OGH vom 01.06.2010, 10ObS74/10w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter ADir Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1.) Setareh H*****, 2.) Leila H*****, 3.) Aida H*****, und 4.) Nina H*****, alle *****, alle vertreten durch Dr. Rudolf Deitzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Witwen und Waisenpension, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 26/10z 54, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Bescheid der beklagten Partei jeweils vom bzw vom (Drittklägerin) wurden der Antrag der Erstklägerin auf Gewährung einer Witwenpension sowie die Anträge der Zweit bis Viertklägerin auf Gewährung einer Waisenpension mangels Erfüllung der Wartezeit abgelehnt. Weiters wurde in einem Begleitschreiben der beklagten Partei darauf hingewiesen, dass die Gewährung einer Abfindung gemäß § 269 ASVG erst nach Rechtskraft der Bescheide über die Ablehnung der Anträge auf Gewährung der Witwen und Waisenpension möglich sei.
Das Erstgericht wies das von den Klägerinnen dagegen erhobene und auf die Gewährung der abgelehnten Leistungen (Witwen und Waisenpension) gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen fest, dass der am geborene Ehegatte der Erstklägerin und Vater der Zweit bis Viertklägerin in Österreich im Zeitraum Juli 1967 bis Jänner 1969 sechs Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Arbeiter und von Oktober 1985 bis November 1997 146 Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Angestellter erworben hat. Von März 1972 bis Jänner 1978 erwarb er 72 Ersatzmonate (Studienzeiten). Im Jahr 1998 liegen drei Monate Arbeitslosigkeit ohne Bezug als neutrale Zeiten. Der am verstorbene Ehegatte der Erstklägerin hat daher insgesamt 152 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und 72 Monate einer Ersatzzeit erworben. Im Rahmenzeitraum vom bis liegen 165 Versicherungsmonate (146 Beitragsmonate und 19 Monate einer Ersatzzeit).
Aus der unstrittigen Aktenlage ergibt sich weiters, dass der Ehemann der Erstklägerin zuletzt als selbständiger Zivilingenieur tätig war. Von den Wohlfahrtseinrichtungen der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten wurde daher aus Anlass des Todes des Versicherten ab November 2006 eine Witwenpension in Höhe von 280,64 EUR monatlich sowie Halbwaisenpensionen in Höhe von jeweils 62,36 EUR monatlich zuerkannt.
Das Erstgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Wartezeit für die begehrten Hinterbliebenenleistungen gemäß den §§ 257, 236 ASVG in keiner der drei in Betracht kommenden Varianten erfüllt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerinnen keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Wartezeit nicht erfüllt sei, und teilte nicht die im Rechtsmittel ausgeführten verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerinnen. Auch ein Zuspruch einer Abfindung gemäß § 269 ASVG komme nicht in Betracht, weil die beklagte Partei mit ihren Bescheiden vom bzw (Drittklägerin) nur über die Anträge auf Witwen bzw Waisenpension der Klägerinnen entschieden und den Klägerinnen mitgeteilt habe, eine Erledigung der Anträge auf Abfindung sei erst nach Rechtskraft dieser Bescheide möglich. Der Rechtsweg für Bescheidklagen wegen einer Abfindung nach § 269 ASVG sei daher mangels Erledigung dieser Anträge mittels Bescheid nicht zulässig. Da die ab der Tagsatzung vom qualifiziert vertretenen Klägerinnen im erstinstanzlichen Verfahren nur die Zuerkennung einer Witwenpension bzw von Waisenpensionen begehrt hätten, liege auch keine Säumnisklage vor.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerinnen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In ihrer außerordentlichen Revision machen die Klägerinnen wiederum zusammengefasst geltend, die für die von ihnen begehrten Hinterbliebenenleistungen erforderliche Wartezeit sei entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen erfüllt. So könne eine verfassungskonforme Auslegung der Übergangsbestimmung des § 563 Abs 8 ASVG iVm § 236 Abs 2 ASVG für den Fall der Hinterbliebenenpensionen nur ergeben, dass für den Versicherungsfall des Todes die Wartezeit auch dann erfüllt sei, wenn ausreichend Versicherungsmonate ohne zeitliche Begrenzung durch einen Rahmenzeitraum vorliegen. Eine andere Auslegung dieser Bestimmungen führe zu einer gemeinschaftsrechts und verfassungsrechtswidrigen Schlechterstellung der Angehörigen von älteren männlichen Versicherten. Für diesen Fall werde auch eine entsprechende Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof angeregt. Schließlich hätten die Vorinstanzen den Klägerinnen jedenfalls eine Abfindung gemäß § 269 ASVG zusprechen müssen.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:
1. Unstrittig steht fest, dass ausgehend vom Stichtag zu prüfen ist, ob die Anspruchsvoraussetzungen für die von den Klägerinnen begehrten Hinterbliebenenleistungen erfüllt sind (vgl § 223 Abs 2 ASVG).
