OGH vom 25.06.2013, 10ObS75/13x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Christoph Arnold und Mag. Fiona Arnold, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 21/13v 17, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Der Kläger erlitt zwei Arbeitsunfälle. Am zog er sich bei einem Sturz von einer Leiter einen Bruch des fünften und sechsten Brustwirbelkörpers zu. Mit Bescheid der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen wurde ihm für die Folgen dieses Arbeitsunfalls eine 20%ige Dauerrente ab zuerkannt.
Am erlitt der Kläger beim Hantieren mit der Ladeklappe eines LKW einen Bizepssehnenriss. Mit Bescheid der beklagten Partei vom wurde ihm für die Folgen dieses Arbeitsunfalls ab eine vorläufige Rente von 20 vH der Vollrente gewährt.
Schließlich wurde ihm mit Bescheid der beklagten Partei vom für die Folgen beider Arbeitsunfälle eine Gesamtdauerrente im Ausmaß von 20 % der Vollrente ab zuerkannt.
Das Erstgericht gab der auf Zuerkennung einer Gesamtdauerrente im Ausmaß von 35 % der Vollrente gerichteten Klage teilweise statt und verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger für die Folgen beider der Arbeitsunfälle eine Gesamtdauerrente von 20 % der Vollrente ab zu gewähren. Das darüberhinausgehende Klagebegehren wurde abgewiesen.
Das Erstgericht stellte fest, dass sich die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund der Folgen beider Arbeitsunfälle auf 20 % der Vollrente beläuft.
Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung mit der Maßgabe, dass das Klagebegehren, dem Kläger für die Folgen beider Arbeitsunfälle eine Gesamtdauerrente von 20 % der Vollrente zu gewähren, dem Grunde nach zu Recht bestehe und die beklagte Partei gemäß § 89 Abs 2 ASGG schuldig sei, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids ab eine vorläufige Zahlung von 248,86 EUR monatlich zu erbringen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, ihm eine Gesamtdauerrente im Ausmaß von 25 % der Vollrente ab in der gesetzlichen Höhe für die Folgen beider Arbeitsunfälle zu gewähren.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Wird ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall geschädigt, so ist nach § 210 Abs 1 ASVG die Entschädigung aus diesen mehreren Versicherungsfällen nach Maßgabe der Abs 2 bis 4 des § 210 ASVG festzustellen, sofern die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit 20 vH erreicht. Bei der Neueinschätzung sind die der jeweiligen Versehrtenrente entsprechenden Minderungen der Erwerbsfähigkeit nicht einfach zusammenzuzählen, sondern es ist zu ermitteln, wie sich die Folgen der Versicherungsfälle in ihrer Gesamtheit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken (RIS Justiz RS0084384). Von dieser Rechtsprechung weicht die Ansicht der Vorinstanzen nicht ab, bei dieser Einschätzung bestehe keine Bindung an die Grundlagen der Berechnung der zuvor gewährten Einzelrenten.
2. Dem Revisionsvorbringen, die „Einschätzungsdifferenz“ zwischen dem medizinischen Gutachten, das bei Bemessung der Einzelrente nach dem ersten Arbeitsunfall erstellt wurde und eine 20 % MdE erbracht hatte und dem nunmehr im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zur Festsetzung einer Gesamtrente erstellten medizinischen Gutachten, in dem die Folgen des ersten Arbeitsunfalls mit nur 15 % MdE eingeschätzt wurden, führe zu einer unzulässigen nachträglichen Abänderung des ersten Bescheids, ist demnach nicht zu folgen. Es trifft zu, dass eine früher unrichtige Einschätzung der MdE nicht im Wege des § 183 Abs 1 ASVG (zu Lasten des Versicherten) korrigiert werden kann. Hier geht es jedoch nicht um einen Fall des § 183 ASVG (Neufeststellung einer Einzelrente), sondern wie bereits ausgeführt um einen solchen des § 210 ASVG, das heißt um die Entschädigung aus mehreren Versicherungsfällen im Wege einer Gesamtrente (10 ObS 405/97z, SSV NF 11/154 mwN).
3. Zwar ist bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorzugehen, sodass der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden muss. Der Versicherte soll insbesondere davor geschützt werden, materiell bestehende Ansprüche aus formellen Gründen (etwa zufolge einer prozessualen Ungeschicklichkeit) zu verlieren. Die Fiktion, es bestehe entgegen § 210 Abs 1 ASVG dennoch eine Bindung an die Grundlage der Berechnung der Einzelrente, um zu Gunsten eines Versicherten eine höhere Gesamtdauerrente zu erreichen, lässt sich aber auch aus dem Grundsatz sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten und hat deshalb außer Betracht zu bleiben (RIS Justiz RS0086446 [T10, T 11]).
Damit war die Revision des Klägers zurückzuweisen.