VfGH vom 30.06.2016, E381/2016 ua

VfGH vom 30.06.2016, E381/2016 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf subsidiären Schutz von Staatsangehörigen von Bangladesch und Zurückverweisung des Verfahrens hinsichtlich einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mangels ausreichend abwägender Begründung hinsichtlich des Gesundheitszustands der Zweitbeschwerdeführerin und mangels spezifischer Ermittlungen zur medizinischen Versorgung in Bangladesch; teils Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO wird stattgegeben.

II. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen und die Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wurden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973).

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Bangladesch und stellten am Anträge auf internationalen Schutz. Begründend gaben sie an, aus Liebe zueinander geheiratet zu haben, wobei ihre Familien gegen diese Verbindung gewesen seien. Als die Zweitbeschwerdeführerin vom Erstbeschwerdeführer schwanger geworden sei, sei dem Erstbeschwerdeführer von seiner Familie damit gedroht worden, dass die Zweitbeschwerdeführerin solange geschlagen werde, bis sie ihr Kind verlieren werde, sollte der Erstbeschwerdeführer sie nicht verlassen. Weiters seien die Beschwerdeführer unter Druck gesetzt worden, ihr Kind abtreiben zu lassen.

2. Im Dezember 2012 litt die Zweitbeschwerdeführerin gegen Ende ihrer Schwangerschaft infolge von "Eklampsie" an schweren Krämpfen und musste ihr Kind mittels Notkaiserschnitts auf die Welt bringen. Laut Kurzarztbrief der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Landes-, Frauen- und Kinderklinik Linz vom war die Zweitbeschwerdeführerin in der Folge für einige Tage in der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz aufhältig und wurde schließlich mit der Diagnose einer schweren postpartalen Depression entlassen.

3. Aus dem vom – zum damaligen Zeitpunkt zuständigen – Bundesasylamt (in der Folge: BAA) in Auftrag gegebenen neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom geht insbesondere hervor, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer "Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion" leiden würde. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei bei diesem Krankheitsbild nicht auszugehen und bestünde aus neurologisch-psychiatrischer Sicht im Falle einer Überstellung ihrer Person auch nicht die reale Gefahr, dass sie auf Grund ihrer psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder dass sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könne.

4. Das BAA wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom jeweils gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 leg.cit. bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab und wies die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bangladesch aus.

5. Die Beschwerdeführer erhoben gegen diese Bescheide Beschwerde an den zum damaligen Zeitpunkt zuständigen Asylgerichtshof und brachten im – in der Folge von dem an die Stelle des Asylgerichtshofes getretenen Bundesverwaltungsgericht weitergeführten – Verfahren mehrere Unterlagen hinsichtlich des gesundheitlichen Zustandes der Zweitbeschwerdeführerin in Vorlage. Aus dem Arztbrief einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom geht u.a. hervor, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer depressiven Störung, "zB PTBS", leide. Der ambulante Patientenbrief der Univ. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des AKH Wien vom führt u.a. die Diagnosen einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer Depression mit derzeit schwerer depressiver Episode bei der Zweitbeschwerdeführerin an. Der Stellungnahme der die Zweitbeschwerdeführerin behandelnden Psychotherapeutin vom ist zu entnehmen, dass bei der Zweitbeschwerdeführerin eine posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung, soziale Phobie, Angststörung/schwere depressive Störung und anhaltende somatoforme Schmerzstörung vorliegen würden. Der Kurzbrief der Univ. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des AKH Wien vom hält fest, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, einer Depression mit derzeit schwerer depressiver Episode, im Längsschnitt zeitweise mit psychotischer Symptomatik, und einer fraglich neuro-kognitiven Beeinträchtigung bei Zustand nach Hypoxie im Rahmen einer Eklampsie sowie im Längsschnitt postpartaler Depression mit Übergang in ein rezidivierendes schweres depressives Zustandsbild leiden würde.

