VfGH vom 13.12.2017, E298/2016 ua
Leitsatz
Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall; Abweisung der Beschwerde des minderjährigen Drittbeschwerdeführers
Spruch
I.Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind durch das von ihnen angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II.Der Drittbeschwerdeführer ist durch das von ihm angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.
III.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.488,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1.Die beschwerdeführenden Parteien sind österreichische Staatsangehörige; der Erst- und Zweitbeschwerdeführer leben miteinander in eingetragener Partnerschaft und sind die Eltern des – in dieser Beziehung aufwachsenden – minderjährigen Drittbeschwerdeführers. Gemeinsam beantragten sie am beim Magistrat der Stadt Wien die Einleitung des Verfahrens zur Ermittlung der Ehefähigkeit, die Zulassung des Erst- und Zweitbeschwerdeführers zur Begründung einer Ehe, die Beurkundung der Begründung dieser Ehe und die Ausstellung je einer Heiratsurkunde für den Erst- und Zweitbeschwerdeführer sowie den bescheidmäßigen Abspruch über diese Anträge.
Das Verwaltungsgericht Wien wies die gegen den abschlägigen Bescheid vom erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 44 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS 946/1811, ab (hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers mit der Abänderung, dass die Anträge zurückgewiesen werden).
Diese Entscheidungen bekämpfen die beschwerdeführenden Parteien mit der vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde, in der sie die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Schließung einer Ehe (Art12 EMRK) und auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung auf Grund des Geschlechtes und der sexuellen Orientierung (Art2 StGG; Art 7 B-VG; Art 8, 12 und 14 EMRK) wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behaupten, die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse beantragen und die Prüfung näher bezeichneter Wortfolgen in § 44 ABGB, JGS 946/1811, durch den Verfassungsgerichtshof anregen.
Der Drittbeschwerdeführer sieht neben den von dem Erst- und dem Zweitbeschwerdeführer geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten insbesondere auch sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art 13 EMRK und auf den gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG verletzt. Als zwangsweise uneheliches Kind sei er vom Eheverbot seiner Eltern selbst betroffen, während ihm die zurückweisende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien das Recht auf eine Beschwerde gegen seine aus dem bekämpften Eheverbot folgende Stigmatisierung und Segregation genauso abspreche wie auf eine inhaltliche Begründung.
2.Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
2.1.Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G258-259/2017, die Wortfolge "verschiedenen Geschlechtes" in § 44 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS 946/1811, und im Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft (Eingetragene Partnerschaft-Gesetz – EPG), BGBl I 135/2009 idF BGBl I 25/2015, die Wortfolgen "gleichgeschlechtlicher Paare" in § 1, "gleichen Geschlechts" in § 2 sowie die Ziffer 1 des § 5 Abs 1 als verfassungswidrig aufgehoben.
2.2.Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 2.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).
2.3.Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am . Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
3.Die Beschwerde ist hinsichtlich des Erst- und des Zweitbeschwerdeführers begründet.
Das Verwaltungsgericht Wien hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Erst- und des Zweitbeschwerdeführers nachteilig war.
Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer wurden also durch das von ihnen in Beschwerde gezogene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
4.Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers ist die Beschwerde nicht begründet:
Ob Kindern Parteistellung in Verfahren zur Ermittlung der Ehefähigkeit ihrer Eltern, zu deren Eheschließung und zur Beurkundung der Ehe zukommt, stellt grundsätzlich eine im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichtshofs gelegene Frage dar (vgl. dazu im Zusammenhang mit der vorliegenden Konstellation ; , Ra 2016/01/0063). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dem Verwaltungsgericht Wien nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass es sich bei der Erklärung, eine Ehe eingehen zu wollen, um die Ausübung eines höchstpersönlichen Rechts handelt. Auch wenn die Frage, ob seine Eltern verheiratet sind, für das gemeinsame Kind wesentliche Bedeutung hat, die gleichheitsrechtlich von Relevanz ist, führt dies nicht dazu, dass der Gesetzgeber dem Kind im Verfahren über den Antrag seiner Eltern, eine Ehe eingehen zu wollen, ein subjektives Recht auf Durchsetzung eines derartigen Antrags und damit Parteistellung zuerkennen muss. Der Gesetzgeber kann vielmehr die Durchsetzung dieses höchstpersönlichen Rechts grundsätzlich in der Rechtsmacht der Rechtsträger belassen (und das Kind damit zur Bekämpfung allfälliger Rechtsnachteile auf andere Wege verweisen). Das Verwaltungsgericht Wien hat daher den von ihm angewendeten Rechtsvorschriften in Bezug auf den Drittbeschwerdeführer auch keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt.
Anhaltspunkte für ein sonst in die Verfassungssphäre reichendes Fehlverhalten des Verwaltungsgerichts Wien werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind im Verfahren auch nicht hervorgekommen.
Der Drittbeschwerdeführer ist daher durch das von ihm in Beschwerde gezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien weder in den von ihm geltend gemachten noch in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.
5.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
6.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG (vgl. ).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:E298.2016 |
Schlagworte: | VfGH / Kosten, Rechte höchstpersönliche, Ehe und Verwandtschaft, Parteistellung, Eherecht, Zivilrecht, VfGH / Anlassfall |
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