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VfGH vom 04.12.2017, E250/2017

VfGH vom 04.12.2017, E250/2017

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I.Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.Mit Bescheid vom stellte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck fest, dass von der Rechtsvorgängerin der beschwerdeführenden Gesellschaft durchgeführte Abfallexporte nach Deutschland der Beitragspflicht nach dem Bundesgesetz vom zur Finanzierung und Durchführung der Altlastensanierung ("Altlastensanierungsgesetz"), BGBl 299/1989, unterlägen. Die dagegen eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen.

2.Mit Bescheid vom schrieb das Zollamt Innsbruck der Rechtsvorgängerin der beschwerdeführenden Gesellschaft für die Durchführung von Abfallexporten nach Deutschland im Kalenderjahr 2007 gemäß § 201 BAO iVm § 3 Abs 1 Z 4 AlSAG einen Altlastensanierungsbeitrag samt Säumniszuschlag in Höhe von € 16.601,52 vor. Mit Bescheid vom bestätigte der Unabhängige Finanzsenat diese Entscheidung.

3.Im Hinblick auf die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2010/07/0215, vertretene Rechtsansicht und einen weiteren Feststellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom , welcher die Beitragsfreiheit der von der beschwerdeführenden Gesellschaft durchgeführten Tätigkeiten bestätigte, stellte diese am beim Zollamt Innsbruck einen auf § 303 Abs 1 litc BAO gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates vom abgeschlossenen Verfahrens. Mit Bescheid vom wies das Zollamt Innsbruck diesen Antrag unter Hinweis auf § 304 BAO wegen Verjährung zurück.

4.Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Beschwerde an das Bundesfinanzgericht, welches der Beschwerde keine Folge gab. Begründend führte das Bundesfinanzgericht hiezu aus, gemäß § 7 Abs 1 AlSAG in der maßgeblichen Fassung entstehe die Beitragsschuld im Fall der Beförderung von Abfällen zu einer Tätigkeit gemäß § 3 Abs 1 Z 1 bis 3 leg.cit. außerhalb des Bundesgebietes mit Ablauf des Kalendervierteljahres, in dem die Beförderung begonnen wurde, bei allen übrigen beitragspflichtigen Tätigkeiten mit Ablauf des Kalendervierteljahres, in dem die beitragspflichtige Tätigkeit vorgenommen wurde. Die Verjährung beginne gemäß § 208 Abs 1 lita BAO in den Fällen des § 207 Abs 2 leg.cit. mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden sei, soweit in § 208 Abs 2 leg.cit. nicht ein anderer Zeitpunkt bestimmt sei. Da die Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs 2 BAO im konkreten Fall fünf Jahre betrage, sei die Vorschreibung für das Kalenderjahr 2007 grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres 2012 verjährt. Mit der Erlassung des Abgabenbescheides des Zollamtes Innsbruck vom habe sich die Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs 1 BAO um ein Jahr verlängert. Darüber hinaus sei keine nach außen erkennbare Amtshandlung zur Geltendmachung des Abgabenanspruches aktenkundig. Im Ergebnis sei der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 304 BAO wegen Eintritts der Verjährung unzulässig. Zweifel an der Verfassungskonformität des § 304 BAO bestünden nicht.

5.In ihrer auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde rügt die beschwerdeführende Gesellschaft die Verfassungswidrigkeit des § 304 BAO. Ihrem Vorbringen zufolge entspreche diese Bestimmung inhaltlich den Vorgängerregelungen in den Fassungen BGBl 151/1980 bzw. BGBl 12/1993, welche der Verfassungsgerichtshof mit seinen Erkenntnissen VfSlg 13.114/1992 und VfSlg 13.778/1994 jeweils als verfassungswidrig aufgehoben habe. Obgleich sich die der Anordnung des § 304 BAO zugrunde liegenden Verjährungsfristen seither geändert hätten, entspreche die geltende Fassung des § 304 BAO nicht den vom Verfassungsgerichtshof in den genannten Erkenntnissen festgelegten Anforderungen. Zum einen bestehe nach wie vor eine drei- bzw. fünfjährige Verjährungsfrist, zum anderen knüpfe der Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 208 Abs 1 lita BAO weiterhin an die Entstehung des Abgabenanspruches – beides sei vom Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung bemängelt worden. Darüber hinaus habe das Bundesfinanzgericht § 304 BAO falsch angewendet. Diese Bestimmung solle nämlich der Gefahr vorbeugen, dass in einem wiederaufgenommenen Verfahren keine Abgaben mehr festgesetzt werden könnten, eine Gefahr, die im konkreten Fall gerade nicht bestehe. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom festgestellt habe, unterliege die Tätigkeit der beschwerdeführenden Gesellschaft nicht der Beitragspflicht. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich beim Altlastensanierungsbeitrag um eine Selbstbemessungsabgabe handle, womit im Fall, dass kein Beitragstatbestand erfüllt sei, auch nie die Fälligkeit der nicht geschuldeten Abgaben eintreten könne. In einem solchen Fall Verjährungsbestimmungen zur Anwendung zu bringen, die an den Fälligkeitszeitpunkt anknüpften, stelle eine denkunmögliche Gesetzesanwendung dar.

6.Der Bundesminister für Finanzen erstattete (über Einladung des Verfassungsgerichtshofes) eine Äußerung, in der er dem Vorbringen der Beschwerde entgegentritt.

7.Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 304 BAO, BGBl 194/1961, idF BGBl I 14/2013, ein. Mit Erkenntnis vom , G131/2017 ua., hob er diese Bestimmung als verfassungswidrig auf.

8.Die Beschwerde ist begründet.

Das Bundesfinanzgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war.

Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

9.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

10.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

11.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E250.2017
Schlagworte:
VfGH / Anlassfall

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Fundstelle(n):
AAAAE-13062