OGH vom 18.07.2014, 9Nc16/14y

OGH vom 18.07.2014, 9Nc16/14y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. A***** R*****, vertreten durch Dr. Michael Kramer, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei D. S***** KG, *****, vertreten durch Torggler Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung (Streitwert: 166.004,80 EUR), über den Delegierungsantrag der klagenden Partei den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die am eingebrachten Schriftsätze der Streitteile sowie die Schriftsätze der beklagten Partei vom 7. 7. und werden zurückgewiesen.

2. Der Antrag der klagenden Partei, anstelle des Arbeits und Sozialgerichts Wien das Landesgericht Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache des Arbeits und Sozialgerichts Wien AZ 6 Cga 82/13s zu bestimmen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 780,18 EUR (darin 130,03 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Stellungnahme vom zu ersetzen.

Text

Begründung:

Mit seiner am beim Arbeits und Sozialgericht Wien eingebrachten Klage ficht der Kläger die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung seines Dienstverhältnisses an. Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung hatte er seinen Hauptwohnsitz in Wien. Auch der Kanzleisitz seines damaligen Klagevertreters ist in Wien. Der Firmensitz der Beklagten befindet sich in Wattens. Zur Prozessvertretung wählte sie eine Wiener Rechtsanwaltskanzlei.

Im Zuge des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien wurden bisher von beiden Streitteilen mehrere Schriftsätze erstattet. Von denjenigen Zeugen, die mit Zustelladresse angeführt sind, sind zwölf aus Tirol, acht aus Wien und Niederösterreich und einer aus Salzburg. Es fanden bisher zwei Tagsatzungen, davon eine mit Einvernahme eines Zeugen und teilweiser Einvernahme des Klägers, statt. Eine weitere Tagsatzung wurde für den ausgeschrieben und auf den verlegt. Am Arbeits und Sozialgericht Wien sind im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers zwei weitere Verfahren anhängig.

Mit Schriftsatz vom beantragte der Kläger die Delegierung der Rechtssache an das Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht. Sein Hauptwohnsitz befinde sich nunmehr in Tirol, sein neuer Klagevertreter habe seinen Kanzleisitz in Telfs. Die überwiegende Zahl der Zeugen sei in Tirol wohnhaft. Eine Delegierung diene der Verbilligung des Verfahrens und einer Erleichterung des Gerichtszugangs. Auch sei er seit im Krankenstand und solle nach ärztlichem Anraten längere Wegstrecken vermeiden. Am müsse er sich einem operativen Eingriff unter Narkose unterziehen.

Die Beklagte sprach sich gegen die Delegierung aus. Der Kläger habe die Zuständigkeit des Arbeits und Sozialgerichts Wien selbst gewählt. Das Verfahren befinde sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium, habe sich nach den bisherigen Einvernahmen aber nicht nach der Vorstellung des Klägers entwickelt. Wie ein Interview des Klägers in einer ORF Sendung zeige, sei ihm nicht daran gelegen, das Verfahren schnell zum Abschluss zu bringen, sondern der Beklagten möglichst lange lästig zu fallen. Der Delegierungsantrag erfolge aus prozesstaktischen Gründen. Von den drei vom Kläger beim Arbeits und Sozialgericht Wien anhängig gemachten Verfahren habe er im Verfahren 6 Cga 119/13g keinen Delegationsantrag gestellt und werde weiter von der GPA vertreten. Der Verfahrensschwerpunkt liege weiterhin in Wien. Sechs der selbst vom Kläger nominierten Zeugen hätten ihren Wohnsitz in Wien und einer in Salzburg. Gegen die Delegation spreche auch die Möglichkeit einer Verbindung des Verfahrens mit den beiden anderen vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien anhängigen Verfahren. Die behauptete Reiseunfähigkeit des Klägers sei nicht bewiesen.

Das Erstgericht sprach sich angesichts des Verfahrensverlaufs gegen die Zweckmäßigkeit der Delegierung aus, wies im Hinblick auf die Möglichkeit einer Videokonferenz aber darauf hin, dass eine Beweisaufnahme bei körperlicher Anwesenheit der zu vernehmenden Zeugen die Unmittelbarkeit des Beweises besser gewährleisten könne.

Der Kläger brachte am eine Entgegnung mit Urkundenvorlage gegen die Stellungnahme der Beklagten ein. Diese beantragte am selben Tag die Zurückweisung der Entgegnung. Mit Schriftsatz vom brachte sie darüber hinaus vor, dass der Kläger am eine vierte Klage gegen sie vor dem Arbeits und Sozialgericht Wien eingebracht habe. Mit Schriftsatz vom wies die Beklagte darauf hin, dass der Kläger in der Zwischenzeit einen dritten Delegierungsantrag gestellt habe.

