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VfGH vom 05.03.2020, E394/2020

VfGH vom 05.03.2020, E394/2020

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen mangels aktueller Länderberichte

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und Schiit, wurde am in Afghanistan geboren und übersiedelte im Alter von eineinhalb Jahren mit seiner Familie in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise in das Bundesgebiet im Jahr 2015 lebte. Er stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm gemäß § 8 Abs 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß § 8 Abs 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Begründend wurde zur Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer auf Grund der instabilen Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz Ghazni, mangels familiärer Anknüpfungspunkte in anderen Teilen Afghanistans und mangels besonderer beruflicher Qualifikationen im Fall seiner Rückkehr mit Schwierigkeiten im existenzgefährdenden Ausmaß zu rechnen gehabt hätte.

Auf Antrag des Beschwerdeführers wurde die Aufenthaltsberechtigung vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 zuletzt bis zum erteilt. Mit Eingabe vom stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 leg.cit. abgewiesen. Darüber hinaus wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung zulässig ist, und eine vierzehntägige Frist für die Ausreise festgesetzt.

4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG abgesehen. Begründend wird in der Entscheidung zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Der Beschwerdeführer habe in Österreich Berufserfahrung gesammelt und zuletzt problemlos selbständig seinen Lebensunterhalt bestritten. Nach den aktuellen Länderberichten bestehe somit für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann, der im Vergleich zur übrigen urbanen Bevölkerung Afghanistans eine überdurchschnittlich qualifizierte Berufserfahrung aufweise, eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif. Dem stehe unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer Afghanistan im Kleinkindalter verlassen habe und im Iran aufgewachsen sei.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben jeweils die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

3. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

4. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

4.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht im Wesentlichen davon aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weggefallen seien, weil dem Beschwerdeführer auf Grund der aktuellen Länderberichte und vor dem Hintergrund seiner in Österreich gesammelten Berufserfahrung nunmehr eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe.

4.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; ; , U2557/2012; , U1159/2012; , E1542/2014; , E1641/2016; , E1796/2016; , E2124/2017; vgl im vorliegenden Zusammenhang zuletzt insbesondere ; , E2692/2019; , E3350/2019; , E3369/2019).

4.3. Im vorliegenden Fall stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellun-gen, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedelung in Herat und Mazar-e Sharif möglich und zumutbar sei, auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom .

4.4. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass eine aktuelle und spezifische Information betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers, der seit seinem zweiten Lebensjahr im Iran gelebt hat und aufgewachsen ist, vorliegt. Die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 (ebenso nach dem Stand der aktuelleren Fassung aus Juni 2019) enthält eine spezifische Beurteilung für jene Gruppe von Rückkehrern, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben:

Aus dem Bericht des EASO geht hervor, dass für die genannte Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungs-netzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanis-tan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).

4.5. Indem das Bundesverwaltungsgericht diese – zum Entscheidungszeitpunkt bereits veröffentlichte – maßgebliche Information nicht berücksichtigt, hat es seine Entscheidung auf veraltete Länderberichte gestützt und damit die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen (vgl ; , E2692/2019; E3350/2019; ferner , E3369/2019). Ein bloßer Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ähnlichen Fällen kann eine Auseinandersetzung mit den Länderberichten im Einzelfall nicht ersetzen.

4.6. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich somit schon aus diesen Gründen im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 und 3 EMRK als verfassungswidrig. Sie ist im Hinblick auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten des Beschwerdeführers und den daran anknüpfenden übrigen Spruchinhalt mit Willkür behaftet und daher zur Gänze aufzuheben.

4.7. Mit Blick auf die dargestellte Berichtslage und die wiedergegebene Recht-sprechung bedarf es daher im fortgesetzten Verfahren einer Begründung, auf Grund welcher außergewöhnlichen Umstände es dem Beschwerdeführer, der seit seinem zweiten Lebensjahr bis zur Ausreise ins Bundesgebiet im Iran lebte, dennoch möglich sein könnte, nach Afghanistan zurückzukehren, ohne dass er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 EMRK auf Leben sowie gemäß Art 3 EMRK, weder der Folter, noch erniedrigender oder unmenschlicher Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt wird (vgl auch ).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:E394.2020
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

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