VfGH vom 12.12.2019, E236/2019

VfGH vom 12.12.2019, E236/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; keine Auseinandersetzung mit der Sicherheit der Verbindungen von Kabul nach Herat und Mazar-e Sharif sowie mangelnde Berücksichtigung eines aktuellen Berichts des EASO

Spruch

I.1.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischen Glaubens.

1.1.Er stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung an, er sei aus dem Iran ausgereist, weil er dort nicht habe arbeiten dürfen. Er habe sich illegal im Iran aufgehalten und sein Vater habe in Afghanistan Feinde gehabt, die ihn auch im Iran verfolgt hätten.

1.2.In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, er sei im Iran geboren, aufgewachsen und habe dort circa sieben Jahre lang die Schule besucht. Nebenbei habe er seinem Vater auf Baustellen und im Transportgewerbe geholfen. Er habe auch einen Englischkurs besucht. Er sei nie in Afghanistan gewesen und habe bei der Ankunft in Österreich absichtlich ein falsches Alter angegeben, weil er gemeinsam mit seinem minderjährigen Cousin nach Traiskirchen habe gebracht werden wollen. Sein Vater, sein Bruder und dessen Familienangehörige seien auf dem Weg nach Europa und befänden sich derzeit in der Türkei. Im Iran hielten sich noch seine Mutter, ein weiterer Bruder und eine Schwester auf. Eine weitere Schwester sei in Deutschland. Er habe noch vier Onkel und drei Tanten im Iran, zu denen er aber keinen Kontakt mehr habe. Sein Vater komme ursprünglich aus Bamian und die Mutter aus Ghazni. In Afghanistan lebten keine Verwandten mehr. Ein Cousin lebe in Innsbruck. Er könne nicht genau sagen, warum die Eltern damals aus Afghanistan in den Iran gezogen seien; vermutlich sei dies wegen des Krieges erfolgt. Im Iran habe er keine Aufenthaltsgenehmigung besessen und eine Gruppierung habe junge Männer ausgesucht, um sie in den Krieg nach Syrien zu schicken. Diejenigen, die die Polizei gefunden habe, seien geschlagen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil es Menschen gebe, die Angehörige der Volksgruppe der Hazara und Schiiten töteten. Zudem sei auf die Taliban in Afghanistan hinzuweisen und junge Männer würden vergewaltigt.

1.3.In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der Beschwerdeführer weiters vor, er kenne die Kultur in Afghanistan nicht, sei tätowiert (Löwenkopf am linken Unterarm) und außerdem sei er schiitischen Glaubens. Wegen der Tätowierung erkenne jeder, dass er aus Europa komme; dies führe im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in Kombination mit seinem jungen Aussehen zu einer Gefährdung.

2.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3.Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

3.1.Das Bundesverwaltungsgericht führt begründend aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus den Gründen, die er vorbringe (Aufwachsen im Iran, Tätowierung, westliche Orientierung, Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara), einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei oder ausgesetzt sein würde. Es sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer allein wegen seiner Tätowierung, oder auch auf Grund des dadurch hervorkommenden Erscheinungsbildes (westliche Orientierung, Aufenthalt in Europa) einer Gefahr ausgesetzt sein würde. Aus diesen Umständen ergebe sich keinerlei Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

3.2.Es sei auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt werden könnte; die Länderberichte deuteten darauf nicht hin. Der Beschwerdeführer sei daher keiner systematischen Verfolgung ausgesetzt gewesen oder im Falle seiner Rückkehr ausgesetzt. Es sei zwar glaubhaft, dass er sich im Iran illegal aufgehalten habe und dass dies schwierige Lebensumstände begründet habe; im Hinblick auf die afghanische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers könne das Vorbringen zu den Lebensumständen im Iran allerdings außer Betracht bleiben, da der Herkunftsstaat ohnehin Afghanistan sei; der Beschwerdeführer müsse daher nicht in den Iran zurückkehren.

