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VfGH vom 01.07.2015, E475/2015

VfGH vom 01.07.2015, E475/2015

Leitsatz

Aufhebung weiterer Entscheidungen betr die Abweisung von Schubhaftbeschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht wegen Anwendung einer als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmung; teils Zurückweisung bzw Ablehnung der Beschwerden

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Spruchpunkt I und der damit in untrennbarem Zusammenhang stehende Spruchpunkt III des angefochtenen Erkenntnisses werden daher aufgehoben.

2. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den Spruchpunkt IV des angefochtenen Erkenntnisses wendet, zurückgewiesen.

3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Die Beschwerde wird insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige von Syrien, stellte nach ihrer Einreise aus Deutschland, wo sie bereits internationalen Schutz beantragt hatte, am in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie am wieder zurückzog. Am selben Tag stellte die Beschwerdeführerin neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Mandatsbescheid vom ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung bzw. der Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 76 Abs 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012, (in der Folge: FPG) die Schubhaft an.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gemäß § 76 Abs 2 Z 4 FPG iVm Art 28 Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge: Dublin III-VO) iVm § 22a Abs 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I 87/2012, idF BGBl I 68/2013, (in der Folge: BFA-VG) ab (Spruchpunkt I).

Weiters stellte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 22a Abs 3 BFA-VG iVm Art 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs 1 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (Spruchpunkt II), wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ersatz ihrer Aufwendungen gemäß § 35 Abs 3 VwGVG ab (Spruchpunkt III) und erklärte die Revision hinsichtlich der Spruchpunkte I und II für nicht zulässig und hinsichtlich des Spruchpunkts III für zulässig (Spruchpunkt IV).

4. In der dagegen gemäß Art 144 B VG erhobenen Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 GRC sowie in Rechten wegen Anwendung der von ihr als verfassungswidrig erachteten Gesetzesbestimmungen des § 22a Abs 1 und 3 BFA-VG, des § 76 Abs 1 und Abs 2 Z 4 FPG und des § 40 VwGVG.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und nahm von der Erstattung einer Äußerung Abstand.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G151/2014 ua., § 22a Abs 1 und 2 BFA-VG idF BGBl I 68/2013 als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind; dieser Ausspruch hat auch für den Verfassungsgerichtshof die Wirkung, dass er die betreffenden Bestimmungen nicht mehr anzuwenden hat.

Soweit mit Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses die Beschwerde gemäß § 76 Abs 2 Z 4 FPG iVm Art 28 Dublin III-VO iVm § 22a Abs 1 BFA-VG abgewiesen wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht eine als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung angewendet. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt.

Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses ist daher aufzuheben.

Da die Abweisung des Antrags auf Aufwandersatz gemäß § 35 Abs 3 VwGVG (Spruchpunkt III) mit der Abweisung der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid (Spruchpunkt I) in untrennbarem Zusammenhang steht, ist das bekämpfte Erkenntnis auch insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Hinblick auf Spruchpunkt IV ist die Beschwerde hingegen zurückzuweisen:

Eine Beschwerde gemäß Art 144 Abs 1 B VG ist unzulässig, soweit das Erkenntnis oder der Beschluss des Verwaltungsgerichts die Zulässigkeit der Revision zum Inhalt hat (Art144 Abs 5 B VG). Gemäß § 88a Abs 2 Z 1 VfGG ist eine Beschwerde gegen Aussprüche gemäß § 25a Abs 1 VwGG, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B VG zulässig ist, nicht zulässig. Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen, soweit sie sich gegen den in Spruchpunkt IV getroffenen Ausspruch der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Revision richtet.

3. Im Übrigen, das heißt im Hinblick auf Spruchpunkt II (Fortsetzungsausspruch), wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art 144 Abs 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht davon ausging, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen, insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit des § 22a Abs 3 BFA-VG behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund des Erkenntnisses vom , G151/2014 ua., die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Auch gegen § 76 Abs 1 und § 76 Abs 2 Z 4 FPG sind vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken entstanden.

Soweit in der Beschwerde weiters die Verfassungswidrigkeit des § 40 VwGVG behauptet wird, ist auf das Erkenntnis vom , G7/2015, zu verweisen, mit dem der Verfassungsgerichtshof im amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahren § 40 VwGVG, BGBl I 33/2013, wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben hat. Die Aufhebung dieser Bestimmung ändert aber nichts daran, dass für die Beigebung eines Verfahrenshelfers im Schubhaftbeschwerdeverfahren jegliche Rechtsgrundlage fehlt. Eine für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilige Anwendung des § 40 VwGVG ist daher von vornherein ausgeschlossen (vgl. VfSlg 10.304/1984, 16.787/2003, 18.108/2007).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 4 und § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, weil dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. VfSlg 16.760/2002). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E475.2015