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VfGH vom 11.06.2015, E446/2014

VfGH vom 11.06.2015, E446/2014

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Folgeantrags wegen entschiedener Sache mangels Klärung möglicher Sachverhaltsänderungen betr den psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die Lage in Afghanistan

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am nach illegaler Einreise nach Österreich einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des (damaligen) Bundesasylamtes vom abgewiesen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom gemäß §§3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen.

2. Am stellte der Beschwerdeführer einen zweiten, hier maßgeblichen, Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, dass er ca. zwei Jahre in der Ukraine gewesen sei und aus Angst, dass er dorthin abgeschoben werde, habe er das im ersten Verfahren nicht angegeben. Er habe im Jahr 2005 in Afghanistan die Schule abgeschlossen und sei danach nach Pakistan gefahren, um eine Koranschule zu besuchen, er sei jedoch einer Gehirnwäsche unterzogen worden und ein Onkel mütterlicherseits habe von ihm als er zurück in Afghanistan war, von ihm verlangt, für die Taliban einen Anschlag zu verüben. Am wurde der Beschwerdeführer einer psychologischen Untersuchung im Rahmen des Zulassungsverfahrens unterzogen. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde dieser Antrag gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen. Aus der gutachterlichen Stellungnahme zur psychologischen Untersuchung ergebe sich, dass aus aktueller Sicht keine belastungsabhängige krankheitswerte psychische Störung und auch sonst keine psychischen Krankheitssymptome beim Beschwerdeführer vorliegen würden.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom gemäß § 28 Abs 1 iVm Abs 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen und gemäß § 75 Abs 20 AsylG 2005 das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das nunmehrige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer habe keine neuen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich auf seine bereits im ersten Asylverfahren getätigten Angaben gestützt, die schon vom Asylgerichtshof im Erkenntnis vom als nicht glaubhaft beurteilt wurden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sich sein Gesundheitszustand seit seinem letzten Asylverfahren gravierend verschlechtert habe, wobei er zum Beweis einen "klinisch-psychologischen Befundbericht" einer Psychotherapeutin vom vorlegte, demzufolge der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und Suizidgefahr bestehe, sei erstmals in der Beschwerde vorgebracht worden, weshalb diese Angaben im Verfahren nicht zu berücksichtigen seien. Zudem würden keine (allgemein bekannten) Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegen würden. Die Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sei vom Bundesasylamt daher sowohl im Hinblick auf den Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht erfolgt.

4. Dagegen richtet sich die auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, nicht der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden, auf Gleichbehandlung Fremder untereinander sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, behauptet und die Aufhebung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes beantragt wird. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers habe sich seit Abschluss des ersten Asylverfahrens rapide verschlechtert, er leide an Depressionen und habe vor dem Büro des UNHCR in Wien versucht, sich selbst zu verbrennen. Es finden sich zur psychischen Erkrankung keine Feststellungen zur aktuellen Situation betreffend die Gesundheitsversorgung in Afghanistan. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom , Fall I.K. , Appl. 2964/12, ergebe sich zudem, dass auch im Fall von Folgeanträgen, selbst dann, wenn kein neues Vorbringen erstattet wird, sondern lediglich eine Bezugnahme auf die bereits im ersten Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründe erfolgt, eine aktuelle Beurteilung der abschiebungsrelevanten Situation im Hinblick auf Art 3 EMRK zu erfolgen hat.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete keine Gegenschrift.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlage des angefochtenen Erkenntnisses werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch nicht entstanden.

3. Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

4. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

5. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses unterlaufen:

5.1. Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status auch auf die Gewährung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 AsylG 2005 gerichtet. Der Umstand, dass in einem auf das AsylG 2005 gestützten Antrag auf internationalen Schutz ein Antrag auch in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz enthalten ist, wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem AsylG 2005 ist das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (zum damaligen Asylgerichtshof U1533, 1534/10; vgl. auch ).

5.2. Dieser Verpflichtung ist das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachgekommen:

5.2.1. So wurde der Beschwerdeführer zwar im Oktober 2013 im Rahmen des Zulassungsverfahrens psychologisch untersucht. Aus der gutachterlichen Stellungnahme ergab sich nicht, dass beim Beschwerdeführer eine belastungsabhängige krankheitswerte psychische Störung oder sonstige psychische Krankheitssymptome vorliegen, jedoch legte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeergänzung einen anderslautenden "klinisch-psychologischen Befundbericht" einer Psychotherapeutin vom November 2013 vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber weder diese einander widersprechenden Befunde im Rahmen einer mündlichen Verhandlung noch durch ein weiteres Gutachten zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers aufgeklärt.

5.2.2. Auch finden sich zur Lage in Afghanistan – unter Heranziehung der Länderfeststellungen des Bundesasylamtes aus dem April 2013 – nur allgemeine Hinweise, dass sich die Situation gegenüber der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung des Asylgerichtshofes vom in keiner für das vorliegende Verfahren relevanten Weise geändert habe, obwohl der Beschwerdeführer auf eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der Situation in Afghanistan hingewiesen hat.

5.3. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher verpflichtet, Widersprüche, die sich aus dem Beschwerdevorbringen und den Feststellungen des Bundesasylamtes ergeben, zu prüfen und gegebenenfalls im Rahmen einer mündlichen Verhandlung aufzuklären.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E446.2014