3.3.Eine Gefahr auf Grund der Rückkehr aus Europa habe nicht glaubhaft gemacht werden können. Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" könne auf Basis der Quellenlage insoweit nicht erkannt werden. Aus den Länderberichten ergebe sich zwar, dass Afghanen, die im Iran aufgewachsen seien, wegen des Akzentes in der Sprache leicht erkennbar seien, oft in wirtschaftlich prekäre Situationen gerieten und von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen seien; dies genüge jedoch nicht, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer aus dem Iran ausgehen zu können. Gleiches gelte auch für Rückkehrer aus Europa. Zwar sei das Risiko einer sozialen Stigmatisierung in diesen Fällen feststellbar und es bestehe auch ein Risiko, dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Feind oder des Abfalles vom Glauben ausgesetzt zu werden; die Schwierigkeiten, mit denen die Rückkehrer konfrontiert würden, und die daraus resultierende Gefährdungslage erreichten aber nicht jenes Ausmaß, das notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Rückkehrer aus Europa anzunehmen.

3.4.Eine Verfolgung aus Gründen der Volksgruppenzugehörigkeit habe auch nicht glaubhaft gemacht werden können. Schiiten seien zwar von Diskriminierungen in Form von illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Inhaftierung betroffen; in einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmateriales erreiche diese Gefährdung jedoch nicht jenes Ausmaß, das notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan für gegeben zu erachten. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofes.

3.5.Bei einer Rückkehr nach Kabul drohe ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers. Bei einer Rückführung nach Herat oder Mazar-e Sharif in Afghanistan bestehe dieses Risiko jedoch nicht. Er liefe in den beiden Städten nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation zu geraten.

3.6.Der Beschwerdeführer sei im Iran aufgewachsen und habe daher keine Heimatregion in Afghanistan; er verfüge auch über keine Verwandten oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat; aus diesen Gründen habe das Gericht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in einer der drei Städte (Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif) eine Situation vorfinden würde, die ihn bei der Rückkehr nicht in seinen Grundrechten verletzen würden. Aus den Länderberichten gehe hervor, dass Mazar-e Sharif und Herat als sichere Städte gelten würden. Kabul hingegen sei, dies ergebe sich aus einer Zusammenschau der aktuellen Berichte, nicht so sicher, als dass davon ausgegangen werden könnte, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr keine konkrete Gefahr drohen würde. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer einer hohen Gefahr ausgesetzt wäre, wahllos in Kabul Opfer eines Anschlages zu werden. Diese Gefahr bestehe allerdings nicht in den Städten Herat und Mazar-e Sharif. Mazar-e Sharif gelte als "Vorzeigeprojekt" der afghanischen Regierung.

3.7.Der Beschwerdeführer werde bei einer Rückkehr in Kabul landen. Auf Grund der Verbindungsmöglichkeiten gehe das Gericht davon aus, dass er in die sicheren Städte Herat und Mazar-e Sharif weiterreisen werde. Es bestünden Verbindungen zur Weiterreise. Kabul sei nicht so unsicher, dass jede Minute oder jede Stunde ein Anschlag erfolge; die Durchreise sei dem Beschwerdeführer daher zumutbar, sie sei gefahrlos zu bewerkstelligen.

3.8.Auch die allgemeine Situation in Afghanistan sei nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde.

3.9.Der Beschwerdeführer sei ein gesunder und arbeitsfähiger Mann im erwerbsfähigen Alter mit siebenjähriger Schulbildung. Er könne mehrere Sprachen, darunter Englisch und Deutsch, Farsi und Dari. Er habe zudem Berufserfahrung als Bauarbeiter und als Transporteur. Er sei im Iran aufgewachsen und seine Verwandten lebten teilweise – auf dem Weg nach Europa – in der Türkei oder befänden sich noch im Iran. Vor dem Hintergrund der Länderberichte sei nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer in Herat oder Mazar-e Sharif in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse einer ausweglosen oder existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

3.10.In einer Gesamtbetrachtung sei daher davon auszugehen, dass er keiner Gefahr einer Verletzung seiner Rechte aus Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK ausgesetzt sein würde, wenn er nach Herat oder Mazar-e Sharif zurückkehre. Eine Ansiedlung in den beiden Städten sei ihm möglich und zumutbar.

