VfGH vom 03.03.2000, b25/99
Sammlungsnummer
15737
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Nichtanrechnung von Zeiten eines Doktoratsstudiums auf die für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung aufgrund gleichzeitiger anrechenbarer Zeiten bei einem Rechtsanwalt; keine Bedenken gegen die Regelungen der Rechtsanwaltsordnung über die Länge der Ausbildungszeit und der Anrechenbarkeit des Doktoratsstudiums
Spruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Schreiben vom stellte Rechtsanwaltsanwärter Dr. W (der Beschwerdeführer der zu B25/99 im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof protokollierten Beschwerde) an den Ausschuß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer den Antrag auf Anrechnung seines Doktoratsstudiums im gesetzlichen Höchstausmaß von sechs Monaten auf die Zeit der praktischen Verwendung gemäß § 2 Abs 3 Z 1 RAO.
1.2. Rechtsanwaltsanwärter Dr. H (der Beschwerdeführer der zu B26/99 im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof protokollierten Beschwerde) beantragte mit Schreiben vom , "bescheidmäßig festzustellen", daß ihm die Zeiten seines Doktoratsstudiums im Ausmaß von sechs Monaten auf die Dauer seiner praktischen Verwendung gemäß § 2 RAO angerechnet werde. Dr. H hatte zum Zeitpunkt der Antragstellung sein Doktoratsstudium noch nicht beendet. Mit Schreiben vom teilte er der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit, daß ihm mit Promotionsbescheid der Universität Graz vom der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften verliehen wurde.
Die Anträge wurden mit Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer abgewiesen, weil die Antragsteller ihr Doktoratsstudium gleichzeitig neben ihrer (anrechenbaren) Tätigkeit jeweils als Rechtspraktikant und als Rechtsanwaltsanwärter bei einem Rechtsanwalt betrieben haben und gemäß § 2 Abs 4 RAO eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten nach den Abs 1 bis 3 des § 2 leg.cit. ausgeschlossen sei.
2. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer Berufung an die OBDK und stellten darin die Anträge, den jeweils angefochtenen Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer dahingehend abzuändern,
daß die Zeiten des Doktoratsstudiums im Ausmaß von sechs Monaten auf die Dauer der praktischen Verwendung gemäß § 2 RAO angerechnet werden (B25/99)
bzw. daß bescheidmäßig festgestellt werde, daß sechs Monate des Doktoratsstudiums als Dauer der praktischen Verwendung gemäß § 2 RAO angerechnet werden (B26/99).
Diesen Berufungen wurde mit Bescheiden der OBDK vom keine Folge gegeben. In der Begründung der angefochtenen Bescheide bestätigte die OBDK die Rechtsauffassung des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer, wonach eine Anrechnung von Zeiten des Doktoratsstudiums im Ausmaß von sechs Monaten in den vorliegenden Fällen aufgrund § 2 Abs 4 RAO nicht möglich sei. Im Fall der zu B26/99 protokollierten Beschwerde vermeinte die OBDK, daß der Antrag schon deshalb abzuweisen wäre, weil der Antragsteller das Doktoratsstudium zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht erfolgreich abgeschlossen hätte.
3. Gegen diese Bescheide der OBDK wenden sich die vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden, in welchen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz bzw. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird. Die Beschwerdeführer bringen im wesentlichen vor, es gäbe keinen sachlichen Grund dafür, Rechtsanwaltsanwärter, die sich der Doppelbelastung von Beruf und Studium aussetzen, hinsichtlich der Anrechnung nach § 2 Abs 3 Z 1 RAO gegenüber jenen Rechtsanwaltsanwärtern zu benachteiligen, die ohne berufliche Nebenbelastung ihr Doktoratsstudium absolviert haben, sodaß bei diesen § 2 Abs 4 RAO der Anrechnung nicht im Wege stehe. Der Bescheid beruhe daher entweder auf einem dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Gesetz, weil § 2 Abs 4 zweiter Satz RAO eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten des § 2 Abs 1 bis Abs 3 ausschließe oder die belangte Behörde unterstelle dem angewendeten Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt, weil sie es unterlassen habe, § 2 Abs 4 RAO teleologisch zu reduzieren, sodaß den Anträgen stattzugeben wäre.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschriften.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfahren über die beiden Beschwerden in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. § 35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken gegen die Bestimmungen des § 2 Abs 4 RAO iVm. § 2 Abs 2 RAO (jeweils) idF BGBl. 1992/176.
