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OGH vom 18.05.2017, 10ObS76/16y

OGH vom 18.05.2017, 10ObS76/16y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Dr. Schramm als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 18/16w8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 36 Cgs 99/15w4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildet die Frage, ob die Klägerin ab gegen die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter einen Anspruch auf Erbringung einer vorläufigen Zahlung nach § 89 Abs 2 ASGG hat, der aus einem – dem Grunde nach rechtskräftig feststehenden – Anspruch auf Wochengeld resultiert.

Die Klägerin war von Oktober 2010 bis als DGKS auf der Intensivstation in einem Landesklinikum beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitnehmerkündigung. Von 3. bis arbeitete die Klägerin in der mobilen Hauskrankenpflege; dieses Dienstverhältnis wurde von ihr in der Probezeit aufgelöst. Der Grund für die Auflösung der Dienstverhältnisse lag in (näher festgestellten) gesundheitlichen Problemen; diese waren auch der Grund für den anschließenden langen Krankenstand der Klägerin.

Bis bezog die Klägerin Urlaubsentschädigung und ab Krankengeld. Der Anspruch auf Krankengeld hätte am geendet.

Ab befand sich die Klägerin
– laut amtsärztlicher Bestätigung vom selben Tag – gemäß § 3 Abs 3 MSchG im vorzeitigem Mutterschutz (errechneter Geburtstermin war der ). Die beklagte Partei stellte den Bezug von Krankengeld mit ein.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom auf Auszahlung von Wochengeld ab ab. Der Versicherungsfall der Mutterschaft sei am eingetreten. In dem für die Berechnung des Wochengeldes maßgeblichen Zeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls ( bis ) sei bei der Klägerin kein Arbeitsverdienst vorgelegen, aus dem sich der Höhe nach ein Wochengeldanspruch ergeben würde. Zwar hätten Zeiten, in denen von der Versicherten nicht das volle Entgelt bezogen worden sei, gemäß § 162 Abs 3 ASVG außer Betracht zu bleiben. Im Fall der Klägerin sei jedoch der Anspruch auf das volle (Arbeits-)Entgelt aufgrund ihrer Erkrankung nicht gekürzt worden. Vielmehr habe das Dienstverhältnis bereits am geendet. In weiterer Folge habe die Klägerin nur Krankengeld bezogen und – im Beobachtungszeitraum – keinen Entgeltanspruch gehabt; ein solcher habe auch nicht mehr entstehen können. Da die Schwangerschaft der Klägerin auch rein rechnerisch nicht während der Pflichtversicherung eingetreten sei, könne auch die Alternativberechnung mit einer 32-wöchigen Schutzfrist nicht herangezogen werden.

In ihrer Klage begehrt die Klägerin die Gewährung von Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß ab . Der Versicherungsfall der Mutterschaft sei am eingetreten, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin noch Anspruch auf Krankengeld gehabt hätte, sodass ihr gemäß § 122 Abs 2 Z 1 lit b ASVG Wochengeld zuzuerkennen sei. Überdies bestehe ein derartiger Anspruch auch aufgrund der Bestimmung des § 122 Abs 2 Z 2, in eventu § 122 Abs 3 ASVG. Da die Höhe des Anspruchs wegen fehlender Unterlagen nicht konkret beziffert werden könne, werde hilfsweise die Erlassung eines Grundurteils beantragt werden.

Das Erstgericht gab der Klage insofern statt als es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin ab ein tägliches Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren (Punkt 1.) und ihr Kosten zu ersetzen (Punkt 3.). Es verpflichtete die beklagte Partei zu einer vorläufigen Zahlung von 15 EUR täglich bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids (Punkt 2.).

Da der Versicherungsfall der Mutterschaft während des Anspruchs auf Krankengeld eingetreten sei, habe die Klägerin gemäß § 122 Abs 2 Z 1 lit b ASVG – trotz beendeter Pflichtversicherung – Anspruch auf Wochengeld.

Nach der Grundregel des § 162 Abs 3 ASVG wäre für die Berechnung der Höhe des Wochengeldes als Beobachtungszeitraum der Zeitraum von bis heranzuziehen, Allerdings fallen auch Zeiten, in denen die Versicherte – wie hier wegen eines lang andauernden Krankenstands – keinen Entgeltanspruch (und damit auch keinen Anspruch auf das volle Entgelt) mehr habe, unter § 162 Abs 3 Satz 6 lit b ASVG, weshalb bei der Ermittlung des Beobachtungszeitraums so weit zurückzugehen sei, bis ein Zeitraum mit vollem Entgeltanspruch gegeben sei; davon ausgehend sei dann der Wochengeldanspruch zu berechnen.

