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OGH vom 09.11.1982, 9Os103/82

OGH vom 09.11.1982, 9Os103/82

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am

unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Hon.Prof.Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Rathmanner als Schriftführer in der Strafsache gegen Christian A und Franz B wegen des Vergehens des versuchten schweren Betruges nach § 15, 146, 147 Abs. 1 Z 1 StGB über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom , GZ. 9 Vr 273/82-13, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Joachim Wagner, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Christian A und Franz B sind schuldig, am in Wiener Neustadt im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, versucht zu haben, Verfügungsberechtigte des E Wiener Neustadt durch Täuschung über Tatsachen, nämlich Vorspiegelung eines Preises von 125 S anstelle eines solchen von 210 S für eine Auspuffblende, zur Ausfolgung einer Ware zu verleiten, wodurch das genannte Unternehmen um 85 S geschädigt werden sollte. Sie haben hiedurch das Vergehen des versuchten Betruges nach § 15, 146 StGB begangen und werden hiefür nach § 146 StGB zu Geldstrafen verurteilt, und zwar Christian A unter Anwendung des § 11 JGG, zu 14 Tagessätzen in der Höhe von je S 50, im Falle der Uneinbringlichkeit zu 7 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, und Franz B zu 20 Tagessätzen in der Höhe von je S 120, im Nichteinbringungsfall 10 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, sowie gemäß § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am geborene Mechanikerlehrling Christian A und der am geborene Maurer Franz B von der wider sie erhobenen Anklage, am

- Erstgenannter sohin im jugendlichen Alter - in Wiener Neustadt im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, die Kassierin des E Wiener Neustadt durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung einer falschen Urkunde, nämlich Vorspiegelung eines Preises von 125 S für eine Auspuffblende anstelle eines solchen von 210 S durch Austausch der entsprechenden Preisetiketten, zur Ausfolgung der Auspuffblende verleitet zu haben, wodurch der E um 85 S geschädigt worden sei, gemäß § 259 Z 4 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen suchten die beiden - miteinander verwandten - Angeklagten den E Wiener Neustadt auf, wo Franz B einkaufen wollte. In der Kfz-Abteilung fanden sie zwei Auspuffblenden für Motorfahrräder vor, von denen B die eine dem Aussehen nach, die andere aber dem Preis nach zusagte. Die Preise waren, wie bei allen Waren des E, durch aufgeklebte, annähernd rechteckige, aus weißem Papier verfertigte Preisetiketten, auf welchen der Aussteller durch die Abkürzung 'E' angegeben war, in Maschinschrift ausgewiesen.

B teilte seinem Cousin A mit, daß ihm die eine Auspuffblende gefalle, aber zu teuer sei, worauf A mit stillschweigender Billigung des ölteren beide Etiketten von der Metallfläche vollständig ablöste und - die Etiketten solcherart austauschend - auf die jeweils andere Ware aufklebte. Mit der teureren (Preis: 210 S), nun aber mit einem Preisetikett über 125 S versehenen Auspuffblende begab sich B zur Kasse und bezahlte diesen 'Preis', worauf beide Täter dem Ausgang zustrebten. Bevor sie diesen erreichten, schritt jedoch ein Warenhausdetektiv ein, der die Angeklagten bei ihrem Tun beobachtet hatte, worauf ihnen die teurere Auspuffblende abgenommen und an deren Stelle die dem bezahlten Preis entsprechende ausgefolgt wurde. Dem E ist daher im Ergebnis kein Schaden entstanden. Das Erstgericht stellte fest, daß der Vorsatz der Angeklagten darauf gerichtet gewesen ist, Franz B durch die beschriebene Manipulation zu bereichern und dem E einen Schaden von 85 S zuzufügen; die Angeklagten hätten, weil die Schädigung der getäuschten Firma letztlich nicht gelungen sei, versuchten Betrug zu verantworten. Die von der Anklage herangezogene Qualifikation nach § 147 Abs. 1 Z 1 StGB wurde mit der Begründung verneint, daß das ausgetauschte Preisetikett zwar eine Urkunde sei, aber keine falsche oder verfälschte, weil es (bei der beschriebenen Manipulation) völlig unverändert geblieben war. Bei dem an sich gegebenen einfachen Betrug nach § 15, 146 StGB komme den Angeklagten jedoch der sachliche Strafausschließungsgrund des § 42 Abs. 1 StGB zustatten, da alle Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle erfüllt seien. Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Die Anklagebehörde rügt zunächst unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 10 StPO die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß im Falle des Austausches von Preisetiketten zur Täuschung keine falsche oder verfälschte Urkunde benützt werde und daher die Qualifikation nach § 147 Abs. 1 Z 1 StGB nicht gegeben sei.

