VfGH vom 13.12.2017, E253/2017
Leitsatz
Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall
Spruch
I.Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1.Mit Bescheid vom wies das Zollamt Innsbruck einen auf § 303 Abs 1 litc BAO gestützten Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft vom auf Wiederaufnahme eines Abgabenverfahrens unter Hinweis auf § 304 BAO als nicht fristgerecht eingebracht zurück. Als Begründung dieses Antrages hatte die beschwerdeführende Gesellschaft vorgebracht, dass über eine Vorfrage nachträglich anders entschieden worden sei.
2.Gegen diesen Bescheid des Zollamtes Innsbruck erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Beschwerde an das Bundesfinanzgericht, welches der Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis keine Folge gab. Begründend führte das Bundesfinanzgericht hiezu zusammengefasst aus, dass der Antrag auf Wiederaufnahme im Hinblick auf § 304 BAO als verspätet anzusehen sei und keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität dieser Bestimmung bestünden.
3.In ihrer auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde rügt die beschwerdeführende Gesellschaft unter anderem die Verfassungswidrigkeit des § 304 BAO. Ihrem Vorbringen zufolge entspreche diese Bestimmung inhaltlich den Vorgängerregelungen in den Fassungen BGBl 151/1980 bzw. BGBl 12/1993, welche der Verfassungsgerichtshof mit seinen Erkenntnissen VfSlg 13.114/1992 und VfSlg 13.778/1994 jeweils als verfassungswidrig aufgehoben habe.
4.Der Bundesminister für Finanzen erstattete (über Einladung des Verfassungsgerichtshofes) eine Äußerung, in der er dem Vorbringen der Beschwerde entgegentritt.
5.Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
5.1.Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G131/2017, § 304 BAO, BGBl 194/1961, idF BGBl I 14/2013, als verfassungswidrig aufgehoben.
5.2.Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988); darüber hinaus muss der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 5.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes gestellt worden sein (VfSlg 17.687/2005).
5.3.Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am ; der dieses Gesetzesprüfungsverfahren einleitende Beschluss wurde am bekannt gemacht. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; da der ihr zugrunde liegende, das Verwaltungsverfahren auslösende Antrag ausweislich der Verwaltungsakten auch vor Bekanntgabe des Prüfungsbeschlusses, nämlich am , gestellt worden ist, ist der ihr zugrunde liegende Fall somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Das Bundesfinanzgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
6.Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 VfGG abgesehen.
7.Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:E253.2017 |
Schlagworte: | VfGH / Anlassfall |
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Fundstelle(n):
MAAAE-13084