Das Berufungsgericht gab der ausdrücklich nur gegen die Punkte 2. und 3. des Ersturteils gerichteten Berufung der beklagten Partei nicht Folge.

Auf die Frage, ob der Versicherungsfall der Mutterschaft tatsächlich am eingetreten sei und ob die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf Wochengeld habe, sei nicht mehr einzugehen, weil die beklagte Partei das Bestehen eines Anspruchs auf Wochengeld dem Grunde nach ausdrücklich zugestanden habe und in ihren Berufungsausführungen auch weiterhin davon ausgehe, dass der Versicherungsfall der Mutterschaft (aufgrund des individuellen Beschäftigungsverbots) am
– während des Anspruchs der Klägerin auf Krankengeld – eingetreten sei. Das Grundurteil (Punkt 1. des Ersturteils) sei unbekämpft geblieben.

Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass § 162 Abs 3 Satz 6 lit b ASVG auch Zeiten eines lang andauernden Krankenstands erfasse, in denen kein Entgeltanspruch mehr bestehe, und dass in diesem Fall bei der Ermittlung des Beobachtungszeitraums für die Berechnung des Wochengeldes so weit zurückzugehen sei, bis ein Zeitraum mit vollem Entgeltanspruch gegeben sei, sei nicht korrekturbedürftig.

Auch dann, wenn als Folge einer Krankheit gar kein Arbeitsentgelt (mehr) bezogen werden könne, werde infolge Krankheit nicht das volle Entgelt bezogen. Sei die Schwangere während aller für die Berechnung des Wochengeldes in Betracht kommenden 13 Wochen im Krankengeldbezug gestanden, sei von dem dem Krankengeld zugrundeliegenden Arbeitsverdienst auszugehen. Dieser Interpretation stehe die Bestimmung des § 162 Abs 3 Satz 6 lit c ASVG, in der ausdrücklich von „nicht das volle oder kein Arbeitsentgelt“ die Rede sei, nicht entgegen, zumal diese Litera erst im Rahmen einer Novellierung in die Bestimmung aufgenommen worden sei. Im Gegenteil bringe der Gesetzgeber durch Einführung dieser Regelung zum Ausdruck, dass in bestimmten Fällen eben auch ohne das Vorliegen eines Arbeitseinkommens ein Anspruch auf Wochengeld auf Grundlage des im vorangehenden Zeitraum bezogenen Arbeitsentgelts bestehen könne. Ähnlich wie das Krankengeld habe das Wochengeld die Funktion, den durch die Mutterschaft erlittenen Entgeltverlust zumindest teilweise zu ersetzen und eine finanzielle Absicherung während der Arbeitsunfähigkeit zu schaffen (Lohnersatzfunktion). § 165 ASVG sehe im Fall eines Zusammentreffens explizit einen Vorrang des Wochengeldes vor dem Krankengeld vor. Es könne wohl nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein, infolge Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft und Eröffnung des Anspruchs auf Wochengeld die weitere Gewährung von Krankengeld zu versagen, gleichzeitig aber nach längeren Krankenständen das gebührende Wochengeld mit dem Betrag Null zu bestimmen, während ohne Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft noch weiter Anspruch auf Krankengeld bestanden hätte.

Die vom Erstgericht gefundene Auslegung der Bestimmung, wonach bei der Berechnung der Höhe des Wochengeldes (auch länger andauernde) Zeiten des Krankengeldbezugs iSd § 162 Abs 3 Satz 6 lit b ASVG bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht zu bleiben hätten und sich der maßgebende Zeitraum um diese Zeiten verlängere, sei zu billigen.

Die Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage fehle, ob der ausschließliche Bezug von Krankengeld den maßgebenden Zeitraum für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes zur Berechnung des Wochengeldes verlängere.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klageabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

