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OGH 24.09.2012, 9ObA97/12y

OGH 24.09.2012, 9ObA97/12y

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter ADir Sabine Duminger und Mag. Robert Brunner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** D*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Fiebinger Polak Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 4.293,67 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 21/12z-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 6 Cga 118/11g-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 74,66 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten vom bis zum als Arbeiter (Lkw-Fahrer) beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) zur Anwendung. Die für das Verfahren maßgeblichen Bestimmungen dieses Kollektivvertrags in der Fassung des Rahmens vom lauten auszugsweise:

IX. Mindestlöhne

[…]

2. Beschäftigungsgruppenmerkmale

[…]

Beschäftigungsgruppe E-Qualifizierter Fachar-beiter:

Abgeschlossene Berufsausbildung (Lehrabschluss-prüfung) oder gleichwertige Ausbildung mit Abschluss, große Fachkenntnisse; Befähigung, alle berufseinschlägigen Arbeiten nach kurzer Anweisung selbständig unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte verantwortungsbewusst zu verrichten. Fähigkeit zum Einsatz beigestellter Arbeitskräfte und zur Beratung von Kunden.

Beschäftigungsgruppe D-Facharbeiter:

Abgeschlossene Berufsausbildung (Lehrabschluss-prüfung) oder gleichwertige Ausbildung mit Abschluss, auch Lehrabschlussprüfung in technologisch verwandten bzw technologisch ähnlichen Berufen; Befähigung, berufseinschlägige Arbeiten nach Anweisung verantwortungsbewusst zu verrichten.

[…]

Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung (Lehrabschlussprüfung) sind in eine der Facharbeiter - Beschäftigungsgruppen einzustufen, es sei denn, dass sie tatsächlich ausschließlich außerhalb des erlernten Lehrberufs und auch außerhalb technologisch verwandter bzw technologisch ähnlicher Berufe eingesetzt werden. […]“

Die Beklagte betreibt das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung. Der Kläger nahm mit ihr Kontakt infolge einer Stellenausschreibung der Beklagten auf, die auszugsweise lautet:

„[...] suchen wir ab sofort einen Lkw-Lenker (w/m) […]

Ihre Aufgaben: Lenken von Fahrzeugen mit Führerschein B und Führerschein C. Umgang mit Ladebordwänden. Durchführen von Botendiensten und Fahraufträgen. Führen der vorgeschriebenen Aufzeichnungen. […]

Ihre Qualifikationen: Abgeschlossener metallverarbeitender Lehrberuf von Vorteil. Mechanikerausbildung. Führerschein der Klassen B und C. Werkstättenerfahrung. Flexibilität. Selbständigkeit […].“

Der Kläger verfügte über einen Führerschein der Klassen B und C, sowie über Lehrabschlüsse als Berufskraftfahrer, Stahlbauschlosser und Kraftfahrzeugmechaniker. Er konnte darüber hinaus einen Kranführerausweis für Ladekrane bis 300 kNm sowie einen Lehrgang „CNC-Drehen und Fräsen“ vorweisen. Seit seinem Lehrabschluss als Berufskraftfahrer im Jahr 1998 war der Kläger bei unterschiedlichen Arbeitgebern insgesamt etwa zwei Jahre und sieben Monate als Kraftfahrer tätig.

Im Zug des Bewerbungsverfahrens bei der Beklagten gab der Kläger als angestrebte Tätigkeit „Chauffeur“ im Bereich Transport/Verkehr an und ging auch davon aus, dass er als Kraftfahrer eingesetzt wird. Die Parteien schlossen in weiterer Folge einen Arbeitsvertrag, der auszugsweise folgenden Inhalt hatte:

„[...] Der/die Arbeitnehmer/in ist tätig als: LKW-Fahrer bis 3,5 Tonnen […]

Einstufung: Beschäftigungsgruppe: BG D-Facharbeiter […].“

In weiterer Folge war der Kläger bei einem Beschäftigerbetrieb tätig, der einen KFZ-Lenker mit Führerschein C suchte, wobei Mechanikerkenntnisse für gelegentliche kleinere Reparaturen von Vorteil waren. Der Kläger führte im Zuge seiner Tätigkeit für diesen Beschäftigungsbetrieb Transportfahrten, darunter vor allem Krankentransporte, durch. Er führte jedoch auch Entsorgungsfahrten mit kaputten Betten und Abfällen sowie Fahrten mit einem LKW bis 7,5 Tonnen in Begleitung eines Hausarbeiters durch, demgegenüber der Kläger jedoch keine Weisungen aussprach. Bei Krankentransporten waren Krankenpfleger anwesend, denen gegenüber der Kläger ebenfalls nicht weisungsbefugt war. Er führte kleine Reparaturarbeiten an den Fahrzeugen selbständig durch und absolvierte eine Gefahrguttransportschulung, um zum Transport von Blutproben berechtigt zu sein. Weiters führte er Post aus. Er wurde während seiner Tätigkeit von niemandem beaufsichtigt oder kontrolliert.

