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OGH vom 17.08.2012, 9Nc30/12d

OGH vom 17.08.2012, 9Nc30/12d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon. Prof. Dr. Kuras als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** N*****, Angestellter, *****, vertreten durch die Felfernig Graschitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Hannes K. Müller, Rechtsanwalt in Graz, wegen 111.945,17 EUR sA, über den Delegierungsantrag der klagenden Partei den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag der klagenden Partei, an Stelle des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht das Arbeits- und Sozialgericht Wien zur Verhandlung und Entscheidung der Arbeitsrechtssache 36 Cg 71/12g zu bestimmen, wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt mit der gemäß § 4 ASGG am Sitz der Beklagten eingebrachten Klage einen Ausgleichsanspruch gemäß § 24 HVertrG in Höhe des Klagebetrags. Er sei für die Beklagte aufgrund eines Mitarbeitervertrags vom bzw eines Geschäftspartnervertrags vom bis zur sofortigen Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Schreiben der Beklagten vom in zumindest arbeitnehmerähnlicher Stellung tätig gewesen.

Die Beklagte wendete die „sachliche (funktionelle)“ Unzuständigkeit ein. Der Kläger sei für die Beklagte als Unternehmer tätig geworden. Arbeitnehmerähnlichkeit habe nicht bestanden. Im Übrigen werde das Klagebegehren bestritten und Klageabweisung beantragt.

In der ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung beantragte der Kläger die Delegierung der Rechtssache gemäß § 31 JN aus Zweckmäßigkeitsgründen an das Arbeits und Sozialgericht Wien. Sowohl der Kläger als auch zwei Zeugen seien in Wien wohnhaft. Gründe der Kostenersparnis und Unmittelbarkeit sprächen daher für die Delegierung.

Die Beklagte sprach sich gegen die vom Kläger beantragte Delegierung aus. Ihr Sitz sei in Graz, eine Delegierung wäre für sie unzweckmäßig und würde das Verfahren verlängern.

Das Erstgericht befürwortete die beantragte Delegierung zwecks Verkürzung und Verbilligung des Verfahrens und legte dem Obersten Gerichtshof die Akten zur Entscheidung über den Delegierungsantrag vor.

Der Delegierungsantrag des Klägers ist nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Delegierungen aus einem Oberlandesgerichtssprengel in einen anderen sind dem Obersten Gerichtshof vorbehalten (§ 31 Abs 2 JN).

Die Delegierung nach § 31 JN hat zur Voraussetzung, dass die Rechtssache vom zuständigen Gericht an ein anderes übertragen werde. Solange über einen Zuständigkeitsstreit nicht entschieden wurde, ist eine Delegierung nicht möglich, weil dadurch der ordnungsgemäßen Erledigung des Zuständigkeitsstreits vorgegriffen würde (RIS Justiz RS0046196 ua). Dies ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat zwar nominell die Einrede der „sachlichen (funktionellen)“ Unzuständigkeit erhoben, meint damit aber nur die Richtigkeit der Besetzung des angerufenen Gerichts iSd § 37 ASGG (vgl RIS Justiz RS0085489 ua). Die von der Beklagten erhobene Einrede steht daher der Entscheidung über die beantragte Delegierung nicht entgegen.

Die Delegierung ist zweckmäßig, wenn die Zuständigkeitsübertragung an das andere Gericht zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses, zur Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit oder zu einer wesentlichen Verbilligung des Rechtsstreits beitragen kann (vgl RIS Justiz RS0046333 ua). Dabei ist aber auch zu beachten, dass die Delegierung der Ausnahmefall ist und nicht durch zu großzügige Handhabung zu einer faktischen Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung führen darf. Gegen den Willen der anderen Partei kann die Delegierung nur dann ausgesprochen werden, wenn die Frage der Zweckmäßigkeit eindeutig zu Gunsten aller Parteien des Verfahrens gelöst werden kann (RIS Justiz RS0046589 ua). Davon ist hier nicht auszugehen. Zwar haben der Kläger und zwei Zeugen ihren Wohnsitz in Wien. Der für die Parteienvernehmung der Beklagten namhaft gemachte Geschäftsführer hat jedoch seinen Wohnsitz in Graz. Der Kläger brachte die Klage, ausdrücklich gestützt auf § 4 ASGG, in Graz ein und stellte für die örtliche Anknüpfung offensichtlich auf den Unternehmenssitz der Beklagten in Graz ab. Spätere hypothetische Überlegungen des Klägers, dass auch der „Vermögensgerichtsstand beim Handelsgericht Wien gegeben sei“, sind unverständlich, weil der Kläger davon keinen Gebrauch gemacht hat, sondern die Klage nach eigener Wahl beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht eingebracht hat.

Die beantragte Delegierung mag somit einer Meinungsänderung des Klägers zuzuschreiben sein. Dass sie auch im eindeutigen Interesse der Beklagten läge, kann aus dem Vorbringen zum Delegierungsantrag nicht abgeleitet werden. Die Unmittelbarkeit des Verfahrens kann auch beim vom Kläger angerufenen Gericht gewahrt werden. Der Delegierungsantrag ist als unbegründet abzuweisen.