1.1. Die Rechtsanwaltsordnung sah in ihrer Stammfassung (Advokatenordnung 1868) in § 2 als Erfordernis für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte eine praktische Verwendung von sieben Jahren vor, die vom Zeitpunkt der erfüllten gesetzlichen Bedingungen zum Eintritt in die Gerichtspraxis an zu berechnen war. Mit BG vom , BGBl. 1973/570, wurde § 2 RAO dahingehend abgeändert, daß die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung der Rechtsanwaltsanwärter fünf Jahre zu dauern habe. Weitere Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte war bis zum Inkrafttreten des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes BGBl. 1985/556 (im folgenden RAPG 1985) gemäß dem damaligen § 1 Abs 2 RAO der akademische Grad eines Doktors der Rechte nach der Rigorosenordnung vom 15. April 1872. Durch ArtII Z 2 RAPG 1985 wurde die für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche Dauer der praktischen Verwendung wieder auf sieben Jahre angehoben. Ebenfalls durch das RAPG 1985 wurde im § 1 Abs 2 litc RAO - unter weitestgehender Beibehaltung des bisherigen Wortlautes - alternativ die Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Rechtswissenschaften nach dem BG vom , BGBl. 1978/140, als ausreichende Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte eingefügt. § 2 Abs 2 RAO idF des RAPG 1985, BGBl. 1985/556, verkürzte die Praxiszeit für diejenigen, die das Doktorat der Rechtswissenschaften nach der neuen Studienordnung absolviert haben, von sieben auf sechs Jahre. Mit Erk. vom , VfSlg. 13011/1992, wurde festgestellt, daß § 2 Abs 2 RAO idF des RAPG 1985, BGBl. 1985/556, verfassungswidrig war. Mit Bundesgesetz vom , BGBl. 1992/176, wurde die RAO insofern geändert, als die Abs 2 bis 4 des § 2 nun lauten:
"§2
(1) ...
(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.
(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:
1. Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn an einer inländischen Universität der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom , BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt wurde;
2. eine im Sinn des Abs 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist.
(4) Die praktische Verwendung kann frühestens vom erfolgreichen Abschluß der im § 1 Abs 2 litc genannten Studien an gerechnet werden. Eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten nach Abs 1 bis 3 ist ausgeschlossen."
Im Bericht des Justizausschusses vom (417 BlgNR XVIII GP 3) wird ausgeführt, daß das "heutige Doktoratsstudium" mit der Verpflichtung zur Abfassung einer wissenschaftlichen Arbeit (Dissertation) für den Doktoranden mindestens den gleichen Arbeitsaufwand erfordert und mindestens den gleichen wissenschaftlichen Ertrag bringt wie etwa eine anrechenbare praktische Verwendung als Universitätsassistent. Laut Justizausschuß erscheint es daher gerechtfertigt, Zeiten des "neuen Doktoratsstudiums" bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten als praktische Verwendung anzurechnen. Gleichzeitig wird vom Justizausschuß "eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten (beispielsweise eine doppelte Anrechnung des Doktoratsstudiums und einer gleichzeitigen Berufstätigkeit) ausdrücklich ausgeschlossen".
1.2. Im Erk. VfSlg. 13011/1992 befand der Verfassungsgerichtshof, daß die Verlängerung der Dauer der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt als Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte von fünf auf sechs bzw. sieben Jahre gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, weil es für diese Verschärfung der Berufsvoraussetzung keine sachliche Rechtfertigung gebe.
Dem Gesetzgeber der RAO-Novelle BGBl. 1992/176 kann nicht entgegengetreten werden, wenn er nunmehr in § 2 Abs 2 RAO erneut eine Gesamtausbildungszeit von fünf Jahren festlegt und Unterschreitungen dieser Untergrenze durch Mehrfachberücksichtigung von Zeiten nach den Abs 1 bis 3 im § 2 Abs 4 RAO ausschließen will. Er bewegt sich damit nicht nur hinsichtlich der starren Festlegung der Mindestdauer der Ausbildung im Gesamtausmaß von fünf Jahren im (zulässigen) Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes (vgl. VfSlg. 13011/1992); für die Gleichheitskonformität des § 2 Abs 4 im Zusammenhalt mit § 2 Abs 2 RAO spricht insbesondere auch der Umstand, daß die Anrechnungsbestimmung des § 2 Abs 3 Z 1 RAO (unter anderem) auch den Zweck erfüllen soll, zeitliche Nachteile, die die Rechtsanwaltsanwärter durch Absolvierung des für die spätere Ausübung des Rechtsanwaltsberufes vom Gesetzgeber als wertvoll erachteten (aber nicht mehr als zwingend erforderlich angesehenen) Doktoratsstudiums gegenüber jenen Rechtsanwaltsanwärtern in Kauf nehmen müssen, die als Eintragungsvoraussetzung allein das Magisterium nach der Studienordnung BGBl. 1978/140 aufweisen können, zumindest teilweise auszugleichen. Diese zeitlichen Nachteile entfallen bei denjenigen, die in einem bestimmten Zeitraum gleichzeitig mehrere anrechenbare Zeiten im Sinne des § 2 Abs 1 bis 3 RAO erwerben.
Die Beschwerdeführer wurden daher nicht in ihren Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt.
1.3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Angesichts der Unbedenklichkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften könnten die Beschwerdeführer durch die angefochtenen Bescheide nur dann in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt werden, wenn die Behörde dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder Willkür geübt hätte.
All dies liegt nicht vor. Wenn die belangte Behörde im zu B26/99 protokollierten Beschwerdefall davon ausgeht, daß der Antrag des Beschwerdeführers bereits deswegen abzuweisen gewesen wäre, weil der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht den akademischen Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften erlangt hatte, ist ihr - entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers - keinesfalls eine grobe Verkennung der Rechtslage iS einer willkürlichen Vorgangsweise vorzuwerfen.
Ob der Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996, ).
2. Im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist auch nicht hervorgekommen, daß die Beschwerdeführer in anderen - von ihnen nicht relevierten - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden.
Die Beschwerden waren daher abzuweisen.
3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.