Das neurologisch-psychiatrische Ergänzungsgutachten (zum o.a. Gutachten vom ) vom , welches vom Bundesverwaltungsgericht zur Auseinandersetzung mit den von den Beschwerdeführern im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Befunden eingeholt wurde, führt aus, dass das Gutachten vom vollinhaltlich aufrecht bleibe und keiner Änderung bedürfe. Zum damaligen Zeitpunkt seien bei der Zweitbeschwerdeführerin ein ausführlicher neurologisch-psychiatrischer Status "erfolgt", eine genaue Anamneseerhebung durchgeführt und zusätzliche Tests sowie ein strukturiertes Interview hinsichtlich einer posttraumatischen Belastungsstörung "erhoben" worden. Anhand der nunmehr vorliegenden Befunde sei zu "erheben", dass bei der Beschwerdeführerin offensichtlich stationäre Krankenhausaufenthalte nicht notwendig gewesen seien.

Schließlich hält der von den Beschwerdeführern vorgelegte ambulante Patientenbrief der Univ. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des AKH Wien vom insbesondere ein schweres depressives Zustandsbild sowie eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung bei der Zweitbeschwerdeführerin für gegeben. Zudem sei auffällig, dass zur Erstellung des Ergänzungsgutachtens vom offenbar keine erneute Begutachtung der Zweitbeschwerdeführerin stattgefunden habe, obwohl objektive Befunde, wie eine Magnetresonanz mit entsprechend schwerwiegender Läsion und zu erwartenden klinischen Folgen, vorgelegen wären. Ein Teil der unterschiedlichen Einschätzung in diesem Gutachten sei daher wohl auf das Fehlen einer erneuten Begutachtung zurückzuführen.

6. Die gegen die Bescheide des BAA vom erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom gemäß § 3 sowie § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und die Verfahren gemäß § 75 Abs 20 leg.cit. zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das – zu diesem Zeitpunkt bereits zuständige – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) zurückverwiesen. Dabei führt das Bundesverwaltungsgericht u.a. Folgendes aus:

"Laut schlüssigem und nachvollziehbarem Gutachten samt Ergänzungsgutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie hat die BF2 eine Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit ist nicht auszugehen. Im Fall der Abschiebung ist lediglich von einer kurz- bis mittelfristigen Verschlechterung des Krankheitsbildes auszugehen.

Es besteht aber keine reale Gefahr, dass die BF in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde.

Die Erstellung des Basisgutachtens erfolgte am . Damals erfolgte ein ausführlicher neurologisch-psychiatrischer Status, weiter wurde eine genaue Anamneseerhebung durchgeführt, zusätzliche Tests wie ein strukturiertes Interview für PTBS wurden erhoben. Ebenso beachtet wurden die damals vorliegenden Befunde, insbesondere ein Arztbrief des WJKH, Linz. Aus diesem Grund erachtet das BVwG auch die Einholung einer schriftlichen Gutachtensergänzung für ausreichend. Zudem ist davon auszugehen, dass seitens des Gutachters ohne Untersuchung ein Ergänzungsgutachten nicht erstellt worden wäre, hätte es für seine Beurteilung einer neuerlichen Untersuchung der BF2 bedurft.

Der im Kurzarztbrief vom enthaltene Vorhalt, dass im Rahmen der Gutachtenserstellung vom Mai 2015 kein ausführlicher Status unter Berücksichtigung der Vorbefunde erhoben wurde, ist daher nicht nachvollziehbar.

Es konnten auch die biografischen Daten sehr genau erhoben werden, da ein Dolmetscher anwesend war und die BF2 ihre Angaben in ihrer Muttersprache machen konnte. Dem betreuenden Arzt *** ****** stand bei keiner seiner Untersuchungen ein Bengalidolmetscher zur Verfügung und erfolgte die Konversation offenbar in englischer Sprache, wobei BF1 und BF2 im Rahmen der Erstbefragung lediglich Sprachkenntnisse in Bengali, nicht aber in Englisch anführten. Dass die BF2 sehr gut Englisch spricht, ist daher nicht glaubhaft, wenngleich sie Grundkenntnisse dieser Sprache haben mag. Das ergibt sich letztlich auch aus dem Patientenbrief vom , in dem schließlich die Rede davon ist, der BF1 habe als Dolmetsch für die BF2 fungiert, obwohl auch dieser bei der Erstbefragung Englischkenntnisse nicht erwähnte.

