OGH vom 24.05.1989, 9ObS5/89
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Kurt Resch und Anton Liedlbauer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf B***, kaufmännischer Angestellter, Wels, Porzellangasse 7, vertreten durch Dr.Ernst Chalupsky und Dr.M.Gumpoldsberger, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei A*** W***, Wels, Dragonerstraße 31, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 1,232.130,48 sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Rs 131/88-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 26 Cgs 103/88-5, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung
1. den
B e s c h l u ß
gefaßt:
Spruch
Der Antrag der klagenden Partei, die Bestimmungen des § 1 Abs. 3 Z 4 sowie des § 1 Abs. 4 IESG beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, wird zurückgewiesen.
Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. 1Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit der Klage mit einem Betrag von S 633.600 stattgegeben wurde und im Kostenpunkt aufgehoben; die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die diesbezüglichen Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
2. zu Recht erkannt:
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit das Ersturteil im klageabweisenden Sinn abgeändert wurde, als Teilurteil bestätigt. Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom bis als kaufmännischer Angestellter und ab als Vorstandsmitglied auf Grund von Angestelltendienstverträgen für die E***-B***-W*** AG tätig. Nach diesen Dienstverträgen war in allen Fällen, in denen die Dienstzeit von Bedeutung war, insbesondere auch für den Abfertigungsanspruch, die Zeit ab zugrundezulegen. In allen in den Verträgen nicht ausdrücklich geregelten Punkten sollten die Bestimmungen des Angestelltengesetzes gelten. Mit dem Inkrafttreten der jeweiligen Dienstverträge erlosch die Gültigkeit der bisher zwischen der E***-B***-W*** AG und dem Kläger abgeschlossenen dienstlichen Vereinbarungen. Nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner sollte das mit dem Kläger bestehende Angestelltendienstverhältnis auch während der Zeit seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied weiterhin bestehen. Mit erfolgte daher auch keine Abrechnung von Urlaubs- und Abfertigungsansprüchen, sondern wurde von einem ununterbrochenen Bestand des Angestelltendienstverhältnisses ausgegangen. Aus diesem Grund wurde auch im Dezember 1977 nicht über die Zahlung einer Abfertigung an den Kläger gesprochen. Nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der E***-B***-W*** AG am erklärte der Kläger mit Schreiben vom seinen Austritt. Der Abfertigungsanspruch des Klägers für die Zeit vom bis beträgt unter Zugrundelegung des zuletzt bezogenen Monatsentgelts von S 104.773 brutto S 1,232.130,48 netto. Diese Forderung wurde vom Masseverwalter anerkannt. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger S 1,232.130,48 sA an Abfertigung für die Zeit vom bis . Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied geendet. Der Abfertigungsanspruch sei erst mit der Beendigung der Funktion als Vorstand entstanden und sei kein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Selbst wenn dies der Fall wäre, sei der nunmehr geltend gemachte Anspruch verjährt, da das Arbeitsverhältnis des Klägers im Jahr 1977 geendet habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Organmitgliedschaft Insolvenzentgeltansprüche nicht für Forderungen ausschließe, die aus vor oder nach der Organmitgliedschaft in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegten Zeit resultierten. Da das Angestelltendienstverhältnis des Klägers mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied nicht beendet worden sei, sei der Abfertigungsanspruch erst mit dem Austritt des Klägers am fällig geworden. Der Einwand der Verjährung sei daher nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von S 633.600 und änderte es im übrigen im Sinne einer Abweisung des Mehrbegehrens von S 598.530,48 ab. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß durch die Bestellung als Vorstandsmitglied das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden sei; die Abfertigung sei daher erst mit dem Austritt fällig geworden und sohin nicht verjährt. Sie sei allerdings der Höhe nach gemäß § 1 Abs. 3 Z 4 IESG mit der zweifachen Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs. 1 lit. b ASVG - entsprechend einem Betrag von monatlich S 52.800 netto - zu begrenzen.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Parteien aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Der Kläger bekämpft den klageabweislichen Teil, beantragt die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich § 1 Abs. 3 Z 4 und § 1 Abs. 4 IESG und die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne des Klagebegehrens. Die beklagte Partei ficht den klagestattgebenden Teil an, beantragt die Aufhebung des bisherigen Verfahrens als nichtig und die Zurückweisung der Klage, in eventu die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung.
