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VfGH vom 11.06.2018, E343/2018 ua

VfGH vom 11.06.2018, E343/2018 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" aufgrund Außerachtlassung der Beziehung der Erstbeschwerdeführerin zu ihrem - über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügenden - Kind

Spruch

I.Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Erkenntnisse werden aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.357,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Die Beschwerdeführer sind russische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin ist seit mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet, mit dem sie einen am geborenen Sohn hat, der österreichischer Staatsangehöriger ist. Der Zweitbeschwerdeführer ist der – zum Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens noch minderjährige – Sohn der Erstbeschwerdeführerin.

2.Nachdem der Erstbeschwerdeführerin auf Grund ihres Erstantrages vom für den Zeitraum von bis ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" ausgestellt wurde, stellte sie am einen Verlängerungsantrag auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 1 und 2 NAG. Der Antrag wurde von der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt mit Bescheid vom "zurückgewiesen".

Der Zweitbeschwerdeführer stellte, vertreten durch seine Mutter, am einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger", der mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom abgewiesen wurde.

3.Der gegen den Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten mit Erkenntnis vom mit der Maßgabe folge, dass der Spruch anstatt "zurückgewiesen" "abgewiesen" lautet. Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers wurde vom Landesverwaltungsgericht Kärnten abgewiesen. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Kärnten – in beiden Entscheidungen mit im Wesentlichen gleichlautender Begründung – aus, dass der Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft nach § 11 Abs 2 Z 2 NAG nicht erbracht worden sei und die in § 11 Abs 2 Z 4 NAG normierte Voraussetzung, wonach der Aufenthalt nicht zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaften führen darf, nicht erfüllt sei. Eine Erteilung des Aufenthaltstitels sei auch auf Grund von § 11 Abs 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens nicht geboten. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten führt dazu im Erkenntnis betreffend die Erstbeschwerdeführerin Folgendes aus:

"Schließlich war es auch nicht geboten, gemäß § 11 Abs 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK den beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen, weil nach der Judikatur des EGMR einer Ausländerfamilie nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zusteht und die genannte Bestimmung nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates umfasst, die Wahl des Familienwohnsitzes anzuerkennen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass […] die Beschwerdeführerin derzeit mit ihren Kindern in Moskau lebt, in den Jahren 2015 bis 2017 lediglich insgesamt 132 Tage (= 4,3 Monate) in Österreich war und sich das gesamte Familienleben in Österreich auf diese Zeit beschränkte. Außer zu ihrem Ehegatten, dem Zusammenführenden, und ihren Kindern, wenn sie in Österreich wären, hat die Beschwerdeführerin kaum soziale Kontakte. Die sonstigen sozialen Kontakte beschränken sich darauf, dass sie mit der Nachbarin bekannt ist und einige Bekanntschaften im Zusammenhang mit der Erwirkung der Anerkennung ihres akademischen Grades gemacht hat. In Russland leben ihre Mutter, ihr Neffe, ihre Studienkollegen und ihre Freundin. Auch ihr erstgeborener Sohn lebt in Moskau, und absolviert dort eine Ausbildung an einem Musikcollege, die er wahrscheinlich dort auch abschließen will.

Dazu ist zu bemerken, dass dem Schutz des Familienlebens grundsätzlich eine sehr hohe Wertigkeit zukommt. Die Beziehung der Beschwerdeführerin zum Inland ist gegenständlich jedoch sehr gering und hat sie außer der Verwandtschaft zu ihrem Ehemann, bei dem sie bisher für lediglich insgesamt ca. 4 Monate lebte, und ihren beiden Kindern, wenn sie nach Österreich kommen, keine nennenswerten sozialen Kontakte in Österreich. Derzeit lebt sie in einer vom Zusammenführenden finanzierten Wohnung in Moskau und betreut dort ihren Sohn aus erster Ehe, der dort eine Ausbildung absolviert[,] und ihr 2 1/2-jähriges Kind, was den Schluss zulässt, dass die Bindung zu ihrem Heimatstaat weit größer ist, als jene zu Österreich. Die Beschwerdeführerin spricht zwar deutsch auf dem Niveau von B1 (Verstehen verschiedener strukturierte[r] Texte aus dem Alltag und der gesprochenen Sprache aus den Medien sowie die Fähigkeit, an einem Gespräch teilzunehmen), ist unbescholten und liegen auch keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung ihrerseits vor, der Integrationsgrad ist im gegenständlichen Fall jedoch als sehr gering einzustufen. Außerdem entstand das Privat- und Familienleben mit dem österreichischen Zusammenführenden zu einem Zeitpunkt, zu welchem den Beteiligten bewusst war, dass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels keine Selbstverständlichkeit ist.

