VfGH vom 25.02.2020, E315/2019
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen Afghanistans; mangelhafte Auseinandersetzung mit seiner Tätigkeit als Dolmetscher für die US-Armee
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Der Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Er stellte am in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2.Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, er habe für die US-Armee als Dolmetscher gearbeitet. Er sei daher von den Taliban bedroht worden, er solle seinen Job aufgeben, andernfalls werde er umgebracht.
3.Am wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für
Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er aus, er habe als Dolmetscher für die Amerikaner gearbeitet. Er sei im Jahr 2014 bei einem Einsatz, bei dem drei vermutliche Taliban festgenommen worden seien, in seinem Heimatdorf eingesetzt worden. Da er erkannt worden sei, hätten die Taliban seinem Vater gedroht, den Beschwerdeführer umzubringen, sollte er noch einmal ins Dorf kommen. Bereits im Jahr 2011 habe es telefonische Drohungen seitens der Taliban gegeben.
4.Mit Bescheid vom wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) sowie, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Begründend führte das BFA aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei und es daher in einer Gesamtschau an einem in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Fluchtgrund mangle.
5.Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, als unbegründet ab. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft:
Es habe zwar auf Grund der vorgelegten Fotos und Bestätigungen der US-Armee festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer zumindest bis 2012 als Dolmetscher für die US-Armee eingesetzt worden sei. Auf Grund der diesbezüglichen gleichbleibenden, konkreten, detaillierten, widerspruchsfreien, plausiblen und damit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers habe eine ihn persönlich betreffende Bedrohung aus dem Jahr 2011 festgestellt werden können. Im Gegensatz dazu sei es dem Beschwerdeführer jedoch nicht gelungen, eine Dolmetscher-Tätigkeit bis 2014 und den damit zusammenhängenden angeblichen Vorfall in seinem Heimatdorf, der ihn zur Flucht gezwungen habe, plausibel und nachvollziehbar zu schildern. Sein Aussageverhalten in der mündlichen Verhandlung habe nicht den Eindruck vermittelt, dass er tatsächlich über das Jahr 2012 hinaus als Dolmetscher tätig gewesen sei. Selbst wenn man von einer Bedrohung durch die Taliban im Jahr 2014 ausginge, so wäre diese nicht mehr aktuell. Wie auch den vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Berichten zu Afghanistan zu entnehmen sei, richte sich die Bedrohung der Taliban gegen aktive Dolmetscher, während jene, die ihre Tätigkeit einstellen, keine Drohungen mehr erwarten müssten "(zB S. 6 der Anfragebeantwortung zu Afghanistan
a-10322-1, S. 6, die als Beilage zum Verhandlungsprotokoll genommen wurde)."
6.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7.Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1.1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2.Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000).
2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:
2.1.Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer "zumindest bis 2012 als Dolmetscher für die US-Armee eingesetzt" wurde und diese Bedrohung "nicht mehr aktuell" sei. Dabei stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf die Anfragebeantwortung zu Afghanistan "a-10322-1" ohne diese im Erkenntnis wiederzugeben. In den vorgelegten Gerichtsakten ist zusätzlich zu dieser Anfragebeantwortung die UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom sowie der EASO Country of Origin Information Report zu Afghanistan vom Dezember 2017 enthalten. An mehreren Stellen dieser Berichte wird ausgeführt, dass ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen werden. Diese im Folgenden beispielsweise wiedergegeben Stellen sind jeweils im Gerichtsakt markiert.
2.2.Auf Seite 43 der UNHCR-Richtlinie vom wird ausgeführt:
"d) Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen
Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, bedroht und angegriffen. Aus Berichten geht auch hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung angreifen."
2.3.In der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan, a-10322-1, heißt es:
"Im August 2015 wurde berichtet, dass ein ehemaliger für das britische Militär tätiger Dolmetscher in seinem Zuhause in der Provinz Helmland getötet wurde, nachdem er von den Taliban als Spion bezeichnet worden war.
[…]
Die britische Tageszeitung The Telegraph berichtet in einer Reportage vom September 2015 über eine Gruppe von ehemaligen afghanischen Dolmetschern, die für die Nato in Afghanistan tätig gewesen seien, dass diese nach eigenen Angaben Drohungen von den Taliban erhalten hätten, da sie für 'den Feind' gearbeitet hätten. Wie The Telegraph bemerkt, hätten Tausende Afghanen als Dolmetscher für ausländische Truppen gearbeitet, und viele von ihnen würden auch lange nach Beendigung ihrer Tätigkeit ständig bedroht."
2.4.Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, dass sich die Bedrohungen der Taliban gegen aktive Dolmetscher richten, während jene, die ihre Tätigkeit einstellen, keine Drohungen zu erwarten hätten, finden in diesen Länderberichten ebenso keine Deckung wie jene, dass die Gefährdung in den von der Regierung kontrollierten Gebieten nicht bestehe.
2.5.Indem das Bundesverwaltungsgericht die als glaubhaft festgestellte Tätigkeit des Beschwerdeführers als Dolmetscher für die US-Armee bis 2011 nicht mit den im Gerichtsakt ersichtlichen Länderberichten in Beziehung gesetzt hat, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl zB ; , E2628/2016; , E4387/2017).
III.Ergebnis
1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E315.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung |
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