Der Kläger begehrt die Zahlung von - der Höhe nach unstrittigen - Lohndifferenzen mit dem wesentlichen Vorbringen, er sei nicht in die Beschäftigungsgruppe D des KVAÜ (in weiterer Folge: BG D), sondern richtigerweise als qualifizierter Facharbeiter in die Beschäftigungsgruppe E (in weiterer Folge: BG E) einzustufen gewesen. Er verfüge über entsprechende Lehrabschlussprüfungen, eine langjährige Berufserfahrung und es sei von ihm selbständiges Arbeiten auf Grundlage großer Fachkenntnisse verlangt worden. Tatsächlich habe der Kläger nicht nur LKW mit einem Gewicht von bis zu 3,5 Tonnen, sondern auch solche mit einem Gewicht von bis zu 12 Tonnen gelenkt, ihm seien Hausarbeiter und zwei Krankenpfleger zugeteilt worden, für die er Verantwortung übernehmen habe müssen.

Die Beklagte wandte dagegen zusammengefasst ein, dass die Einstufung des Klägers in die BG D zutreffend erfolgt sei, weil er kein qualifizierter Facharbeiter im Sinn der BG E sei und darüber hinaus nicht über die erforderlichen organisatorischen Fähigkeiten verfüge.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Im Anwendungsbereich des KVAÜ trete der Grundsatz, wonach die Einstufung in eine bestimmte Beschäftigungsgruppe sich nach dem tatsächlichen Inhalt der Tätigkeit des Arbeitnehmers richte, zurück. Maßgeblich sei vielmehr das vereinbarte Einsatzfeld und die dafür überwiegend nötige Qualifikation. Ausgehend von den im Stellenangebot der Beklagten formulierten Anforderungen sei als voraussichtliches Betätigungsfeld die Tätigkeit des Klägers als Lkw-Fahrer heranzuziehen. Nicht maßgeblich seien die Zusatzausbildungen des Klägers. Es sei nicht ersichtlich, welche große Fachkenntnis der Kläger in Bezug auf seine Tätigkeit als Berufskraftfahrer vorweisen könne, er habe lediglich zwei Jahre und sieben Monate als Berufskraftfahrer gearbeitet, weshalb eine mehrjährige Arbeitserfahrung nicht angenommen werden könne. Darüber hinaus mangle es am Kriterium der Selbständigkeit, weil der Kläger nur beauftragte Transporte durchgeführt habe und er betreffend den Arbeitsablauf und den Einsatz der Arbeitsmittel keine eigenen Entscheidungen traf. Der Kläger sei daher zutreffend in die BG D des KV eingestuft worden.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es führte aus, dass der Kläger im Sinne der Merkmale der BG E über große Fachkenntnisse sowie über die Befähigung, alle berufseinschlägigen Arbeiten nach kurzer Anweisung selbständig unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte verantwortungsbewusst zu verrichten verfüge. Es fehle jedoch am Erfordernis der Fähigkeit zum Einsatz beigestellter Arbeitskräfte, daher der Qualifikation des Facharbeiters, seine Aufgaben als Vorgesetzter anderer Arbeitnehmer auszuüben, deren Einsatz er zu lenken habe, ohne dass schon die Funktion eines Vorarbeiters ausgeübt werde. Weiters fehle es am Kriterium der Beratung von Kunden, das außer großem Fachwissen auch die Fähigkeit voraussetze, sich sprachlich verständlich auszudrücken und Gespräche führen zu können. Ausgehend von der hier relevanten Stellenausschreibung seien derartige Fertigkeiten vom Kläger nicht verlangt worden und stellten für das wahrscheinliche Einsatzfeld auch keine notwendige Qualifikation dar, sodass die Einstufung des Klägers in die BG D zutreffend erfolgt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick darauf, dass Rechtsprechung zur Auslegung der einzelnen Beschäftigungsgruppenmerkmale des KVAÜ fehle, zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof hat in der zur damaligen Lohngruppe 3 KVAÜ (nunmehr: BG D) ergangenen Entscheidung 9 ObA 91/07h (zust Schindler in DRdA 2010/10, 135 f) ausgeführt, dass für die Einstufung nach dem KVAÜ das vereinbarte „Einsatzfeld“ und die dafür überwiegend nötige oder prägende Qualifikation maßgeblich ist. Der bisherigen Berufstätigkeit bzw der Ausbildung des Arbeitnehmers kommt für die Einstufung ein besonderer Stellenwert zu, weil für den Überlasser höherwertige Kenntnisse und Fertigkeiten auch dann wesentlich sind, wenn sie zeitlich nicht überwiegen. Die Bestimmungen des Abschnitts IX KVAÜ sind vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Arbeitskräfteüberlassung zu sehen, bei der die zukünftigen Einsätze sehr oft nicht genau vorhersehbar sind. Diese Grundsätze, die die Vorinstanzen beachtet haben, haben auch im vorliegenden Fall zur Anwendung zu gelangen und werden vom Revisionswerber nicht in Zweifel gezogen.

