OGH vom 14.10.2020, 13Os59/20f (13Os60/20b, 13Os61/20z)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Pöttinger in der Strafsache gegen Baris C***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 Hv 86/19p des Landesgerichts Wels, über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss dieses Gerichts vom (ON 38) sowie über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom (ON 26) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde gegen den Beschluss auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden gegen den zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschluss nach § 494a StPO werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom (ON 26) wurde Baris C***** mehrerer Verbrechen und eines Vergehens schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Dagegen meldete der zum gegenständlichen Verfahren in Untersuchungshaft angehaltene Angeklagte – fristgerecht – Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe (ON 33) und solcherart (implizit) auch Beschwerde gegen den zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung an. Die Staatsanwaltschaft meldete Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und Beschwerde gegen den Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten an (ON 34).
Am verfügte die Vorsitzende die Urteilszustellung an den Verteidiger zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel „binnen 4 Wochen“ (ON 1 S 17).
Die Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger am (§ 89d Abs 2 GOG) mit dem Beisatz „Zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels binnen 14 Wochen“ zugestellt.
Am langte die elektronisch eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Angeklagten ein, wobei die Rechtzeitigkeit auf das Bundesgesetz „betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID19 in der Justiz“ gestützt und auf eine Fristunterbrechung bis zum Ablauf des verwiesen wurde (ON 37a).
Mit Beschluss vom wies die Vorsitzende des Schöffengerichts die Nichtigkeitsbeschwerde als verspätet zurück (ON 38).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, welcher in eventu einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde stellt und eine auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ausführt (ON 41).
Den Einwand der Rechtzeitigkeit der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde stützt die Beschwerde auf das Anführen einer Rechtsmittelfrist von „14 Wochen“ anlässlich der Urteilszustellung und auf § 3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz vom , BGBl II 2020/113.
Nach der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde hat der Beschwerdeführer das Recht, binnen vier Wochen nach Zustellung einer Urteilsabschrift eine Ausführung seiner Beschwerdegründe bei Gericht zu überreichen (§ 285 Abs 1 StPO).
Das Beschwerdevorbringen geht auf der Basis des Einlangens der Urteilsausfertigung in den elektronischen Verfügungsbereich des Verteidigers am von einer an diesem Tag erfolgten Urteilszustellung aus. Als Zustellungszeitpunkt elektronisch übermittelter gerichtlicher Erledigungen und Eingaben (§ 89a Abs 2 GOG) gilt aber jeweils der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten (§ 89d Abs 2 GOG).
Die vierwöchige Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde begann daher mit der Zustellung der Urteilsausfertigung an den Verfahrenshilfeverteidiger am zu laufen und endete mit Ablauf des , somit mehrere Wochen vor dem Einlangen der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde am .
Durch § 3 der (am außer Kraft getretenen) Verordnung der Bundesministerin für Justiz vom , BGBl II 2020/113, wurde der Fristenlauf des § 285 Abs 1 StPO nicht beeinflusst, weil diese Verordnungsbestimmung durch die am in Kraft getretene Anordnung des Art 21 § 9 Z 3 des 2. COVID19Gesetzes BGBl 2020/16 in der Fassung BGBl I 2020/24 dahin eingeschränkt wurde, dass sie nicht für Verfahren gilt, in denen der Beschuldigte – wie hier – in Haft angehalten wird.
Mit Blick auf die – wie dargelegt hier gar nicht relevante – Beschwerdeargumentation zu am bereits (durch BGBl II 2020/113) unterbrochen gewesene Fristen sei hinzugefügt, dass das Gesetz insoweit sehr wohl eine Übergangsregelung vorsieht (Art 21 § 12 Abs 2 des 2. COVID19Gesetzes in der Fassung BGBl I 2020/24).
Der weitere Beschwerdeeinwand einer möglichen Fristverlängerung gemäß § 285 Abs 2 StPO entfernt sich von der Aktenlage.
Letztlich bewirkt auch der im Zuge des Kanzleibetriebs des Gerichts in Bezug auf die Rechtsmittelfrist aufgetretene Schreibfehler bei der Urteilszustellung keine Verlängerung der in der Strafprozessordnung eingeräumten Rechtsmittelfrist (§ 84 Abs 1 Z 1 StPO).
Da der Angeklagte weder bei der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde noch innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat, erfolgte die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch die Vorsitzende des Schöffengerichts somit zu Recht (§§ 285a Z 2, 285b Abs 1 StPO).
Die Beschwerde war daher in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§§ 285b Abs 4, 285i StPO).
Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die Versäumung der Frist zur (hier) Ausführung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie (neben weiteren Voraussetzungen) nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern, die einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegen (vgl RISJustiz RS0101272), ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
Ausgehend vom diesbezüglichen Inhalt des Beschwerdevorbringens verkannte der Verteidiger die Bestimmungen des § 84 Abs 1 Z 1 StPO und des Art 21 § 9 Z 3 des 2. COVID19Gesetzes in der Fassung BGBl I 2020/24. Mangelnde Rechtskenntnis des Verteidigers stellt aber – angesichts der bei der Beurteilung des Grades der Sorgfaltswidrigkeit heranzuziehenden Maßfigur des gewissenhaften Rechtsanwalts – grundsätzlich keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar (RIS-Justiz RS0101173; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 27).
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitbeschwerde war somit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verweigern.
Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden gegen den zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschluss gemäß § 494a StPO kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i erster Satz zweiter Fall, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00059.20F.1014.000 |
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