3.11.Der Beschwerdeführer habe keine Verwandten in Österreich und verfüge auch über keine sonstigen besonders engen sozialen Bindungen. Die Familienmitglieder befänden sich im Iran. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich sohin über kein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK. Der Eingriff in sein Privatleben sei gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer halte sich erst seit etwa drei Jahren im Bundesgebiet auf. Das Recht des Beschwerdeführers auf Aufenthalt im Bundesgebiet gründe sich allein auf die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz. Ein sonstiger Aufenthaltstitel sei ihm nicht gewährt worden und er habe sich der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein müssen. Dem Beschwerdeführer sei zu Gute zu halten, dass er in Österreich Deutschkurse besucht habe und die deutsche Sprache auf gutem Niveau beherrsche und dass er bei einem Botendienst beschäftigt sei, und nicht mehr von der Grundversorgung abhängig sei. Weiters sei zu berücksichtigen, dass er sich ehrenamtlich engagiert habe und Kontakt zu Einheimischen geknüpft habe. In der Interessenabwägung sei jedenfalls zu berücksichtigen, dass er sich um eine Integration aufrichtig bemüht gezeigt habe. Der Aufenthalt sei dennoch sehr kurz gewesen (drei Jahre). Die Integrationsschritte seien für diesen Zeitraum nicht außergewöhnlich herausragend. Die strafrechtliche Unbescholtenheit wirke weder zu seinen Gunsten noch zu seinen Lasten.

3.12.Die Abschiebung des Beschwerdeführers sei zulässig und die Frist für die freiwillige Ausreise sei mit 14 Tagen zu bemessen.

4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

4.1.Das angefochtene Erkenntnis enthalte keine hinreichend aktuellen Länderberichte. Das Bundesverwaltungsgericht komme zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative sowohl in Kabul und Mazar-e Sharif als auch in Herat offenstehe. Es lasse die aktuellen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom gänzlich außer Acht; dieser Bericht führe jedoch aus, dass Zivilisten in Kabul tagtäglich Gefahr liefen, Opfer der in Kabul bestehenden Gefahren zu werden. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass nach diesen Richtlinien eine interne Schutzalternative in Kabul grundsätzlich nicht verfügbar sei. Zudem bejahe das Bundesverwaltungsgericht eine interne Schutzalternative in Herat und Mazar-e Sharif ohne Weiteres, obwohl sich auch zu diesen Städten Feststellungen in den UNHCR-Richtlinien vom befänden. Diese berücksichtige das Bundesverwaltungsgericht nicht; ebenso wenig habe es sich nachvollziehbar mit der sicheren Erreichbarkeit dieser Städte für den Beschwerdeführer auseinandergesetzt. Es drohe dem Beschwerdeführer eine Gefahr der Verletzung seiner Rechte aus Art 2 EMRK und Art 3 EMRK.

4.2.Entgegen der Ausführungen der belangten Behörde sei es auch nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer eine finanzielle Unterstützung von seiner im Ausland lebenden Familie erhalten sollte. Tatsächlich sei er im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan völlig auf sich allein gestellt. Zudem sei unberücksichtigt geblieben, dass die hohe Zahl der Rückkehrer nach Afghanistan eine gravierende Belastung in Afghanistan darstelle. Die Entscheidung sei somit, soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise beziehe, mit Willkür behaftet und aufzuheben.

4.3.Außerdem sei das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft habe darlegen können, dass ihm Verfolgung drohe. Die konkrete Situation des Beschwerdeführers habe es dabei aber außer Acht gelassen; das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unberücksichtigt geblieben. Die westliche Orientierung, sein Aufenthalt im Iran und der iranische Akzent des Beschwerdeführers hätten in die Beurteilung einbezogen werden müssen. Das Leben in Afghanistan sei dem Beschwerdeführer völlig fremd. Er würde in Afghanistan sofort als "Rückkehrer" aus dem Westen erkannt werden. Auch die Umstände, dass er keine Familienangehörigen in Afghanistan habe, der Volksgruppe der Hazara angehöre, keinerlei soziales Netzwerk und keinen finanziellen Rückhalt habe, mache ihn besonders angreifbar. Auch das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, dass es Übergriffe auf rückkehrende Hazara in Afghanistan gebe und Diskriminierungen festgestellt werden könnten. Soweit sich die Entscheidung auf die Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beziehe, sei sie somit mit Willkür behaftet und aufzuheben.

5.Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und verwies auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.

6.Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Verwaltungsakten vor.

II.Erwägungen

1.Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.