Rechtliche Beurteilung

Folgendes war zu erwägen:

1. Vor der Entscheidung über einen Delegierungsantrag sind Stellungnahmen des Gerichts und der Gegenpartei einzuholen (§ 31 Abs 3 JN; Mayr in Rechberger , ZPO 3 § 31 JN Rz 5; Schneider in Fasching/Konecny , ZPG I 3 § 31 Rz 37). Diese liegen vor. Vom Erstgericht wurde hingegen dem Kläger keine weitere Möglichkeit zur Äußerung über die Stellungnahme der Beklagten eingeräumt. Ebenso wenig wurde diese zu einer Reaktion auf die Entgegnung des Klägers aufgefordert. Beide Schriftsätze der Streitteile vom sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 7. 7. und sind daher zurückzuweisen.

2. Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Eine Delegierung soll allerdings nur den Ausnahmefall darstellen. Keinesfalls soll durch eine zu großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden (stRsp; RIS Justiz RS0046441). Aus Zweckmäßigkeitsgründen soll die Delegierung vor allem dann angeordnet werden, wenn die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht eine wesentliche Verkürzung, eine Kostenverringerung oder eine Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit zu bewirken verspricht (RIS Justiz RS0046333). Es entspricht daher der ständigen Rechtsprechung, dass die Delegierung gegen den Willen der anderen Partei nur dann auszusprechen ist, wenn die Frage der Zweckmäßigkeit eindeutig zu Gunsten aller Parteien des Verfahrens gelöst werden kann (RIS Justiz RS0046589; RS0046324 ua).

Im vorliegenden Fall haben zwar beide Streitteile sowie zwölf der Zeugen ihren Wohn bzw Firmensitz in Tirol. Ihnen stehen aber Zeugen aus Wien und Niederösterreich gegenüber, denen die beantragte Delegierung keine zeitlichen oder kostenmäßigen Vorteile brächte. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, die einer Vernehmung von Zeugen im Wege einer Videokonferenz entgegenstünden. Richtig ist zwar, dass eine Videokonferenz die Unmittelbarkeit des persönlichen Eindrucks eines Zeugen im Vergleich zu seiner Einvernahme bei körperlicher Anwesenheit mediatisiert. Dies hat der Gesetzgeber jedoch in Kauf genommen, wurde die Beweisaufnahme im Wege der Videokonferenz doch von Gesetzes wegen (§ 277 ZPO) sogar zur unmittelbaren Beweisaufnahme erklärt (s auch Rechberger in Rechberger , ZPO 3 § 277 Rz 2). Darüber hinaus hat das Erstgericht bereits einmal Personalbeweise aufgenommen. Schließlich geht aus der vom Kläger vorgelegten ärztlichen Bestätigung nicht hervor, dass er eine Fahrt von Tirol nach Wien aus medizinischen Gründen zu vermeiden hätte.

Keine Rolle spielt, dass der Kanzleisitz seines Vertreters in Tirol liegt (s RIS Justiz RS0046333 [T2, T 13]), zumal dieser Umstand dadurch aufgewogen wird, dass der Kanzleisitz des Beklagtenvertreters in Wien ist.

Für die Annahme bloß prozesstaktischer Gründe des Delegierungsantrags liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor: Dass der Kläger für den einen operativen Eingriff geplant hatte, mutet entgegen der Ansicht der Beklagten nicht als „merkwürdiger Zufall“ an, wenn man bedenkt, dass die Tagsatzung zunächst für den ausgeschrieben war und kurzfristig verlegt wurde. Grundsätzlich ist auch kein Vorteil des Klägers in einer von der Beklagten vermuteten Prozessverschleppung zu sehen.

Angesichts dessen, dass eine Delegierung lediglich den Ausnahmefall bilden soll, liegen hier aber keine Umstände dafür vor, dass mit einer Delegierung eindeutig eine wesentliche Verfahrensbeschleunigung oder Kostenreduzierung oder eine hinlängliche Erleichterung des Gerichtszugangs oder der Amtstätigkeit einherginge. Der Antrag des Klägers ist daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO iVm § 58 ASGG. Der erfolglose Delegierungswerber hat dem Prozessgegner dessen notwendige Kosten seiner ablehnenden Äußerung zum Delegierungsantrag unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits zu ersetzen (RIS Justiz RS0036025), dies nach TP 2 (RIS Justiz RS0036025 [T1]).