In ihrer Revision macht die beklagte Partei zusammengefasst geltend, dass § 162 Abs 3 Satz 6 lit b ASVG – so wie die lit a und lit c dieser Bestimmung – ein aufrechtes Arbeitsverhältnis voraussetzten, aus dem ein (wenn auch infolge Krankheit gekürzter) Entgeltanspruch resultiere. Der Entgeltanspruch der Klägerin sei nicht infolge Krankheit gekürzt worden, sondern habe vielmehr bereits durch die Kündigung des Dienstverhältnisses mit geendet. Wortlaut und Systematik von § 162 Abs 3 ASVG sprächen dafür, dass eine Verlängerung des für die Berechnung des Wochengeldes maßgeblichen Beobachtungszeitraums nur durch Zeiten erfolgen solle, in denen grundsätzlich ein mit einem aufrechten Dienstverhältnis verbundener Entgeltanspruch gegeben sei, der jedoch aus diversen Gründen gekürzt sei. Eine Kürzung eines mangels eines aufrechten Dienstverhältnisses gar nicht existenten Entgeltanspruchs sei schon begrifflich ausgeschlossen. Auch die Teleologie des Wochengeldes als Einkommensersatz spreche für diese Auslegung, da ein rechtlich nicht existenter Entgeltanspruch nicht durch Leistung von Wochengeld substituiert werden müsse. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätten die Vorinstanzen zum Ergebnis gelangen müssen, dass der gegenständliche Fall nicht unter § 162 Abs 3 ASVG zu subsumieren sei und die Zeit von bis den für die Berechnung des Wochengeldes maßgeblichen Beobachtungs-zeitraum darstelle. Da in diesem Zeitraum kein Arbeitsverdienst der Klägerin vorgelegen sei, wäre das Klagebegehren abzuweisen gewesen.

Dazu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens

Punkt 1. des Ersturteils über die Verpflichtung der beklagten Partei, der Klägerin ab (ohne zeitliche Begrenzung, etwa mit dem Ende des Anspruchs auf Krankengeld) ein tägliches Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, blieb von der Berufung der beklagten Partei ausdrücklich unangefochten (vgl RIS-Justiz RS0036653) und ist – infolge sachlicher Abtrennbarkeit von den übrigen Punkten des Urteilsspruchs (vgl RIS-Justiz RS0007269; RS0041347) – in Teilrechtskraft erwachsen. Zu entscheiden ist daher allein darüber, ob die Klägerin ab gegen die beklagte Partei einen Anspruch auf Erbringung einer vorläufigen Zahlung nach § 89 Abs 2 ASGG hat, der aus dem – dem Grunde nach bereits rechtskräftig feststehenden, auf § 122 Abs 2 Z 1 lit b ASVG gegründeten – Anspruch auf Wochengeld resultiert. Ob in concreto ein Grundurteil nach § 89 Abs 2 ASGG zulässig war oder nicht, kann dahingestellt bleiben.

Aufgrund dessen ist der Rechtsmittelantrag der beklagten Partei so zu verstehen, dass die Höhe der vorläufigen Zahlung mit Null festgelegt werden soll, weil ihres Erachtens auch der Anspruch auf Wochengeld im maßgeblichen Zeitraum mit Null zu bemessen sei.

2. Gesetzliche Grundlagen

2.1. § 84 Abs 1 B-KUVG verweist hinsichtlich des Anspruchs auf Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft auf die Anwendung von Bestimmungen des ASVG, namentlich auf § 122 ASVG hinsichtlich der Anspruchsberechtigung während der Dauer der Versicherung und nach dem Ausscheiden aus der Versicherung sowie auf die §§ 162 sowie 165 bis 168 hinsichtlich des Wochengeldes.

2.2. Die Höhe des Wochengeldes wird in § 162 Abs 3 ASVG – soweit für die hier zu treffende Entscheidung relevant – in folgender Weise geregelt (an dieser Stelle wird die aktuell geltende Fassung angegeben, die sich von der zum geltenden Fassung nur dadurch unterscheidet, dass mit dem WiedereingliederungsteilzeitG BGBl I 2017/30 in Satz 6 eine lit d eingefügt wurde):

„(3) (Satz 1)Das Wochengeld gebührt in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teiles des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge; … (Satz 6)Fallen in den für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes maßgebenden Zeitraum

a) Zeiten der im § 11 Abs. 3 bezeichneten Art,

b) Zeiten, während derer die Versicherte infolge Krankheit, eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungs-verbotes oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat,

c) Zeiten, während deren die Versicherte nach den §§ 14a, 14b, 14c, oder 14d AVRAG oder einer gleichartigen Regelung zum Zwecke der Sterbebegleitung eines (einer) nahen Verwandten, der Begleitung eines schwersterkrankten Kindes oder der Pflege eines/einer nahen Angehörigen (Pflegekarenz) nicht das volle oder kein Arbeitsentgelt bezogen hat oder

d) Zeiten, in denen Wiedereingliederungsgeld bezogen wurde,

so bleiben diese Zeiten bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht. (Satz 7)Liegen in dem maßgebenden Zeitraum nur Zeiten der in lit. a, b oder c bezeichneten Art vor, so verlängert sich der maßgebende Zeitraum um diese Zeiten; diese Zeiten bleiben bei der Berechnung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht. (Satz 8)In den Fällen des § 122 Abs. 3 erster Satz sind, wenn dies für die Versicherte günstiger ist, für die Ermittlung der Höhe des Wochengeldes nicht die letzten 13 Wochen bzw. drei Kalendermonate vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft heranzuziehen, sondern die letzten 13 Wochen bzw. drei Kalendermonate vor dem Ende der Pflichtversicherung oder vor dem Ende des Dienstverhältnisses.“