Außerdem darf bei der Beurteilung der Intensität des Familienlebens nicht unbeachtet bleiben, dass die Beschwerdeführerin, die den Zusammenführenden bereits am heiratete, erstmals im September 2015 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für Österreich stellte und sie sich in der Zeit des ihr gewährten Aufenthaltstitels 'Familienangehöriger' für die Aufenthaltsdauer vom bis lediglich 33 Tage = 1,05 Monate in Österreich bei ihrem Ehegatten aufhielt. Zu dem damit im Zusammenhang erstatteten Vorbringen des Zusammenführenden ist anzumerken, dass die Beschwerdeführerin nur bis schwanger war und den Versuch unternehmen hätte können, für ihren älteren Sohn eine Ausbildung in Österreich zu organisieren. Insbesondere hätte sie auch einen Aufenthaltstitel für ihren Sohn schon viel früher und nicht erst im März 2016 beantragen können. Hinsichtlich der nicht vorhandenen Deutschkenntnisse ihres Sohnes hätte sie die Möglichkeit gehabt, einen Antrag auf Absehen von der Voraussetzung eines Deutschkenntnis-Nachweises zu stellen. Dass das Interesse der Beschwerdeführerin an einem ununterbrochenen gemeinsamen Familienleben in Österreich außerordentlich groß und die Erteilung eines Aufenthaltstitels besonders dringlich wäre, kann aus dieser Verhaltensweise nicht geschlossen werden. Da ihr älterer Sohn derzeit in Moskau ein College besucht und der für ihn beantragte Aufenthaltstitel nicht erteilt wurde, ist nicht zu erwarten, dass sie sich im Jahr 2018 öfter in Österreich aufhalten wird können, als in den Jahren zuvor. In Anbetracht der bisherigen Aufenthaltszeiten im Inland scheint daher ihren Bedürfnissen nach einem Familienleben in Österreich auch mittels eines Visums für 90 Tage entsprochen werden zu können.

Dass der Zusammenführende im Falle der Versagung der Niederlassungsbewilligung den EU-Raum verlassen müsste, ist in Anbetracht der seit 5 Jahren freiwillig praktizierten Fernbeziehung nicht der Fall und hat er dies auch nicht behauptet. Anzumerken ist außerdem[,] dass die bloße Tatsache, dass es für einen EU-Staatsbürger aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass Familienangehörige aus Drittstaaten sich mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme rechtfertigt, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt würde. Außerdem hat der Zusammenführende die Möglichkeit, mit seiner Familie jederzeit über das Internet zu kommunizieren und hat die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, mittels Visum jeweils für 90 Tage nach Österreich zu reisen. Auch der Zusammenführende hat die Möglichkeit, die Russische Föderation aufzusuchen.

Es war daher der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie ihre Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 NAG zu Ungunsten der Beschwerdeführerin und zu Gunsten der im Aufenthaltsfall belasteten Gebietskörperschaft vorgenommen hat."

4.In ihren auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden behaupten die Beschwerdeführer die Verletzung in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens und auf ein faires Verfahren und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der Erkenntnisse, in eventu die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof. Begründend führen die Beschwerdeführer u.a. aus, dass § 11 Abs 3 NAG in willkürlicher Weise zu ihren Lasten angewendet worden sei und das Landesverwaltungsgericht Kärnten bei richtiger Würdigung einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" aus Gründen des Art 8 EMRK hätte erteilen müssen. Insbesondere sei außer Acht gelassen worden, dass der zweieinhalbjährige Sohn der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehegatten die österreichische Staatsbürgerschaft besitze und es ihm somit faktisch verwehrt werde, sich in Österreich aufzuhalten.

5.Die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt und das Landesverwaltungsgericht Kärnten haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II.Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und AufenthaltsgesetzNAG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 145/2017, lauten – auszugsweise – wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

9. Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;

10. Zusammenführender: ein Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder von dem ein Recht im Sinne dieses Bundesgesetzes abgeleitet wird;

11. Verlängerungsantrag: der Antrag auf Verlängerung des gleichen oder Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels (§24) nach diesem Bundesgesetz;

[…]

(2) Niederlassung ist der tatsächliche oder zukünftig beabsichtigte Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck

1. der Begründung eines Wohnsitzes, der länger als sechs Monate im Jahr tatsächlich besteht;

2. der Begründung eines Mittelpunktes der Lebensinteressen oder

3. der Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit.

[…]

[…]

Arten und Form der Aufenthaltstitel

§8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

[…]

8. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' (Z7) zu erhalten;

[…]

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs 1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs 6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7. in den Fällen der §§58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische MenschenrechtskonventionEMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs2 Z 1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§2 Abs 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§2 Abs 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs 2 Z 2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§2 Abs 1 Z 15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß § 23 FPG benötigen würde.

[…]

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger'

§47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

(3) Angehörigen von Zusammenführenden kann auf Antrag eine 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird,

2. Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird oder

3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben,

b) die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.

Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.

(4) Angehörigen von Zusammenführenden, die eine 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger' besitzen (Abs3), kann ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,

2. ein Quotenplatz vorhanden ist und

3. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20e Abs 1 Z 1 AuslBG vorliegt.

