VfGH vom 12.10.1987, B27/86

VfGH vom 12.10.1987, B27/86

Sammlungsnummer

11495

Leitsatz

Vorschreibung von Einkommensteuer, wobei dem Antrag auf Verlustvortrag mangels (formell) ordnungsgemäßer Buchführung nicht stattgegeben wurde; aus diesem Anlaß Prüfung des § 18 Abs 1 Z 4 EStG, insoweit jene Steuerpflichtigen vom Verlustvortrag ausgeschlossen werden, die über keine ordnungsgemäße Buchführung verfügen - nicht als gleichheitswidrig aufgehoben (VfSlg. 11260/1986); verfassungskonforme Interpretation dahin, daß der Verlustvortrag zulässig ist, wenn der Verlust seiner Höhe nach errechnet werden kann und das Ergebnis auch überprüfbar ist; denkunmögliche Rechtsauffassung der Finanzbehörde - Verletzung im Eigentumsrecht; da die Intervention im Gesetzesverfahren der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in diesen Beschwerdeverfahren gedient hat - Kostenzuspruch an die Bf.

Spruch

Die Bf. sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, den Bf. die mit je 17.050 S bestimmten Prozeßkosten zu Handen des Beschwerdevertreters binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bf. sind Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die verschiedene Gewerbebetriebe unterhält, aus deren Betrieb die Bf. Einkünfte erzielen. Mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom wurden gemäß § 188 BAO unter anderem negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1977 und 1978 festgestellt. (Gegen diesen Bescheid erhob der Präsident der Finanzlandesdirektion Beschwerde an den VwGH, über die noch nicht entschieden ist.)

Mit den im Instanzenzug ergangenen Einkommensteuerbescheiden für das Jahr 1981 (betreffend den Bf. zu B27/86) und für die Jahre 1981 bis 1983 (betreffend den Bf. zu B28/86) der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom wurde den Bf. Einkommensteuer vorgeschrieben, wobei dem Antrag auf Vortrag des in früheren Jahren erlittenen Verlustes mit dem Argument nicht stattgegeben wurde, daß für die Verlustjahre die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht gegeben gewesen sei. Über die Frage, ob ein einheitlich festgestellter Verlust vortragsfähig sei, müsse für die einzelnen Teilhaber einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bei ihrer Veranlagung zur Einkommensteuer und für jeweils das Kalenderjahr, für welches der Abzug geltend gemacht wird, abgesprochen werden. Lediglich hinsichtlich der Höhe des Verlusts (Verlustanteils), nicht aber hinsichtlich der Berechtigung zum Verlustvortrag bestehe eine Bindung an den Feststellungsbescheid.

2. Gegen diese Bescheide richten sich die auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden an den VfGH, in denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums und eine Rechtsverletzung durch Anwendung der teilweise für verfassungswidrig erachteten Bestimmung des § 18 Abs 1 Z 4 EStG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

Die bel. Beh. hat in Gegenschriften die Abweisung der Beschwerden beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1.a) Aus Anlaß der vorliegenden Beschwerden leitete der VfGH gemäß Art 140 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte "bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs 1 oder nach § 5 auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln," in § 18 Abs 1 Z 4 EStG 1972 ein. Er hatte unter anderem das Bedenken, daß es sachlich nicht gerechtfertigt und daher gleichheitswidrig sei, jene Steuerpflichtigen vom Verlustvortrag auszuschließen, die über keine ordnungsmäßige Buchführung verfügen. Dabei ging der Gerichtshof davon aus, daß ein Ausschluß vom Verlustvortrag auch für jene Steuerpflichtigen gelte, deren Buchführung zwar - wenn auch nicht bloß geringfügige - Mängel aufweist, bei denen aber allenfalls nach Korrektur der Buchhaltung - die für den Verlustvortrag wesentlichen Daten feststellbar und nachprüfbar sind.

Im Gesetzesprüfungsverfahren haben sich die Bedenken des VfGH als nicht gerechtfertigt erwiesen. Der Gerichtshof hat daher mit Erkenntnis vom , G170-172/86 = VfSlg. 11260/1987, die in Prüfung gezogenen Worte in § 18 Abs 1 Z 4 EStG 1972 nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

b) Aus dem eben genannten Erkenntnis im Gesetzesprüfungsverfahren ergibt sich, daß die Beschwerden zulässig sind (Pkt. II.1. des Erk.) sowie daß die Bf. nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden sind.