Beide Parteien beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Lediglich die Revision der beklagten Partei ist berechtigt.
Zur Revision des Klägers:
Ein Recht, vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, steht dem Revisionswerber nicht zu (EvBl. 1980/191; 7 Ob 53/81, 9 Ob S 2/88, 9 Ob S 7/88 und 9 Ob S 6/89). Der Antrag des Klägers war daher zurückzuweisen. Der Oberste Gerichtshof kann jedoch einen solchen Antrag stellen, wenn er Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hat. Die Ausführungen des Revisionswerbers zur Verfassungswidrigkeit der mit BGBl. 395/1986 neu gefaßten §§ 1 Abs. 3 Z 4 und 1 Abs. 4 IESG wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sind jedoch nicht geeignet, solche Bedenken zu erwecken, weil der Gleichheitsgrundsatz lediglich eine sachlich nicht begründete Differenzierung verbietet. Wie der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis VfGHSlg. 9.935 ausgesprochen hat, ist der Ausschluß der vertretungsberechtigten Organe juristischer Personen aus dem Kreis der in der Insolvenz des Arbeitgebers gesicherten Personen gerechtfertigt, weil sie typischerweise verstärkt und unmittelbar Einfluß nehmen und sich auch rechtzeitig persönlich einen umfassenden Einblick in die maßgeblichen Verhältnisse verschaffen können. Wenn der Gesetzgeber die im Einzelfall sehr schwierig zu beantwortende Frage nach dem konkreten Ausmaß dieser Möglichkeiten nicht stellt, sondern diese Personengruppe pauschal aus dem Anwendungsbereich des IESG ausschließt, wird die Regelung dadurch nicht unsachlich. Ist aber der gänzliche Ausschluß von Ansprüchen der Organe juristischer Personen sachlich gerechtfertigt, wird der Argumentation des Klägers, bei Festlegung der Ausnahmen von der betraglichen Begrenzung des Insolvenzausfallgeldes in § 1 Abs. 3 Z 4 IESG sei ohne sachliche Rechtfertigung auf die besondere Situation der Vorstandsmitglieder nicht Bedacht genommen worden, der Boden entzogen. Im übrigen kommt, wie zur Revision der beklagten Partei auszuführen ist, die Anwendung der betraglichen Begrenzung auf die Vorstandsbezüge des Klägers nicht zum Tragen, weil die nicht gesicherten Bezüge als Vorstand auch nicht als Bemessungsgrundlage für die aus Zeiten vor der Vorstandsmitgliedschaft resultierenden gesicherten Ansprüche heranzuziehen sind.
Die Feststellung der angemeldeten Forderung im Konkurs auf Grund des Anerkenntnisses des Masseverwalters (§ 109 Abs. 1 KO) ist lediglich für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt, der Entscheidung des Arbeitsamtes ohne weitere Prüfung zugrundezulegen. Ob dieser Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die Verwaltungsbehörde zu entscheiden, diese Prüfung aber anhand der anspruchsbegründenden Tatsachenbehauptungen in der anerkannten Anmeldung vorzunehmen. In der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen bleibt das Arbeitsamt in allen Fragen, die im gerichtlichen Verfahren als dort nicht anspruchsbegründend oder mangels Einwendung nicht zu prüfen waren, frei (9 Ob S 15/88). Die Frage, ob und inwieweit der auf Grund des Anerkenntnisses des Masseverwalters im Konkurs festgestellte Anspruch des Klägers gemäß § 1 Abs. 6 Z 2 IESG ausgeschlossen ist, ist daher vom Arbeitsamt selbständig zu prüfen. Der Revision des Klägers war daher ein Erfolg zu versagen.
