OGH vom 20.12.2017, 10ObS74/17f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr.
Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, Deutschland, vertreten durch Dr. H. Burmann, Dr. P. Wallnöfer und Dr. R. Bader, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2, vertreten durch Altenweisl Wallnöfer Watschinger Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen Kinderbetreuungsgeld (AZ 76 Cgs 60/15p des Ersgerichts), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 52/16g20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 76 Cgs 60/15p13, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit in Tirol als Dienstnehmerin (Grenzgängerin) beschäftigt. Sie lebt mit ihrem Ehegatten und den beiden gemeinsamen Töchtern in Deutschland, wo auch ihr Mann seit 1992 als Angestellter beschäftigt ist.
Nach der Geburt ihrer ersten Tochter am war sie bis in Karenz. Sie bezog von der beklagten Partei als Ausgleichszahlung Kinderbetreuungsgeld und kehrte ab in Elternteilzeit zu ihrem Arbeitgeber zurück, bis sie aufgrund ihrer erneuten Schwangerschaft bis in Mutterschutz war. Nach Geburt der zweiten Tochter am vereinbarte sie mit ihrem Dienstgeber eine Karenz bis . Sie erhielt ab Ende des Mutterschutzes bis zum 10. Lebensmonat sowie vom 13. bis zum 14. Lebensmonat der zweiten Tochter deutsches Elterngeld von insgesamt 9.737,48 EUR sowie vom 15. bis zum 17. Lebensmonat deutsches Betreuungsgeld in Höhe von insgesamt 450 EUR.
Ihr Mann bezog vom bis (11. und 12. Lebensmonat des Kindes) in seiner Elternzeit (Karenz) deutsches Elterngeld von 3.600 EUR.
Die Mutter begehrte in ihrer Säumnisklage eine Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld von 34,38 EUR täglich für die Zeit vom bis sowie vom bis , in eventu 35,77 EUR täglich für die Zeit vom bis , in eventu 29,23 EUR täglich für die Zeit vom bis .
Ihr Mann begehrte vom bis (Elternzeit) eine Ausgleichszahlung zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld von 66 EUR täglich. Sein Verfahren ist bis zum Einlangen einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt. Gegenstand dieses Revisionsverfahrens ist daher nur der Anspruch seiner Frau.
Die beklagte Tiroler Gebietskrankenkasse wendete – soweit noch relevant – ein, angeblich für das ältere Kind zu viel ausbezahlte Beträge müssten auf die nunmehr für das jüngere Kind begehrten Leistungen angerechnet werden. Die Mutter erfülle im Bezugszeitraum 29. 8. bis nicht die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten nach § 5 Abs 4 KBGG.
Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte zu einer Ausgleichszahlung von 29,86 EUR täglich für die Zeit vom bis sowie vom bis . Die darüber hinausgehenden Begehren der Mutter wurden unbekämpft abgewiesen. Das Berufungsgericht lehnte die gewünschte Anrechnung des für das erste Kind (angeblich) zu viel ausbezahlten Betrags ab und ging von der Einhaltung der Mindestbezugsdauer von zwei Monaten für den Bezugszeitraum von bis aus.
Rechtliche Beurteilung
Die nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.
1. Zufolge §§ 7, 24c KBGG besteht der volle Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nur, wenn bestimmte ärztliche Untersuchungen durchgeführt werden. Nach Meinung der Beklagten können die in Deutschland durchgeführten ärztlichen Untersuchungen in Österreich nicht anerkannt werden. Diesen selbständigen Einwand hat die Revisionswerberin in ihrer Berufung jedoch nicht angesprochen, weshalb er in dritter Instanz nicht zu prüfen ist (RISJustiz RS0043338 [T13]).
2. Die Beklagte will Beträge, die sie für das ältere Kind zu viel ausgezahlt habe, auf die nunmehr für das jüngere Kind begehrten Leistungen anrechnen. Eine Rechtsgrundlage für diese „kinderübergreifende“ Anrechnung nennt sie – abgesehen von § 6 Abs 3 KBGG (idF BGBl I 2009/116) – nicht. Diese international ausgestaltete Antikumulierungsbestimmung (RISJustiz RS0125752) regelt allerdings die – hier auch vorgenommene – Anrechnung ausländischer Leistungen auf Leistungen nach dem KBGG (10 ObS 146/16t). Art 68 VO 883/2004 kürzt nach dem Recht eines Mitgliedstaats erhobene Leistungsansprüche nur, falls für dasselbe Kind nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats ebenfalls eine Leistungsverpflichtung besteht (10 ObS 148/14h). Unabhängig von diesen Erwägungen würde die begehrte Anrechnung voraussetzen, dass die Beklagte den für Rückforderung und Anrechnung vorgeschriebenen Bescheidweg (§ 31 KBGG) einhält.
3. Nach Meinung der Beklagten erfüllt die Klägerin im Bezugszeitraum bis nicht die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten nach § 5 Abs 4 KBGG.
3.1 § 5 Abs 4 KBGG idF vor dem Familienzeitbonusgesetz (FamZeitBG, BGBl I 2016/53) bestimmte (iVm § 24d Abs 1 KBGG für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld), dass das Kinderbetreuungsgeld grundsätzlich jeweils nur in Blöcken von mindestens zwei Monaten beansprucht werden konnte.
3.2 Der Oberste Gerichtshof hat die von der Beklagten gewünschte Berechnung dieser Frist nach § 902 Abs 2 ABGB bereits abgelehnt (10 ObS 148/14h mwN). Die Ausführungen in der Revision der Beklagten bieten keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
3.3 Mit dem FamZeitBG BGBl I 2016/53 wurde das pauschale Kinderbetreuungsgeld in ein System mit einem KinderbetreuungsgeldKonto umgewandelt. Systembedingt ist eine Umstellung der Bezugsdauer auf Tage vorgesehen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 5). Kinderbetreuungsgeld kann nach § 3 Abs 5 KBGG idF BGBl I 2016/53 nur in einzelnen Bezugsteilen von mindestens 61 Tagen bezogen werden. Diese Bestimmung ist erst am in Kraft getreten und auf Geburten nach dem anzuwenden (§ 50 Abs 14 KBGG idF BGBl I 2016/53). Die Kinder der Klägerin wurden 2011 und 2013 geboren, weshalb die neue Rechtslage ohnehin nicht anzuwenden ist.
3.4 Nach der von Holzmann-Windhofer/ Weißenböck (in Kinderbetreuungsgeldgesetz [2017] 74 f), vertretenen Meinung hat der Gesetzgeber in § 3 Abs 5 KBGG nF rückwirkend auch die alte Rechtslage klargestellt, dass er unter zwei Monaten auch tatsächlich zwei Monate im Sinn der Berechnung des § 902 Abs 2 ABGB versteht. Für dieses Verständnis bieten die Materialien keine Grundlage. Eine Aussage über eine authentische Interpretation müsste – auch wenn sie schlüssig erfolgte – stets (zumindest auch) im kundgemachten Text des „erklärenden Gesetzes“ enthalten sein (RISJustiz RS0008908 [T3]; 10 ObS 115/16h).
4. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm § 77 Abs 2 ASGG. Der Ansatz nach TP 3C beträgt bei einer Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR (§ 77 Abs 2 ASGG) 216,80 EUR.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00074.17F.1220.001 |
Schlagworte: | ;Sozialrecht;Europarecht; |
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