2. Der Revisionswerber führt zusammengefasst aus, dass die in der BG E im KVAÜ genannten Merkmale des Einsatzes beigestellter Mitarbeiter und der Kundenkontakte nicht kumulativ mit den anderen in dieser Bestimmung genannten Merkmalen vorliegen müssten. Dies ergebe sich einerseits grammatikalisch, weil diese Kriterien im Text nicht durch einen „Strichpunkt“, sondern durch einen „Punkt“ von den anderen Merkmalen getrennt seien. Darüber hinaus handle es sich bei der BG E um die „typische“ Facharbeiter-Beschäftigungsgruppe, während die BG D lediglich eine „Übergangslohngruppe“ sei, denn nach einiger Zeit würden Facharbeiter gewissermaßen die Kenntnisse und Fähigkeiten für die BG E erwerben. Da jedoch in zahlreichen Facharbeiterberufen gerade die Fähigkeiten des Kundenkontakts und des Einsatzes beigestellter Mitarbeiter nicht verlangt werden, könnten diese keine kumulativ zwingend vorliegende Voraussetzung für die Einstufung in diese Beschäftigungsgruppe bilden, weil sonst für die BG E kein Anwendungsbereich verbliebe.

3. Diesen Argumenten kommt schon im Hinblick auf den für die Auslegung maßgeblichen klaren Wortlaut (RIS-Justiz RS0010088 ua) des KVAÜ keine Berechtigung zu. Denn die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Normen besessen haben, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (9 ObA 33/11k ua).

4. Für die Auslegung der für die Einstufung maßgeblichen Bestimmungen des KVAÜ ist hier zunächst wesentlich, dass der Kollektivvertrag im Anschluss an die die einzelnen Merkmale der Beschäftigungsgruppen normierenden Bestimmungen ganz allgemein einen besonderen Facharbeiterschutz normiert, indem er regelt, dass Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung (Lehrabschlussprüfung) zwingend - es sei denn, dass sie „ausschließlich“ außerhalb des erlernten Lehrberufs oder technologisch verwandter bzw ähnlicher Berufe eingesetzt werden - in eine der Facharbeiter-Beschäftigungsgruppen (BG D, BG E oder BG F) einzustufen sind (9 ObA 91/07h). Die Einstufung in eine dieser Facharbeiter-Beschäftigungsgruppen hat ausschließlich nach den vom KVAÜ - detailliert - vorgegebenen Kriterien zu erfolgen. Eine unterschiedliche „Gewichtung“ einzelner Facharbeiter-Beschäftigungsgruppen - etwa im Sinn einer „typischen“ Facharbeiter-Beschäftigungsgruppe (vgl Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV IX/1, 2 Erl 5) - ist dem allein ausschlaggebenden Text des KVAÜ nicht zu entnehmen (Rothe, Arbeiterkollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung Rz 45). Der KVAÜ verweist vielmehr im Fall des Vorliegens einer abgeschlossenen Berufsausbildung (Lehrabschlussprüfung) ohne weitere sich aus dem Text ergebende Vorgaben oder Einschränkungen ganz allgemein in eine der Facharbeiter-Beschäftigungsgruppen.

5. Die Einstufung in die BG E verlangt ausdrücklich die Fähigkeit zum Einsatz beigestellter Arbeitskräfte und zur Beratung von Kunden. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass diese Kriterien ausgehend vom im Stelleninserat der Beklagten verlangten und vom Kläger ihr gegenüber angegebenen Anforderungsprofil sowie unter Berücksichtigung des tatsächlich vereinbarten Einsatzfeldes des Klägers hier nicht erfüllt sind, stellt der Revisionswerber inhaltlich nicht mehr in Frage. Für die von ihm vertretene Ansicht, dass diese Kriterien kein zwingendes Beschäftigungsgruppen-Merkmal der BG E seien, findet sich keinerlei Anhaltspunkt im Text des Kollektivvertrags. Diese Kriterien sind im Gegenteil sogar durch ihre Nennung in einem eigenen Satz hervorgehoben. Einer vergleichbaren Regelungstechnik haben sich die Kollektivvertragsparteien etwa auch in BG F bedient, deren letzter Satz normiert, dass die in dieser Beschäftigungsgruppe genannten Qualifikationen „entsprechend“ nachgewiesen werden müssen (vgl dazu Schindler aaO IX/1, 2 Erl 4).

Der vom Revisionswerber ins Treffen geführte Umstand, dass die Fähigkeit zum Einsatz beigestellter Arbeitskräfte und zur Beratung von Kunden nur in wenigen Facharbeiterbranchen tatsächlich verlangt werde, sodass die BG E für viele qualifizierte Facharbeiter nicht zu erreichen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil es nicht Sache der Rechtsprechung ist, eine allenfalls unbefriedigende Regelung des Kollektivvertrags zu korrigieren und diesem zu diesem Zweck eine Deutung zu geben, die dem klaren und unzweideutig formulierten Wortlaut zuwiderliefe (8 ObA 70/07p ua).

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Arbeitsrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2012:009OBA00097.12Y.0924.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAE-13328