten die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Zutreffend verweise die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die ihr obliegende Fürsorgepflicht auch gegenüber den anderen Dienstnehmern. Ungeachtet der der Beklagten bereits bekannten schwierigen Persönlichkeitsstruktur des Klägers habe sein Verhalten am einen derart gravierenden Vorfall dargestellt, dass die Beklagte nicht mehr sicher sein konnte, ob sich Derartiges nicht weiter ereignen werde. Schlimmere Folgen seien möglicherweise nur wegen des besonnenen und festen Auftretens der betroffenen Mitarbeiterin unterblieben. Gelindere Mittel als die Entlassung seien nicht zu erkennen, zumal feststehe, dass der Kläger seine Probleme mit dem Alkohol nicht beherrsche und der Alkoholkonsum offenbar für derartige Vorfälle mitursächlich sei.
Da somit die Entlassung gerechtfertigt ausgesprochen worden sei, habe der Kläger jedenfalls keinen Anspruch auf den in § 29 Abs 7 KVI gewährten (höheren) Abfertigungsanspruch. Dieser komme nur bei einer ungerechtfertigten Entlassung in Betracht. Fraglich sei, ob dem Kläger zumindest ein Anspruch auf Abfertigung nach den Regelungen des AngG zustehe. Nach § 23 Abs 7 AngG entfalle der Abfertigungsanspruch nur, wenn den Angestellten ein Verschulden an der vorzeitigen Entlassung trifft, nicht aber wenn ein unverschuldeter Entlassungsgrund verwirklicht ist. Nähere Feststellungen zur Frage des Verschuldens des Klägers an seinem zur Entlassung führenden Verhalten seien jedoch nicht erforderlich, weil er die gesetzliche Abfertigung gar nicht begehrt habe. Der Zuspruch eines „aliud" komme gemäß § 405 ZPO nicht in Betracht. Der Kläger habe einen im Kollektivvertrag genau umschriebenen Anspruch gewählt und sich damit auf einen bestimmten Rechtsgrund festgelegt. Er habe sein Klagebegehren auch nicht in eventu auf die gesetzliche Abfertigung gestützt. Der Anspruch nach dem Kollektivvertrag sei aufgrund der Formulierung des Kollektivvertrags ein aliud, weil er eben anstelle der gesetzlichen Abfertigung (und Kündigungsentschädigung) zustehe. Eine vom Kläger vorgenommene rechtliche Qualifikation des Klagegrundes sei als bindend zu betrachten. Im Übrigen habe der Kläger dann keinen gesetzlichen Abfertigungsanspruch, wenn er seine Schuldunfähigkeit schuldhaft herbeigeführt hätte oder beim maßgeblichen Vorfall überhaupt dispositions- und diskretionsfähig gewesen wäre, was jedoch nicht abschließend beurteilt werden müsse.
Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zu den Fragen des Vorliegens eines Entlassungsgrundes sowie der „Rechtzeitigkeit" der Entlassung kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden, denen sich der erkennende Senat anschließt (§ 510 Abs 3 ZPO). Das Vorliegen eines Entlassungsgrundes wird in der Revision auch nicht mehr in Frage gestellt.
Zur Obliegenheit des Dienstgebers zur unverzüglichen Entlassung hebt der Revisionswerber selbst hervor, dass die Frage der „Rechtzeitigkeit" nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden kann und dass das Erlöschen des Rechts zur Entlassung bei Säumnis mit der Entlassungserklärung auf dem Gedanken beruht, dass aus einer Weiterbeschäftigung in der Regel auf einen Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden kann. Entscheidend dabei ist nun vor allem der Verständnishorizont des betroffenen Dienstnehmers. Für diesen muss das Verhalten des Dienstgebers gerechtfertigten Grund zur Annahme geben, dieser verzichte auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe, was dann regelmäßig nicht zutrifft, wenn das Zögern sachlich begründet ist und der Dienstgeber durch sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, er werde den Entlassungsgrund nicht wahrnehmen (vgl RIS-Justiz RS0031799). Im vorliegenden Fall war es zweifellos zweckmäßig - und vor allem im Interesse des Klägers - diesem unmittelbar nach Rückkehr aus dem Urlaub eine Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben. Es ist davon auszugehen, dass die Standortleiterin der Beklagten von einer Meldung an die Geschäftsführer Abstand genommen hätte, wenn es dem Kläger gelungen wäre, darzutun, dass keine Gefahr besteht, dass sich ein solcher Vorfall in Zukunft wiederholen werde. Nachdem er sich jedoch nicht einsichtig zeigte und die Vorwürfe anfangs sogar vollständig bestritt, wurden die Geschäftsführer informiert, die ohne eine ins Gewicht fallende Verzögerung die Entlassung erklärten. Angesichts der von der Standortleiterin getroffenen Maßnahmen (Abnahme der Büroschlüssel, Aufforderung zu wahrheitsgemäßer Verantwortung....) konnte der Kläger auch keineswegs den Eindruck gewinnen, die Beklagte werde den Vorfall auf sich beruhen lassen und auf die Ausübung ihres Entlassungsrechts verzichten.
Da somit die Entlassung nicht im Sinne des § 29 Abs 7 KVI „ungerechtfertigt" ausgesprochen wurde, kann der Kläger keinesfalls die in dieser Bestimmung für den Fall der ungerechtfertigten Entlassung vorgesehene Abfertigung in Höhe der 2,5-fachen gesetzlichen Abfertigung verlangen. Die erstmals in der Revision aufgeworfene Frage nach einer Kündigungsentschädigung stellt sich schon deshalb nicht, weil diese als Schadenersatz ein rechtswidriges Verhalten des Dienstgebers voraussetzt, das bei einer gerechtfertigten Entlassung nicht vorliegen kann.
Zutreffend wendet sich der Revisionswerber jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, er habe seinen Anspruch ausschließlich auf die genannte kollektivvertragliche Norm gestützt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er im Falle der Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung seine Ansprüche nicht auch auf anderer (gesetzlicher) Grundlage geprüft haben will. Geht man davon aus, dass der Kläger die ihm gebührende Abfertigung geltend macht, so kann nach Auffassung des erkennenden Senats in der Berufung auf § 29 Abs 7 KVI keine Einschränkung auf kollektivvertragliche Ansprüche gesehen werden. Begehrt er zu Unrecht das 2,5-fache der gesetzlichen Abfertigung, stünde ihm jedoch die einfache gesetzliche Abfertigung zu, so wäre der letztgenannte Anspruch keineswegs als aliud, sondern als bloßes minus zu qualifizieren und damit von seinem Klagebegehren erfasst; davon ist im Verfahren erster Instanz im Übrigen auch die Beklagte ausgegangen (vgl AS 103 = S 12 in ON 17).
Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, reichen die vom Erstgericht gewonnenen Tatsachengrundlagen nicht aus, um beurteilen zu können, ob dem Kläger am Vorfall vom ein Verschulden trifft. Sollte Verschulden vorliegen, bestünde ein Abfertigungsanspruch gemäß § 23 Abs 7 AngG nicht, wogegen er zu bejahen wäre, wenn der Entlassungsgrund ohne Verschulden des Klägers verwirklicht worden wäre (vgl nur Arb 10.728). Dies wird im fortzusetzenden Verfahren vom Erstgericht nach entsprechender Ergänzung des Beweisverfahrens zu beurteilen sein.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.