[…]

Der im Patientenbrief vom erhobene Vorwurf, der vom Bundesverwaltungsgericht beauftragte Gutachter habe die 'schwerwiegenden psychologischen Misshandlungen['] im Vorgutachten unzureichend als 'Schwierigkeiten mit den Angehörigen' dargestellt, trifft nicht zu. Vielmehr hat der Gutachter bereits im 1. Gutachten sehr wohl angeführt, dass die BF laut deren Angaben von den Familienangehörigen mit dem Tod bedroht wurden und dass der Schwiegervater der BF2 mit Fundamentalisten zu tun gehabt habe.

Wenn im Patientenbrief vom die Rede davon ist, dass die Einschätzung, dass (sowohl bereits zum Zeitpunkt der vom Gutachter durchgeführten Untersuchung im Jahr 2013 wie auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt) keine schwerwiegende Erkrankung, sondern nur eine Anpassungsstörung ohne längerfristigen Behandlungsbedarf vorliege, der aktuellen Einschätzung des behandelnden Arztes sowie anderen vorliegenden [B]efunden und der unzureichenden Besserung des Zustandsbildes trotz ambulanter Psychotherapie sowie psychiatrisch-medikamentöser Einstellung widerspreche, kann das BVwG dieser Einschätzung nicht folgen: Der bestellte Gutachter hat im Rahmen der Gutachtenserstellung im Jahr 2013 insbesondere auch ein strukturiertes Interview hinsichtlich einer allfälligen posttraumatischen Belastungsstörung durchgeführt, wobei die Diagnosekriterien jedoch nicht erfüllt wurden.

Eine fundierte Widerlegung dieses Untersuchungsergebnisses ist durch den behandelnden Arzt nicht erfolgt."

7. In der gegen dieses Erkenntnis nach Art 144 B VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK) sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt. Unter einem begehren die Beschwerdeführer, ihnen Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO zu gewähren.

Die Beschwerde führt aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren wiederholt vorgebracht habe, an einer schweren psychischen Erkrankung zu leiden, die sie massiv in ihrem Alltag beeinträchtige. Der vom BAA bestellte Gutachter sei in seinem Gutachten vom zwar zum Ergebnis gelangt, dass bei der Zweitbeschwerdeführerin eine Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion vorliege, welche keine dauerhafte Behandlungsbedürftigkeit nach sich ziehen würde, es seien jedoch von der Zweitbeschwerdeführerin in der Folge zahlreiche Befunde verschiedener Ärzte und Ärztinnen vorgelegt worden, welche auf Grund von Untersuchungen nach der Gutachtens-erstellung vom erhoben worden seien und ihr schwerwiegende psychische Krankheiten attestiert hätten. Das Bundesverwaltungsgericht habe daraufhin den o.a. Gutachter mit der Erstellung eines Ergänzungsgutachtens beauftragt, im Rahmen dessen der Gutachter aber auf eine neuerliche Untersuchung der Zweitbeschwerdeführerin verzichtet habe und seine ursprüngliche – 2 1/2-Jahre alte – Diagnose und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen aufrecht erhalten habe. Am sei dem Bundesverwaltungsgericht ein aktueller Befundbericht übermittelt und mitgeteilt worden, dass die Zweitbeschwerdeführerin auf Grund ihrer aktuellen psychischen Verfassung stationär im AKH Wien aufgenommen worden sei.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung im angefochtenen Erkenntnis Abstand genommen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch sowie gegen die Zurückverweisung der Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA richtet, begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt u.a. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung, der Zweitbeschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, unterlaufen. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt im angefochtenen Erkenntnis eine hinreichende Auseinandersetzung mit der gesundheitlichen Situation der Zweitbeschwerdeführerin im Hinblick auf eine, nach ihrer Rückführung in den Herkunftsstaat erfolgende, mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art 3 EMRK:

2.1. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Auf Grund der im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten, die Zweitbeschwerdeführerin betreffenden medizinischen Befunde holte das Bundesverwaltungsgericht ein neurologisch-psychiatrisches Ergänzungsgutachten zum – bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens verfassten – Gutachten vom ein (s. oben Pkt. I.5.), in dem der Sachverständige im Ergebnis seine Ausführungen des Gutachtens vom bestätigt und bei der Zweitbeschwerdeführerin vom Vorliegen einer Anpassungsstörung mit leichtgradiger depressiver Reaktion, welche bei ihrer Überstellung in den Herkunftsstaat nicht in einem lebensbedrohlichen Ausmaß zu einer Verschlechterung ihres Zustands führen würde, ausgeht (Pkt. I.3. und I.5.). Demgegenüber erkennt der – aktuellere – ambulante Patientenbrief der Univ. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des AKH Wien vom bei der Zweitbeschwerdeführerin u.a. ein komplexe posttraumatische Be-lastungsstörung und folgt insofern den weiteren, im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Befunden (s. oben Pkt. I.5.).

Das Bundesverwaltungsgericht hält zwar im angefochtenen Erkenntnis zum Patientenbrief vom u.a. fest, dass den darin enthaltenen Aus-führungen – wonach das Gutachten vom sowie das Ergänzungs-gutachten vom nicht von einer schwerwiegenden Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin ausgegangen wären und den übrigen Einschätzungen sowie Befunden trotz ambulanter Psychotherapie sowie psychiatrisch-medikamentöser Einstellung widersprochen hätten – nicht zu folgen sei, weil der Gutachter im Rahmen der Gutachtenserstellung im Jahr 2013 insbesondere auch ein strukturiertes Interview hinsichtlich einer allfälligen posttraumatischen Belastungsstörung durchgeführt hätte und die Diagnosekriterien nicht erfüllt worden seien (s. oben unter Pkt. I.6.). Das angefochtene Erkenntnis enthält jedoch keine ausreichende abwägende Begründung, warum im Ergebnis dem Gutachten vom sowie der – ohne nochmalige Begutachtung der Zweitbeschwerdeführerin stattgefundenen – Gutachtensergänzung vom und nicht den aktuelleren Einschätzungen des Patientenbriefes vom sowie den übrigen vorgelegten Befunden gefolgt wird.

Darüber hinaus finden sich in den im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wiedergegebenen Feststellungen zur medizinischen Versorgung in Bangladesch keine spezifischen Berichte zur möglichen Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen. Vor dem Hintergrund der dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegenen Befunde und Gutachten zur gesundheitlichen Situation der Zweitbeschwerde-führerin hätte das Bundesverwaltungsgericht spezifische Ermittlungen zur medizinischen Versorgung in Bangladesch tätigen müssen.

2.3. Somit belastet das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis, soweit es damit die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abweist, mit Willkür iSd ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes. Dieser Mangel schlägt gemäß § 34 Abs 4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer durch (s. VfSlg 19.855/2014), weshalb diese auch – im selben Umfang wie jene betreffend die Zweitbeschwerdeführerin – aufzuheben ist.

3. Eine Zurückverweisung der Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA, wie sie im zweiten Absatz von Spruchpunkt A) der angefochtenen Entscheidung angeordnet wird, ist gemäß § 75 Abs 20 Z 1 AsylG 2005 nur dann zulässig, wenn der abweisende Bescheid bestätigt wird. Dies ist auf Grund der (teilweisen) Kassation des ersten Absatzes von Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts nicht länger der Fall. Da die Aufhebung dieses Spruchteils auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zurückwirkt, entbehrt damit auch der zweite Absatz von Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses nunmehr seiner Rechtsgrundlage; auch dieser Spruchteil ist daher aufzuheben (vgl. VfSlg 19.898/2014).

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in den oben angeführten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (s. Pkt. I.7.). Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen und die Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückverwiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw. § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch eine Rechtsanwältin vertreten sind, ist der einfache Pauschal-satz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (s. ; ferner VfSlg 18.836/2009). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E381.2016