2.3. Bei „Zeiten der im § 11 Abs. 3 bezeichneten Art“ handelt es sich um Arbeitsunterbrechungen, während derer das Dienstverhältnis aufrecht bleibt (zB kurzzeitige Karenzierungen ohne Entgeltzahlung oder Unterbrechungen im Zusammenhang mit Bildungsfreistellungen).

2.4. § 162 Abs 3 Satz 6 lit c ASVG, wo – anders als in lit b – die Wortfolge „nicht das volle oder kein Arbeitsentgelt bezogen hat“ enthalten ist, wurde mit dem 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145, angefügt. In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 310 BlgNR 22. GP 6 f) wird die unterschiedliche Wortwahl in lit b und lit c hinsichtlich des „nicht vollen Arbeitsentgelts“ nicht erläutert. Die Wortwahl lässt tendenziell den Schluss zu, dass dem Gesetzgeber in allen Fällen der Aufzählung ein nach wie vor aufrechtes Arbeitsverhältnis vorschwebte.

3. Zur Höhe des Wochengeldanspruchs der Klägerin

3.1. Da der Versicherungsfall der Mutterschaft bei der Klägerin gemäß § 120 ASVG mit Beginn des vorzeitigen Mutterschutzes am eingetreten ist, wäre als maßgeblicher Beobachtungszeitraum zunächst der Zeitraum von bis heranzuziehen (RIS-Justiz RS0084115), in dem die Klägerin durchgehend Krankengeld bezog.

3.2. Zu beurteilen ist, ob in diesem Fall die Regelung des § 162 Abs 3 lit b ASVG heranzuziehen ist, wonach Zeiten, während derer die Versicherte infolge Krankheit „nicht das volle Entgelt bezogen hat“, bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes im Beobachtungszeitraum außer Betracht bleiben. Damit soll eine nicht zu rechtfertigende Herabsetzung des Wochengeldes, die mit der Berücksichtigung von Zeiten eines verminderten Entgeltbezugs einherginge, verhindert werden (vgl 147/A zu 517 BlgNR 9. GP 76).

3.3. Gegen die Anwendbarkeit dieser Norm im konkreten Fall, der durch das Fehlen eines aufrechten Arbeitsverhältnisses gekennzeichnet ist, bringt die beklagte Partei zum einen den Wortlaut ins Spiel („nicht das volle Entgelt bezogen hat“), zum anderen auch das Erfordernis einer Reduktion des Anwendungsbereichs auf Fälle des aufrechten Arbeitsverhältnisses.

3.4. Zwar mag es zutreffen, dass der Gesetzgeber wegen der Bezugnahme auf das Arbeitsentgelt bei § 162 Abs 3 ASVG Fälle eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses vor Augen hatte. Zwingend ist dieser Schluss freilich nicht. Insbesondere würde auf diese Weise – wie auch der vorliegende Fall zeigt – der dem Grunde nach zustehende Leistungsanspruch nach Ende der Pflichtversicherung gemäß § 122 Abs 2 Z 1 lit b ASVG konterkariert. Dass ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis nicht stets Voraussetzung für den Wochengeldanspruch ist, zeigen etwa die Fälle des § 122 Abs 3 ASVG (Pfeil, Einkommenssicherung für Schwangere während eines Beschäftigungsverbots, ZAS 2012, 52 [54]). So lässt § 162 Abs 3 Satz 8 ASVG – unter Bezugnahme auf eine Schutzfrist – nach dem Günstigkeitsprinzip eine Bemessung des Wochengeldes nach den letzten 13 Wochen vor Ende der Pflichtversicherung zu. Auch im Falle einer Weiterbildungsgeldbezieherin ohne aktuellen Arbeitsverdienst hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass sich die Höhe des Wochengeldanspruchs in diesem Fall nicht mit Null bemisst, sondern nach § 41 Abs 1 Satz 2 AlVG zu berechnen ist; diese Bestimmung verweist auf jene Höhe des Leistungsbezugs, die sich gemäß § 162 Abs 3 und 4 ASVG aus dem vorangegangenen Arbeitsverdienst ergibt (10 ObS 16/10s, SSV-NF 24/69). Der Oberste Gerichtshof wies darauf hin, dass die Regelung des § 41 Abs 1 Satz 2 AlVG offenkundig nur jenen Regelfall vor Augen habe, in dem die Bildungskarenz aus einem aufrechten Arbeitsverhältnis heraus angetreten werde, nicht aber den Ausnahmefall des nicht mehr aufrechten Arbeitsverhältnisses. Die planwidrige Gesetzeslücke wurde dadurch geschlossen, dass der Oberste Gerichtshof der Bemessung des Wochengeldanspruchs die bezogene Leistung (Weiterbildungsgeld) zugrunde legte.

