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VfGH vom 09.06.2016, E31/2016

VfGH vom 09.06.2016, E31/2016

Leitsatz

Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit mangels Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche; teils Abweisung der Beschwerde und Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, weil es nicht binnen einer Woche erging.

Im Übrigen ist der Beschwerdeführer durch Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden. Die Beschwerde wird daher insoweit abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er bereits am und am Anträge auf internationalen Schutz in Italien gestellt hatte. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom wurde der Antrag gemäß § 5 Abs 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass Italien für die Prüfung des Antrages zuständig ist. Gemäß § 61 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG) wurde die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet. Die Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom als unbegründet abgewiesen. Am wurde der Beschwerdeführer eskortiert nach Italien überstellt. Nach illegaler Wiedereinreise wurde der Beschwerdeführer am in Wien einer Personenkontrolle unterzogen und festgenommen. Am selben Tag ordnete das BFA mit Mandatsbescheid gemäß Art 28 Abs 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (im Folgenden: Dublin III-VO) iVm § 76 Abs 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an.

2. Mit Schriftsatz vom erhob der vertretene Beschwerdeführer "Beschwerde gegen den Mandatsbescheid" des BFA und gegen die "Anhaltung in Schubhaft" an das Bundesverwaltungsgericht. Darin beantragte er u.a. "die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären", den "bekämpften Bescheid zu beheben" sowie der belangten Behörde den Ersatz der Verfahrenskosten aufzutragen.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom wurde die Beschwerde gemäß Art 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs 1 BFA-Verfahrensgesetz (im Folgenden: BFA VG) abgewiesen (Spruchpunkt A) I.). Gemäß § 22a Abs 3 BFA-VG iVm Art 28 Dublin III-VO und § 76 Abs 2 Z 2 FPG stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (Spruchpunkt A) II.). Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wurde gemäß § 35 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden: VwGVG) abgewiesen (Spruchpunkt A) III.), dem Beschwerdeführer gemäß § 35 Abs 3 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung ein Aufwandersatz in bestimmter Höhe vorgeschrieben (Spruchpunkt A) IV.) sowie der Antrag auf Befreiung von der Eingabengebühr zurückgewiesen (Spruchpunkt A) V.). Das Erkenntnis wurde dem BFA am per Telefax übermittelt; dem Vertreter des Beschwerdeführers wurde es am postalisch zugestellt.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf persönliche Freiheit und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie der Art 3, 5, 6 und 8 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung eine Gegenschrift jedoch Abstand.

II. Rechtslage

Die für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Art 6 des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988, (im Folgenden: PersFrSchG) lautet auszugsweise wie folgt:

"Artikel 6

(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(2) […]"

2. § 76 FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 70/2015, der dem 8. Hauptstück des FPG angehört, lautet – samt Überschrift – wie folgt:

"Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art 28 Abs 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs 2 Z 1 oder im Sinne des Art 2 litn Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§56 oder 71 FPG,§ 13 Abs 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs 8 und § 12 Abs 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

"

3. § 22a BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015, lautet – samt Überschrift – wie folgt:

"Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft

§22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."

4. Art 28 Dublin III-VO, ABl. L 180/31 vom , lautet – samt Überschrift – wie folgt:

"Artikel 28

Haft

(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.

(4) Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU."

5. Die §§12 und 20 VwGVG, BGBl I 33/2013, lauten – jeweils samt Überschrift – wie folgt:

" Schriftsätze

§12. Bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht sind die Schrift-sätze bei der belangten Behörde einzubringen. Dies gilt nicht in Rechtssachen gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG."

"Schriftsätze

§20. Die Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG und die sonstigen Schriftsätze im Verfahren über diese sind unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen. In allen sonstigen Verfahren sind die Schriftsätze ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht unmittelbar bei diesem einzubringen."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, mit dem darüber entschieden wird, dass eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art 1 ff. PersFrSchG und durch Art 5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn es gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn es in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn es gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999, 16.384/2001).