2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.2.Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass es einen wesentlichen Aspekt der Begründung der Entscheidung hinsichtlich der (Nicht)zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten darstellt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage auseinandersetzt, wie der Beschwerdeführer sicher in ein Gebiet im Herkunftsstaat, das das Bundesverwaltungsgericht als innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer annimmt, gelangen kann ( ua; , E2002/2014; , E3870/2018). Die sichere Erreichbarkeit des als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebietes, in Bezug auf welches dem Beschwerdeführer nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes eine Rückkehr möglich und zumutbar ist, muss in der Begründung des Erkenntnisses dargestellt werden. Fehlt dies, liegt darin – trotz vorhandener Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in den als innerstaatliche Fluchtalternativen angegebenen Orten – ein Fehler, der die verwaltungsgerichtliche Entscheidung mit Willkür belastet (vgl dazu etwa ).

3.3.Im vorliegenden Fall stützt das Bundesverwaltungsgericht seine abweisende Entscheidung hinsichtlich des subsidiären Schutzes darauf, dass der Beschwerdeführer zwar auf Grund der Sicherheitslage nicht nach Kabul zurückkehren könne, weil davon auszugehen sei, dass er dort hoher Gefahr ausgesetzt würde, Opfer eines Anschlages zu werden. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt allerdings an, diese Gefahr bestehe in den Städten Herat und Mazar-e Sharif nicht, weshalb dem Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der individuellen Umstände eine Ansiedlung in diesen beiden Städten möglich und auch zumutbar sei.

3.4.Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, der Beschwerdeführer werde "bei einer Rückführung in Kabul landen". "Aufgrund der Verbindungsmöglichkeiten" gehe das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass er nach "Herat und Mazar-e Sharif weiterreisen wird". Das Bundesverwaltungsgericht erwägt weiter, "dass die Verbindungsmöglichkeiten zu diesen Städten bestehen", ergebe sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Kabul sei "aus heutiger Sicht nicht so unsicher, dass jede Minute oder jede Stunde dort ein Anschlag erfolgen" müsse. Der Beschwerdeführer befinde sich auf Grund "der Weiterreise" in die beiden Städte "nur zur Durchreise in Kabul" und insofern sei Kabul "sicher genug um eine Durchreise gefahrlos bewerkstelligen zu können." Die – in der entsprechenden Begründungspassage des Bundesverwaltungsgerichtes in Bezug genommenen – im Erkenntnis abgedruckten Länderinformationen geben an, dass es Busverbindungen zwischen Kabul und Herat sowie zwischen Kabul und Mazar-e Sharif gebe. Daraus erschließt sich, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer von Kabul aus auf dem Landweg nach Herat oder Mazar-e Sharif reisen wird. Eine Auseinandersetzung mit der Sicherheit dieser Verbindungen unterbleibt aber sowohl in den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes als auch in den verwiesenen Länderinformationen zur Gänze.

3.5.Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; ; , U2557/2012; , U1159/2012 ua; , E1542/2014; , E1641/2016; , E1796/2016; , E2124/2017; vgl zuletzt insbesondere ).

3.6.Im vorliegenden Fall stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellungen, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in Herat und Mazar-e Sharif möglich und zumutbar sei, auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation auf dem Stand vom , auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom bzw vom sowie hinsichtlich des Ausschlusses der Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative auf die entsprechende Passage der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom .

3.7.Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass eine aktuelle und spezifische Information betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers, der im Iran geboren und aufgewachsen ist, vorliegt. Die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 enthält eine spezifische Beurteilung für jene Gruppe von Rückkehrern, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben:

Aus dem Bericht des EASO geht hervor, dass für die genannte Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).

3.8.Indem das Bundesverwaltungsgericht diese – zum Entscheidungszeitpunkt bereits veröffentlichte – maßgebliche Information nicht berücksichtigt, hat es seine Entscheidung auf veraltete Länderberichte gestützt und damit die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen (vgl erneut ).

3.9.Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 und 3 EMRK schon aus diesen Gründen als verfassungswidrig. Soweit die Entscheidung sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

4.Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.1.Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.2.Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Fragen, ob das Vorbringen rechtmäßig als unglaubwürdig bewertet wurde und ob das Bundesverwaltungsgericht in jeder Hinsicht hinreichend auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände eingegangen ist, insoweit nicht anzustellen.

4.3.Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E236.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

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