1.1 Gemäß § 235 Abs 1 ASVG ist der Anspruch auf jede der im § 222 Abs 1 und 2 ASVG angeführten Leistungen (also auch für die Hinterbliebenenpensionen aus dem Versicherungsfall des Todes) mit Ausnahme der Abfindung nach § 269 Abs 1 Z 1 ASVG an die allgemeine Voraussetzung geknüpft, dass die Wartezeit durch Versicherungsmonate iSd Abs 2 dieser Bestimmung erfüllt ist (§ 236 ASVG). Für die Wartezeit sind die Versicherungsmonate aller Zweige der Pensionsversicherung (§ 236 ASVG), abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen, zu berücksichtigen.
1.2 Gemäß § 236 Abs 1 Z 1 ASVG ist die Wartezeit für eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sowie aus dem Versicherungsfall des Todes bei einem Stichtag vor Vollendung des 50. Lebensjahres bei Vorliegen von 60 Versicherungsmonaten erfüllt. Wenn der Stichtag nach Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, erhöht sich die Wartezeit je nach dem Lebensalter des Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen Monat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten („wachsende Wartezeit“). Diese für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestanzahl von Versicherungsmonaten muss gemäß § 236 Abs 2 ASVG innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen; dieser Zeitraum verlängert sich, wenn der Stichtag nach Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, je nach dem Lebensalter des Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 360 Kalendermonaten. Fallen in diese Zeiträume gemäß § 236 Abs 2 ASVG neutrale Monate (§ 234 ASVG), so verlängern sich die Zeiträume um diese Monate (§ 236 Abs 3 ASVG). Gemäß § 236 Abs 4 ASVG ist die Wartezeit auch erfüllt, wenn bis zum Stichtag mindestens 180 Beitragsmonate oder Beitragsmonate und/oder nach dem zurückgelegte sonstige Versicherungsmonate in einem Mindestausmaß von 300 Monaten erworben wurden („ewige Anwartschaft“).
1.3 Im vorliegenden Fall wäre daher die Wartezeit für die von den Klägerinnen begehrten Hinterbliebenenleistungen gemäß § 236 ASVG nur erfüllt, wenn
a) im Zeitraum vom bis dies ist der Zeitraum der letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag, verlängert um drei neutrale Monate mindestens 180 Versicherungsmonate vorliegen oder
b) bis zum Stichtag mindestens 180 Beitragsmonate oder
c) bis zum Stichtag Beitragsmonate und/oder nach dem zurückgelegte sonstige Versicherungsmonate in einem Mindestausmaß von 300 Monaten erworben wurden.
1.4 Ausgehend von dieser Rechtslage sind die Vorinstanzen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Wartezeit im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist, weil im maßgebenden Rahmenzeitraum vom bis nur 165 (statt 180) Versicherungsmonate (lit a) und insgesamt nur 152 (statt 180) Beitragsmonate (lit b) sowie 224 (statt 300) Versicherungsmonate (= 152 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und 72 Ersatzmonate für Studienzeiten) vorliegen (lit c).
1.5 Hinsichtlich der strittigen Berücksichtigung der Ersatzzeiten (für Schul , Studien und Ausbildungszeiten) gemäß § 227 Abs 1 Z 1 ASVG ergibt sich aus § 227 Abs 2 Z 2 ASVG, dass diese Zeiten für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (Wartezeit) für die Hinterbliebenenleistungen weiterhin beitragsfrei zu berücksichtigen sind. Demgegenüber sind seit dem Inkrafttreten des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 1996/201, mit gemäß § 227 Abs 2 Z 1 ASVG die angeführten Ersatzzeiten bei den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit ohne Beitragsentrichtung weder anspruchs noch leistungswirksam. Auf diese Änderung der Rechtslage bei den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit bezieht sich die Übergangsbestimmung des § 563 Abs 8 ASVG im Sinne eines Vertrauensschutzes (vgl RV 72 und zu 72 BlgNR XX. GP 246). Die genannte Übergangsbestimmung findet daher im vorliegenden Fall keine Anwendung, weil, wie bereits erwähnt, die erwähnten Ersatzzeiten (Studienzeiten) für die hier strittige Erfüllung der Wartezeit für die Hinterbliebenenleistungen ohnedies weiterhin beitragsfrei zu berücksichtigen sind.