Zu der - für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerden maßgeblichen - Frage nach der Bedeutung der Worte "auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung" führte der Gerichtshof im eben zitierten Erkenntnis aus:

"Die in Prüfung stehende Wortfolge hat die normative Bedeutung, daß das Institut des Verlustvortrags nur jenen Einkommensteuerpflichtigen zur Verfügung steht, die ihren Gewinn durch Vermögensvergleich ermitteln, wobei die auf § 5 EStG verweisende Formulierung 'auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung'


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wie die Bundesregierung entgegen einer verbreiteten Praxis der Finanzverwaltung richtig erkennt - nicht bedeutet, daß eine formell ordnungsmäßige Buchhaltung Voraussetzung für den Verlustvortrag ist, sondern daß ein Verlustvortrag für bilanzierende Einkommensteuerpflichtige immer dann zulässig ist, wenn der Verlust
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allenfalls auch nach Korrektur der Buchhaltung durch den Steuerpflichtigen oder auf Grund einer Betriebsprüfung - seiner Höhe nach errechnet werden kann und das Ergebnis auch überprüfbar ist.

Geht man von diesem Verständnis aus, so ist auch den im Einleitungsbeschluß gegenüber der Ausschaltung von bilanzierenden Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn nicht auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken der Boden entzogen."

2. Tragendes Argument für die angefochtenen Bescheide ist die Auffassung der bel. Beh., daß für die einen Einkommensteuerbescheid erlassenden Finanzbehörden bei der Beurteilung der Frage, ob ein in früheren Jahren entstandener Verlust vortragsfähig ist, insofern keine Bindung an einen Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften im Verlustjahr besteht, als die den Einkommensteuerbescheid erlassende Behörde selbständig zu beurteilen hat, ob die für die Vortragsfähigkeit geforderte Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Buchführung im Verlustjahr gegeben war; hinsichtlich der Höhe des Verlustes bestehe jedoch, wie die bel. Beh. unter Hinweis auf Hofstätter-Reichel, Einkommensteuerkommentar, Anm. 4 zu § 18 Abs 1 Z 4 meint, eine Bindung an einen rechtskräftigen Feststellungsbescheid.

Eine solche Rechtsansicht ist mit dem wiedergegebenen, vom VfGH in verfassungskonformer Interpretation erkannten Inhalt der angewendeten Bestimmung nicht vereinbar. Denn wenn es für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung als Voraussetzung für die Verlustvortragsmöglichkeit nicht darauf ankommt, ob das Rechenwerk formell ordnungsgemäß ist, sondern darauf, daß "der Verlust - allenfalls auch nach Korrektur der Buchhaltung durch den Steuerpflichtigen oder auf Grund einer Betriebsprüfung - seiner Höhe nach errechnet werden kann und das Ergebnis auch überprüfbar ist", so ist es denkunmöglich, eine Bindung der Behörde, die den Einkommensteuerbescheid erläßt, hinsichtlich der Höhe des festgestellten Verlustes - also hinsichtlich der materiellen Frage - anzunehmen, ihr aber zuzugestehen, jeweils mit Wirkung für das Jahr, für das sie den Einkommensteuerbescheid erläßt, zu beurteilen, ob die Buchführung im Verlustjahr ordnungsgemäß gewesen ist. Eine solche Auffassung ist vielmehr nur auf Basis der im zitierten Erkenntnis des VfGH aus verfassungsrechtlichen Gründen als verfehlt erkannten Interpretation der Formulierung "auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung" möglich.

Indem die Behörde bei der Bescheiderlassung von einer solchen (verfehlten) Rechtsauffassung ausgegangen ist, die dem angewendeten Gesetz zu Unrecht einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, hat sie die angefochtenen Bescheide mit Verfassungswidrigkeit belastet, weshalb diese Bescheide aufzuheben waren.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG. Da die Intervention der Bf. im Gesetzesprüfungsverfahren G170-172/86 - wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt - der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in den vorliegenden Beschwerdesachen gedient hat, waren auch die dadurch verursachten Kosten den Bf. zuzusprechen.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 1.550 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung getroffen werden.