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OGH vom 21.11.2016, 9Nc29/16p

OGH vom 21.11.2016, 9Nc29/16p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj B*****, geboren am ***** 2010, wohnhaft bei seinem Vater Dr. M*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart-Loining, Rechtsanwältin in Wien, über den von der Mutter Dr. K*****, vertreten durch Schlosser Péter Rechtsanwälte OG in Wien, gestellten Delegierungsantrag gemäß § 31 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Zur weiteren Führung des Verfahrens wird anstelle des Bezirksgerichts Josefstadt das Bezirksgericht Steyr bestimmt.

Text

Begründung:

Der am ***** 2010 geborene mj B***** ist das außereheliche Kind von Dr. M***** (Vater) und Dr. K***** (Mutter). Der Vater war bis Sommer 2016 in Wien, 8. Bezirk, wohnhaft. Die Mutter lebt in *****, Ungarn. Die vorläufige alleinige Obsorge steht derzeit dem Vater zu.

Mit Beschluss vom (ON 149) beauftragte das Bezirksgericht Josefstadt als aktenführendes Erstgericht den bereits bestellten Sachverständigen mit der Erstattung eines Ergänzungsgutachtens zur Frage der weiteren Zuweisung der Obsorge und der Gestaltung der Kontaktrechte. Mit Beschluss vom enthob es ihn seines Amtes mangels Möglichkeit zur Kontaktaufnahme (ON 189). Dem Enthebungsbeschluss ist zu entnehmen, dass der Minderjährige zwischenzeitig mit dem Vater nach Steyr übersiedelt ist und das Erstgericht von der Notwendigkeit einer Neubestellung eines Sachverständigen in Steyr ausgeht.

Die Mutter beantragte die Delegierung der Rechtssache an das Bezirksgericht Steyr. Den Antrag begründet sie im Wesentlichen damit, dass nach wie vor kein (Ergänzungs-)Gutachten erstattet worden sei, im Frühjahr 2016 ein Richterwechsel stattgefunden habe, seither lediglich Kontaktregelungen getroffen worden seien und der Minderjährige mit dem Vater Ende August 2016 von Wien nach Steyr in Oberösterreich verzogen sei und seit dort die Volksschule besuche. Sie selbst reise zu den Kontaktwochenenden nach Steyr an. Eine zeitnahe Delegation an das Bezirksgericht Steyr sei für die Beweisaufnahmen zweckmäßiger und kostengünstiger und diene der Verfahrensbeschleunigung.

Der Vater erachtete den Antrag der Mutter als unzulässig und sprach sich auch inhaltlich gegen die Delegierung aus, weil es sich um ein hochstrittiges, komplexes und umfangreiches Verfahren mit Verbindung zu mehreren anhängigen Rückführungsverfahren und dem ungarischen Pflegschaftsverfahren handle. Es befinde sich bereits im Endstadium. Der nunmehr enthobene Sachverständige sei verstorben, sein noch vor dem Tod fertiggestelltes Gutachten bzw Aufzeichnungen davon sollten an das Gericht verschickt worden sein. Ein neuerlicher Richterwechsel würde zu einer nicht im Kindeswohl gelegenen wesentlichen Verfahrensverzögerung führen. Auch müssten beide Verfahrensvertreter aus Wien anreisen, was zu einem höheren Kostenaufwand führen würde.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht gab keine Äußerung ab.

Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Dies gilt auch für das Pflegschaftsverfahren (2 Ob 141/15x ua), sodass der Delegierungsantrag der Mutter entgegen der Rechtsansicht des Vaters nicht unzulässig ist.

Ausschlaggebendes Kriterium für die Delegierung ist, so wie auch im Fall der Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN, das Wohl des Kindes (8 Ob 136/15f mwN; s auch RIS-Justiz RS0046319). Nach ständiger Rechtsprechung wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind gewöhnlich ständig aufhält (RIS-Justiz RS0047300). In erster Linie kommt es auf das örtliche Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Kind an. Dafür ist der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes im Sinn eines stabilen Aufenthalts entscheidend. Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (8 Ob 136/15f mwN). Dagegen stellt das Vorliegen von ungünstigen oder unrichtigen Entscheidungen oder von sachlich nicht zu rechtfertigenden Verfahrensverzögerungen keinen Grund für eine Zuständigkeitsübertragung dar (s RIS-Justiz RS0114309; RS0046192).

Das Vorbringen der Mutter, dass nach wie vor kein (Ergänzungs-)Gutachten vorliege und seit dem Richterwechsel im Frühjahr 2016 vom Bezirksgericht Josefstadt nur eine Kontaktregelung getroffen worden sei, rechtfertigt eine Delegierung daher nicht. Allerdings spricht im Anlassfall das örtliche Naheverhältnis für die Delegierung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Steyr, da der Vater und der Minderjährige nunmehr im Sprengel dieses Bezirksgerichts wohnhaft sind und davon auszugehen ist, dass der Minderjährige auch durch den Besuch der Volksschule nun dort seinen Lebensmittelpunkt hat. Allfällige Beweisaufnahmen zu seinen aktuellen Lebensumständen werden daher kostengünstiger und zweckmäßiger vor Ort erfolgen können. Das betrifft insbesondere auch die Bestellung eines neuen Sachverständigen zur Befundung und Begutachtung der Obsorgesituation, weil der vom Bezirksgericht Josefstadt ursprünglich bestellte Sachverständige seines Amtes enthoben wurde und mit ihm selbst dann, wenn er ungeachtet seiner Enthebung noch vor seinem Tod ein Gutachten an das Erstgericht geschickt haben sollte, keine Gutachtenserörterung mehr erfolgen könnte. Dass das Pflegschaftsverfahren kurz vor dem Abschluss stünde, ist nicht ersichtlich. Die vom Vater vorgebrachte Komplexität und hohe Strittigkeit des Verfahrens spricht auch nicht dafür, die Übersiedlung des Vaters und des Minderjährigen nach Steyr unbeachtet zu lassen. Nach dem im Frühjahr 2016 erfolgten Richterwechsel beim Bezirksgericht Josefstadt ist von keiner langjährigen Vertrautheit der Pflegschaftsrichterin mit dem Obsorgeverfahren auszugehen. Die relevanten Entscheidungsgrundlagen sind auch für das Bezirksgericht Steyr erschließbar. Insgesamt ist daher dieses Gericht im Interesse des Kindes besser in der Lage, die pflegschaftsgerichtlichen Agenden zu besorgen.

Da aus Sicht des Kindes die Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung eindeutig zu bejahen ist, erübrigt sich hier auch die Einholung einer Äußerung des Gerichts (s Schneider in Fasching/Konecny , ZPG I 3 § 31 JN Rz 39 mwN).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0090NC00029.16P.1121.000