Dem ist zu entgegnen:

Für die Annahme einer Urkunde (im strafrechtlichen Sinn) sind vier Kriterien maßgebend, nämlich das Vorliegen einer (rechtserheblichen) Gedankenerklärung, deren schriftliche Verkörperung, die Abgabe dieser schriftlich verkörperten Gedankenerklärung zu Beweiszwecken im Rechtsverkehr und die Erkennbarkeit des Ausstellers. Dem Urkundenbegriff entsprechen auch die sogenannten verkürzten Urkunden (EvBl. 1981/139) - bei denen der Gedanke nicht vollständig und in einem zusammenhängenden Gefüge von Worten und Sätzen dargestellt wird - solange nur der in ihnen zum Ausdruck kommende Gedankeninhalt als solcher erkennbar ist (Leukauf-Steininger2, RN 3 bis 11, 15 zu § 223 StGB; Steininger, Bezauer Tage, Strafrecht 1979, S 145 ff., insb. 148 ff.); desgleichen auch die sogenannten zusammengesetzten Urkunden, bei denen ein Bezugsobjekt zu Beweiszwecken mit einer Schrift derart in Verbindung gesetzt wird, daß es ein wesentlicher (fest verbundener) Bestandteil des nunmehr den oben bezeichneten vier Kriterien entsprechenden und demzufolge als Urkunde zu wertenden Schriftstückes wird (vgl. dazu NJW 1979, 729, und die dort zitierte Judikatur; Kienapfel in 'Urkunden im Strafrecht', S 112 ff.; Steininger, a.a.O., S 156).

Preisetiketten entsprechen nach herrschender Lehre (siehe dazu insbesondere Kienapfel, a.a.O., S 160 ff.;

Leukauf-Steininger2, RN 5 zu § 223; Steininger, a.a.O., S 149;

Kienapfel in WK., RN 121 zu § 223) nicht dem Urkundenbegriff des österreichischen Strafrechtes. Sie enthalten ohne Verbindung mit einem Bezugs-(Augenscheins-) objekt keine bestimmte rechtserhebliche Aussage (Gedankenerklärung) und können daher schon aus diesem Grund nicht als Urkunde im Sinne des § 74 Z 7 StGB angesehen werden. Zu Urkunden werden sie im allgemeinen auch nicht durch die Anbringung an einer Sache (Ware), deren Bestandteil sie damit geworden sind; denn auch dann enthalten sie nur die (zumeist wenig dauerhafte Wiedergabe der Original-) Erklärung des Betriebsinhabers, daß die mit dem Etikett versehene Ware den angegebenen Betrag kostet, sohin eine für die Kauflustigen (und allenfalls die Verkäufer bzw. Kassiere) bestimmte Information, der in der Regel die im § 74 Z 7 StGB einer Urkunde zugedachte Funktion (Beweiszweck) fehlt. Es kann zwar die Verwendung eines (inhaltlich) unverändert gelassenen Preisetiketts für eine andere Ware als betrügerische Handlung, nicht aber als Betrug durch Benützung einer falschen oder verfälschten Urkunde oder eines anderen solchen Beweismittels im Sinne der Z 1

des § 147 Abs. 1 StGB gewertet werden. Das Unterschieben eines Gegenstandes unter ein Beweiszeichen (im weitesten Sinn) - wie es das Preisetikett ist - stellt kein Fälschen oder Verfälschen (eines privaten Beweiszeichens) dar; eine solche Vorgangsweise wird nur im § 225 StGB, und zwar ausschließlich mit Beziehung auf öffentliche Beglaubigungszeichen, kriminalisiert. Eine Anwendung des § 147 Abs. 1 Z 1 StGB kommt demnach auch unter diesem Aspekt nicht in Betracht (so Steininger, a.a.O., S 157;

Kienapfel, BT II, RN 25 zu § 147).

Entgegen der Ansicht der Anklagebehörde ist das Tatbild des schweren

Betruges nach § 146, 147 Abs. 1 Z 1

StGB sohin nicht gegeben.

Der Staatsanwaltschaft kann auch in der Beurteilung der Tat als vollendeter (einfacher) Betrug nicht gefolgt werden: Zu Recht ist das Erstgericht, insofern übrigens übereinstimmend mit der in der Anklageschrift vorgenommenen Subsumtion (S 26), davon ausgegangen, daß der Betrug im vorliegenden Fall bloß versucht worden ist. Der im § 146 StGB angeführte Vermögensschaden ist nämlich erst eingetreten, sobald es zu einem effektiven Verlust an Vermögenssubstanz gekommen ist (Leukauf-Steininger2, RN 46 zu § 146 StGB mit Judikaturnachweisen). Ebendies ist vorliegend, ungeachtet des technischen Vorgangs des Eintippens des betrügerisch vorgetäuschten Kaufpreises in der Kasse, bei einer beim Betrug gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (vgl. Kienapfel, BT II, RN 89 ff., Allg. Vorbem., RN 119 ff. und RN 206 ff. zu § 146 StGB) nicht geschehen. Die Angeklagten vermochten zwar ein Organ des ihrem Vorsatz nach zu schädigenden Unternehmens, nämlich die Kassierin, zu täuschen, doch war ihre Tat zu diesem Zeitpunkt einem anderen Organ, dem Hausdetektiv, der sie bei der Manipulation mit den Preisetiketten beobachtet hatte, bereits bekannt gewesen und durch dessen Einschreiten der Eintritt eines Vermögensschadens ausgeschlossen, weil er die Angeklagten am Verlassen des Warenhauses mit der unter Irreführung der Kassierin um einen zu geringen Preis erworbenen Ware hinderte (sh. auch Burgstaller, Ladendiebstahl, S 28-30).