(5) In den Fällen des Abs 4 ist von der Einholung einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle oder eines Gutachtens der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abzusehen, wenn der Antrag

1. wegen eines Formmangels oder Fehlens einer Voraussetzung gemäß §§19 bis 24 zurück- oder abzuweisen ist,

2. wegen des Mangels an einem Quotenplatz zurückzuweisen ist, oder

3. wegen zwingender Erteilungshindernisse gemäß § 11 Abs 1 abzuweisen ist.

Erwächst die negative Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Zulassung im Fall des § 20e Abs 1 Z 1 AuslBG in Rechtskraft, ist das Verfahren ohne Weiteres einzustellen."

III.Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1.Die – zulässigen – Beschwerden sind begründet:

2.Gemäß § 11 Abs 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel u.a. trotz Ermangelung der Voraussetzung des § 11 Abs 2 Z 2 und 4 NAG erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.

3.Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

Aus Art 8 EMRK ist keine generelle Verpflichtung abzuleiten, dem Wunsch eines Fremden, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat aufzuhalten, nachzukommen (VfSlg 19.713/2012 mwN zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte). Unter besonderen Umständen kann sich aus Art 8 EMRK aber eine Verpflichtung des Staates ergeben, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen (vgl. zB VfSlg 17.734/2005, 19.162/2010, 20.049/2016; , G408/2017), mit der Folge, dass die Verweigerung der Einreise oder Niederlassung einen Eingriff in Art 8 EMRK bildet.

3.1.Vor diesem Hintergrund ist die vom Landesverwaltungsgericht Kärnten vorgenommene Abwägungsentscheidung unter Art 8 EMRK in verfassungsrechtlich relevanter Weise fehlerhaft:

Bei seiner Interessenabwägung hat das Landesverwaltungsgericht Kärnten lediglich auf das Verhältnis der Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Ehegatten Bedacht genommen und dem Umstand, dass das Ehepaar ein am geborenes Kind hat, das – nach dem unberücksichtigt gebliebenen Parteienvorbringen – über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt, keine Bedeutung beigemessen (vgl. zur maßgeblichen Berücksichtigung dieses Umstandes VfSlg 18.846/2009; vgl. idS auch VfSlg 18.417/2008, 18.499/2008, 19.362/2011; ; , E2617/2015). Im Lichte der von Art 8 EMRK geschützten Verbindung des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin zum gemeinsamen Kind (vgl. dazu, dass das Zusammenleben zwischen einem Elternteil und dem Kind keine unabdingbare Voraussetzung für das Vorhandensein eines Familienlebens iSv Art 8 Abs 1 EMRK ist: EGMR , Fall Boughanemi, Appl. 22.070/93 [Z33 und 35], ÖJZ1996, 834; VfSlg 16.777/2003; ) hat es das Verwaltungsgericht unterlassen, diese Beziehung zu würdigen und die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl ausreichend zu berücksichtigen (vgl. zur Berücksichtigung des Kindeswohles bei der Interessenabwägung nach Art 8 EMRK: VfSlg 19.362/2011; mwN). Dies obgleich sich daraus ergeben könnte, dass – angesichts der besonderen Bedürfnisse eines Kindes in der ersten Lebensphase – auch der Erstbeschwerdeführerin ein Aufenthalt zu ermöglichen ist. Das Verwaltungsgericht hat sich diesbezüglich mit dem Hinweis darauf begnügt, dass die Möglichkeit zu wechselseitigen Besuchen bestehe und der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin "mit seiner Familie jederzeit über das Internet […] kommunizieren" könne (vgl. , wonach es lebensfremd ist, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrecht erhalten werden könne; vgl. auch ; , E426/2015; , E1349/2016). Damit hat es aber auf die Beziehung zwischen Vater und Kind nicht ausreichend Bedacht genommen.

Indem das Landesverwaltungsgericht Kärnten somit diese Umstände bei seiner Abwägungsentscheidung nicht berücksichtigt, hat es – ungeachtet des Umstandes, dass das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Erstbeschwerdeführerin ihres Aufenthaltsstatus bewusst war – diese mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel belastet.

4.Bei diesem Ergebnis ist auch das angefochtene Erkenntnis betreffend den Zweitbeschwerdeführer aufzuheben, weil vor diesem Hintergrund zu prüfen gewesen wäre, ob Art 8 EMRK gebieten würde, ihm einen Aufenthalt zur Wahrung des Familienlebens zu gestatten (vgl. idS ua.).

IV.Ergebnis

1.Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Erkenntnisse sind daher aufzuheben.

2.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Da die gegen gleichartige Entscheidungen gerichteten Beschwerden im Zuge einer gemeinsamen Rechtsvertretung eingebracht wurden, ist insgesamt nur der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (zB VfSlg 17.317/2004, 17.482/2005, 19.404/2011, 19.709/2012). In den zugesprochenen Kosten sind ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 218,–, Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 sowie der Ersatz der Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 480,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2018:E343.2018
Schlagworte:
Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, Entscheidungsbegründung, Privat- und Familienleben, Kinder

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