Zur Revision der beklagten Partei:
Zunächst sei bemerkt, daß sich der Oberste Gerichtshof durch die Revisionsausführungen der beklagten Partei nicht veranlaßt sieht, von seiner ständigen Judikatur (9 Ob S 7/88, 9 Ob S 3-6/88, 9 Ob S 1001/88, 9 Ob S 15/88 sowie 9 Ob S 6/89) abzugehen. Danach entspricht es dem streitigen Zweiparteienverfahren des ASGG, mit welchem die Parteienrolle nicht dem Bund, sondern der beklagten Partei kraft Gesetzes zugewiesen wurde, einen exekutionsfähigen Titel zu schaffen. Der gegen die beklagte Partei gerichtete verurteilende Leistungsbefehl im Spruch des Berufungsurteils entspricht daher dem Wesen eines verurteilenden Erkenntnisses und ist daher aus dieser Sicht unbedenklich.
Im übrigen ist die Revision im Ergebnis teilweise berechtigt. Geht man davon aus, daß das Angestelltenverhältnis des Klägers zur beklagten Partei mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied erlosch, war der Kläger berechtigt, die mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig gewordene Abfertigung zu fordern. Entgegen der von Marhold in RdW 1984, 281, vertretenen Ansicht hält die Vereinbarung, die Abfertigung nicht auszuzahlen, sondern insbesondere auf den Abfertigungsanspruch weiterhin das Angestelltengesetz anzuwenden und die als Angestellter zurückgelegten Zeiten einzubeziehen, einen Günstigkeitsvergleich im Sinne des § 3 ArbVG stand. Die nur vom gewillkürten Verhalten des Arbeitnehmers abhängigen Verfallstatbestände des § 23 Abs. 7 AngG werden wohl dadurch mehr als aufgewogen, daß als Bemessungsgrundlage für die auch im Angestelltenverhältnis zurückgelegten Zeiten der erheblich höhere Vorstandsbezug herangezogen wird. Überdies wird der sozialpolitischen Funktion der Abfertigung als Versorgung und Überbrückung nach dem Verlust des Arbeitsplatzes durch das Hinausschieben der Fälligkeit eher Rechnung getragen als durch die Auszahlung bei einem Aufstieg in eine besser dotierte Position. Dem Kläger ist daher ein unverjährter, erst nach dem im § 17 Abs. 2 IESG angeführten Termin fällig gewordener Anspruch auf Abfertigung zuzubilligen, soweit er nur auf seine Tätigkeit als Angestellter zurückzuführen ist. Da nach § 1 Abs. 6 Z 2 IESG die Ansprüche der Mitglieder des Organs einer juristischen Person nicht gesichert sind und von den Bezügen dieser Personen gemäß § 12 Abs. 1 Z 5 letzter Satz IESG auch kein Beitrag zu leisten ist, wäre es inkonsequent, die Vorstandsbezüge als Bemessungsgrundlage für den aus der Tätigkeit als Arbeitnehmer resultierenden gesicherten Anspruch heranzuziehen. Ausschließlich aus der Tätigkeit des Klägers als Angestellter resultiert nämlich nur jener Teil der Abfertigung, der schon bei Beendigung des Angestelltenverhältnisses fällig wurde und nach dessen Auszahlung keinerlei weitere Abfertigungsansprüche aus diesem Zeitraum zugestanden wäre (vgl. Martinek-Schwarz AngG6, 462). Da demnach als Bemessungsgrundlage für den nach dem IESG gesicherten Teil der Abfertigung nicht etwa der letzte Vorstandsbezug des Klägers, sondern dessen letztes Entgelt vor der Bestellung zum Vorstandsmitglied heranzuziehen ist, Feststellungen über diese Bezüge aber bisher nicht getroffen wurden, ist eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz erforderlich (9 Ob S 6/89). Der Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen in ihrem dem Klagebegehren stattgebenden Teil aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.