Berechtigung kommt der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hingegen zu, soweit sie unter Berufung auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO die Anwendung des § 42 Abs. 1 StGB bekämpft:

Nach § 42 Abs. 1 StGB ist eine von Amts wegen zu verfolgende, nur mit Geldstrafe, mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedrohte Tat nicht strafbar, wenn 1.) die Schuld des Täters gering ist, 2.) die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies 3.) eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Sämtliche dieser Voraussetzungen müssen erfüllt sein; fehlt es nur an einer von ihnen, kommt eine Anwendung des sachlichen Strafausschließungsgrundes nach der bezeichneten Gesetzesstelle nicht mehr in Betracht. Vorliegend ist jedoch, der Ansicht des Erstgerichtes zuwider, nur die zweitgenannte Voraussetzung eindeutig zu bejahen;

hingegen kann von geringer Schuld der Täter nicht gesprochen werden. Es liegt im Wesen des § 42 StGB, daß dessen Anwendbarkeit auf sowohl in Ansehung des Schuldgehaltes als auch hinsichtlich der Sozialschädlichkeit und des Störwertes für die Umwelt deutlich unter

der Norm liegende Fälle beschränkt bleibt (LSK 1976/346 =

EvBl. 1977/102 = RZ 1976/125). Die Schuld muß absolut, aber auch im Vergleich zu den typischen Fällen des Delikts gering sein (EBRV 1971, 140). Geringe Schuld verlangt somit ein erhebliches Zurückbleiben des tatbildmäßigen Verhaltens des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten üblichen Unrechts- und Schuldgehalt.

Davon kann vorliegend aber nicht gesprochen werden: Die Angeklagten handelten nicht etwa aus Unbesonnenheit, sondern gingen mit beachtlichem Raffinement vor, wobei ihre Tat durch die Eigenart des Vorgehens bewirkt hätte, daß bei deren Gelingen der (in der Preisdifferenz bestehende) Schaden de facto allenfalls gar nicht das Warenhaus, sondern einen anderen Kunden (der die billigere Auspuffblende zum höheren, etikettierten Preis erworben haben würde) getroffen hätte. Von einer Notlage (siehe dazu S 18) oder einem anderen, die Verfehlung in milderem Licht erscheinen lassenden Umstand kann von vornherein keine Rede sein. Der jugendliche Erstangeklagte A hat nach den Urteilsfeststellungen die Initiative zu der Tat ergriffen; bei dem immerhin um zwei Jahre älteren Zweitangeklagten B ist wiederum gravierend, daß er seinen jüngeren Cousin nicht nur nicht von der Straftat abgehalten, sondern sich dessen Idee zu Nutzen gemacht und daraus Vorteil zu ziehen gesucht hat. Die Schuld der beiden Angeklagten bleibt somit keineswegs hinter jener von anderen Tätern in vergleichbaren Fällen zurück, sodaß schon deshalb keine Grundlage für eine privilegierende Behandlung nach § 42 StGB gegeben ist. Abgesehen davon sprechen aber auch die Erfordernisse der Generalprävention bei Massendelikten, als welche derartige Manipulationen in Selbstbedienungsläden anzusehen sind, gegen die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung. Auf Grund des vom Erstgericht mit mängelfreier Begründung übereinstimmend mit dem in tatsächlicher Hinsicht umfassenden Geständnis der Angeklagten festgestellten Sachverhaltes war daher mit einem Schuldspruch beider Angeklagten wegen Vergehens des versuchten (einfachen) Betruges nach § 15, 146 StGB vorzugehen (vgl. Steininger in RZ 1981, S 29; sh. auch Burgstaller a.a.O., S 22/23, insbes. FN 39).

Bei der nach § 146 StGB erfolgten Strafbemessung wurde hinsichtlich beider Angeklagter als mildernd das Geständnis, der bisherige untadelige Wandel und der Umstand gewertet, daß es beim Versuch geblieben ist und der beabsichtigte Schaden nicht gravierend war; dem Angeklagten B war überdies das Alter unter 21 Jahren zur Tatzeit zugute zu halten. Erschwerend war bei Franz B, daß er die Tat initiierte, wogegen sich Christian A, der zur Tatzeit noch Jugendlicher war, weshalb bei ihm § 11 JGG zur Anwendung gelangte, bei der Tatausführung maßgeblich beteiligt hat.

Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen und in Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie ihrer sonstigen Lebensführung verurteilte der Oberste Gerichtshof die Angeklagten zu den aus dem Spruch ersichtlichen Geldstrafen, wobei die Anzahl der Tagessätze ihrem Verschulden und die Höhe derselben ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Zur Gewährung der bedingten Strafnachsicht sah sich der Oberste Gerichtshof sowohl im Hinblick auf das Ansteigen dieser Art von Kriminalität aus generalpräventiven Gründen als auch im Interesse der erforderlichen Effektivität der verhängten Strafen nicht veranlaßt.

Die Kostenentscheidungen gründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.