1.6 Bei der Berücksichtigung der vom Verstorbenen erworbenen Versicherungszeiten (Beitrags und Ersatzzeiten) für die Erfüllung der Wartezeit gemäß § 236 Abs 1 Z 1 ASVG ist allerdings die Begrenzung des Rahmenzeitraums gemäß § 236 Abs 2 Z 2 ASVG auf die letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag, erweitert um neutrale Zeiten gemäß § 236 Abs 3 ASVG, zu beachten. Dadurch unterscheidet sich die Erfüllung der Wartezeit im Rahmenzeitraum von der Erfüllung der Wartezeit durch die sogenannte ewige Anwartschaft (§ 236 Abs 4 ASVG). Die Ansicht der Klägerinnen, der im § 236 Abs 2 ASVG vorgesehene Rahmenzeitraum sei bei einer Erfüllung der Wartezeit nach § 236 Abs 1 Z 1 ASVG nicht zu berücksichtigen, steht im Widerspruch zu dem völlig eindeutigen Gesetzeswortlaut. Durch den Rahmenzeitraum werden die Bestimmungen über die Wartezeit verschärft. Er führt zum Ergebnis, dass nicht alle erworbenen Versicherungszeiten auf die Erfüllung der Wartezeit angerechnet werden, sondern nur jene, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums liegen. Außerhalb des Rahmenzeitraums liegende Zeiten bleiben außer Betracht. Die Regelungen über den Rahmenzeitraum wollen verhindern, dass Personen in den Genuss von Leistungen kommen, die bereits versicherungsfremd geworden sind (vgl 10 ObS 146/99i ua). Daraus folgt aber nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass im vorliegenden Fall die Wartezeit auch nach § 236 Abs 1 Z 1 ASVG nicht erfüllt ist, weil im maßgebenden Rahmenzeitraum vom bis insgesamt nur 165 Versicherungsmonate (146 Beitragsmonate und 19 Monate einer Ersatzzeit) liegen. Dass die Wartezeit im vorliegenden Fall auch nicht in Form der ewigen Anwartschaft (§ 236 Abs 4 ASVG) erfüllt ist, wird auch von den Klägerinnen nicht mehr in Zweifel gezogen.
2. Gegen dieses Ergebnis bestehen, wie der erkennende Senat ebenfalls bereits mehrfach dargelegt hat, auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. So bestehen gegen den Umstand, dass der Gesetzgeber Pensionsansprüche von der Erfüllung einer Wartezeit abhängig macht, ebenso wenig verfassungsrechtliche Bedenken (vgl RIS Justiz RS0056550) wie gegen die Regelung der „wachsenden Wartezeit“ iSd § 236 Abs 1 Z 1 ASVG (RIS Justiz RS0085872). Weiters entspricht es der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass auch gegen die Regelung des Rahmenzeitraums des § 236 Abs 1 und 2 ASVG, welche gewährleisten soll, dass nur solche Leistungswerber anspruchsberechtigt sind, die im Zeitpunkt der Antragstellung in einem gewissen zeitlichen Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft stehen, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl RIS Justiz RS0084845, RS0106536 ua). Auch die Ausführungen in der Revision bieten keinen Anlass für die von den Klägerinnen angeregte Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof.
3. Schließlich entspricht auch die weitere Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass ein Zuspruch der Abfindung gemäß § 269 ASVG im vorliegenden Fall deshalb nicht in Betracht komme, weil darüber keine bescheidmäßige Erledigung durch den beklagten Versicherungsträger vorliege und von den Klägerinnen insoweit auch keine Säumnisklage erhoben worden sei, der herrschenden Lehre und Rechtsprechung (vgl Neumayr in Zellkomm § 67 ASGG Rz 3 ff mwN).
4. Da die Entscheidung des Berufungsgerichts somit in allen relevanten Fragen im Einklang mit der zitierten ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats steht, war die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.