3.5. Insoweit § 162 Abs 3 lit b ASVG mit der Bezugnahme auf das – offensichtlich aus einem Arbeitsverhältnis stammende – Entgelt abstellt, erweist sich die Regelung für den Ausnahmefall des § 122 Abs 2 Z 1 lit b ASVG, in dem der Wochengeldanspruch kein aufrechtes Arbeitsverhältnis voraussetzt, als lückenhaft. Die Lücke ist planwidrig, weil für einen Fall, in dem ein Wochengeldanspruch dem Grunde nach besteht, eine Regelung zur Höhe fehlt.

4. Schließung der planwidrigen Lücke durch Verlängerung des Beobachtungszeitraums

Die planwidrige Lücke lässt sich durch entsprechende Verlängerung des Beobachtungszeitraums, wie sie in § 162 Abs 3 Satz 7 ASVG angeordnet wird, schließen, weshalb das Fehlen eines aufrechten Arbeitsverhältnisses bei fortwährendem Krankengeldbezug im Beobachtungszeitraum nicht sofort zur Bestimmung des Wochengeldes mit Null führt.

4.1. Das Wochengeld ist eine Einkommens-ersatzleistung, die sich nach dem Durchschnittsprinzip am Einkommen vor dem Eintritt des Versicherungsfalls im maßgebenden Beobachtungszeitraum orientiert (RIS-Justiz RS0117195).

4.2. Der Wortlaut des § 162 Abs 3 Satz 7 ASVG geht lediglich von einer Verlängerung des Beobachtungszeitraums um eine 13-Wochen-Periode aus (in diesem Sinn zu § 14 MSchG – neben anderen – etwa Pfeil, ZAS 2012, 52 [56]). Dem steht allerdings der in den Gesetzesmaterialien zur 9. ASVG-Novelle (BGBl 1964/13) zum Ausdruck gebrachte Zweck der Neuregelung in § 162 Abs 3 Satz 6 lit b ASVG entgegen, wonach durch die Ausnahmezeiten der lit b „in Anlehnung an § 14 Mutterschutzgesetz (BGBl Nr 76/1957) Vorsorge getroffen [wurde], dass Zeiten der Krankheit oder der vorübergehenden Kurzarbeit […] bei der Ermittlung des Arbeitsverdienstes der letzten 13 Wochen außer Betracht bleiben sollen, um zu verhindern, daß das Wochengeld dadurch eine nicht zu rechtfertigende Herabsetzung erfährt.“ (147/A zu 517 BlgNR 9. GP 76). Dass eine Bemessung des – dem Grunde nach zustehenden – Wochengeldes mit Null nicht den gesetzgeberischen Intentionen entspricht, findet eine Stütze in § 165 ASVG. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, kann dem Gesetzgeber schwerlich zugesonnen werden, dass er die weitere Gewährung von Krankengeld infolge des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft und der Eröffnung des Wochengeldanspruchs versagt, gleichzeitig aber zulässt, dass nach längeren Krankenständen das Wochengeld mit Null bemessen wird, während ohne Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft noch weiterhin Anspruch auf Krankengeldbezug bestanden hätte.

4.3. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass sich der Beobachtungszeitraum nicht nur einmalig nach hinten verschiebt, sondern so lange, bis ein Zeitraum von drei vollen Kalendermonaten erreicht wird, aus dem sich ein durchschnittlicher Arbeitsverdienst errechnen lässt. In concreto ist dies der Zeitraum von bis .

5. In diesem Sinn ist das angefochtene (Grund-)Urteil zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a in Verbindung mit § 77 Abs 2 ASGG.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00076.16Y.0518.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,12 Sozialrechtssachen

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