2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ist auch verletzt, wenn die Entscheidung über die Recht-mäßigkeit des Freiheitsentzuges entgegen dem verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernis des Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG nicht binnen einer Woche ergangen ist. Aus der Anordnung in Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG, dass die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen hat, erfließt für den vorliegenden Fall die Verpflichtung des erkennenden Verwaltungsgerichtes, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, dass auch im Rahmen eines Verfahrens über die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid seine Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges möglichst bald, spätestens innerhalb einer Woche dem Beschwerdeführer (gegebenenfalls seinem Rechtsvertreter) und der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde zugeht (vgl. VfSlg 13.893/1994, 14.193/1995, 18.081/2007, 18.964/2009; ).

Die gemäß Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG iVm § 22a Abs 2 BFA-VG gebotene Frist von einer Woche ist grundsätzlich ab dem Einlangen einer Beschwerde bei der zuständigen Behörde zu berechnen (vgl. VfSlg 18.081/2007 mH auf Kopetzki , Art 6 PersFrG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, Rz 46 ff. sowie insb. Rz 50, wonach der Fristenlauf im Falle eines antragsbedürftigen Verfahrens mit der Antragstellung bzw. mit dem Einlangen des Antrags bei der zuständigen Behörde beginnt).

3. Gemäß § 22a Abs 1 BFA-VG idF BGBl I 70/2015 hat ein Fremder das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn u.a. "gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde". Für derartige Beschwerden gelten nach § 22a Abs 1a BFA-VG die für Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG; sie sind daher gemäß § 20 erster Satz VwGVG iVm § 12 VwGVG unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen.

4. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers brachte am beim Bundesverwaltungsgericht und beim BFA per Telefax eine Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom ein. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hatte daher – der Beschwerdeführer befand sich weiterhin in Schubhaft (vgl. Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG) – binnen einer Woche, also spätestens bis zum zu ergehen. Das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde zwar der belangten Behörde am mittels Telefax zugestellt, dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (der auch schon die Beschwerde eingebracht hatte) wurde die Entscheidung jedoch erst am – sohin nach Ablauf der Frist – postalisch zugestellt. Das Erkenntnis ist sohin erst nach Ablauf der gemäß Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG iVm § 22a Abs 2 BFA VG gebotenen Frist von einer Woche ergangen (vgl. zB VfSlg 14.193/1995; ).

Der Beschwerdeführer wurde dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt, weil die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges nicht binnen einer Woche erging.

5. Unter diesen Umständen kommt aber eine Aufhebung des Spruchpunktes A) II. der verspätet ergangenen Entscheidung nicht in Betracht. Durch die Aufhebung könnte die Rechtsverletzung nämlich nicht beseitigt, sondern insoweit sogar verschärft werden, als die im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ergehende Entscheidung nur noch später ergehen könnte. Der Verfassungsgerichtshof hat sich deshalb auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) stattgefunden hat (vgl. VfSlg 18.014/2006 mwN, 18.964/2009; ).

6. Im Übrigen aber hat das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht ergeben, dass der Spruchpunkt A) II. der angefochtenen Entscheidung an einem weiteren in die Verfassungssphäre reichenden Mangel leidet. Angesichts des Umstandes, dass für die Fortsetzung der Schubhaft eine – aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles unbedenkliche – gesetzliche Grundlage vorliegt und das Bundesverwaltungsgericht die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft aus verfassungsrechtlicher Sicht nachvollziehbar begründet hat, liegt keine weitere Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten vor.

Insoweit ist die Beschwerde daher abzuweisen.

7. Im Übrigen wird die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A) I., A) III., A) IV. und A) V. des angefochtenen Erkenntnisses wendet, abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berührt, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg 18.964/2009) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer wurde durch den Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde gegen diesen Spruchpunkt des angefochtenen Erkenntnisses abgewiesen.

2. Im Übrigen – sohin hinsichtlich der Spruchpunkte A) I., A) III., A) IV. und A) V. des angefochtenen Erkenntnisses – wird die Beschwerde abgelehnt.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG bzw. § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. VfSlg 16.760/2002). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E31.2016