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VfGH vom 04.12.2017, E230/2016 ua

VfGH vom 04.12.2017, E230/2016 ua

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall; Abweisung der Beschwerde des minderjährigen Drittbeschwerdeführers

Spruch

I.Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind durch das von ihnen angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Drittbeschwerdeführer ist durch das von ihm angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.

III.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.488,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.Die beschwerdeführenden Parteien sind österreichische Staatsangehörige; die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin leben seit dem Jahr 2012 miteinander in eingetragener Partnerschaft und sind die Eltern des – in dieser Beziehung aufwachsenden – minderjährigen Drittbeschwerdeführers. Gemeinsam beantragten sie am beim Magistrat der Stadt Wien die Einleitung des Verfahrens zur Ermittlung der Ehefähigkeit, die Zulassung der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin zur Begründung einer Ehe, die Beurkundung der Begründung dieser Ehe und die Ausstellung je einer Heiratsurkunde für die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin sowie den bescheidmäßigen Abspruch über diese Anträge. Mit Bescheid vom wies die angerufene Verwaltungsbehörde diese Anträge ab.

Das Verwaltungsgericht Wien wies die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 44 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS 946/1811, ab (hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers mit der Abänderung, dass die Anträge zurückgewiesen werden).

Diese Entscheidungen bekämpfen die beschwerdeführenden Parteien mit der vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde, in der sie die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Schließung einer Ehe (Art12 EMRK) und auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung auf Grund des Geschlechtes und der sexuellen Orientierung (Art2 StGG; Art 7 B-VG; Art 8, 12 und 14 EMRK) wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behaupten, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragen und die Prüfung näher bezeichneter Wortfolgen in § 44 ABGB, JGS 946/1811, durch den Verfassungsgerichtshof anregen.

Der Drittbeschwerdeführer sieht neben den von der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten insbesondere auch sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art 13 EMRK verletzt. Als zwangsweise uneheliches Kind sei er vom Eheverbot seiner Eltern selbst betroffen, während ihm die zurückweisende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien das Recht auf eine Beschwerde gegen seine aus dem bekämpften Eheverbot folgende Stigmatisierung und Segregation genauso abspreche wie auf eine inhaltliche Begründung.

2.Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "verschiedenen Geschlechtes" in § 44 ABGB, JGS 946/1811, und des EPG, BGBl I 135/2009 idF BGBl I 25/2015, ein. Mit Erkenntnis vom , G258-259/2017, hob er diese Regelungen teilweise als verfassungswidrig auf.

3.Die Beschwerde ist hinsichtlich der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin begründet.

Das Verwaltungsgericht Wien hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin nachteilig war.

Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wurden also durch das von ihnen in Beschwerde gezogene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

4.Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers ist die Beschwerde nicht begründet:

Ob Kindern Parteistellung in Verfahren zur Ermittlung der Ehefähigkeit ihrer Eltern, zu deren Eheschließung und zur Beurkundung der Ehe zukommt, stellt grundsätzlich eine im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichtshofs gelegene Frage dar (vgl. dazu im Zusammenhang mit der vorliegenden Konstellation ; , Ra 2016/01/0063). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dem Verwaltungsgericht Wien nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass es sich bei der Erklärung, eine Ehe eingehen zu wollen, um die Ausübung eines höchstpersönlichen Rechts handelt. Auch wenn die Frage, ob seine Eltern verheiratet sind, für das gemeinsame Kind wesentliche Bedeutung hat, die gleichheitsrechtlich von Relevanz ist, führt dies nicht dazu, dass der Gesetzgeber dem Kind im Verfahren über den Antrag seiner Eltern, eine Ehe eingehen zu wollen, ein subjektives Recht auf Durchsetzung eines derartigen Antrags und damit Parteistellung zuerkennen muss. Der Gesetzgeber kann vielmehr die Durchsetzung dieses höchstpersönlichen Rechts grundsätzlich in der Rechtsmacht der Rechtsträger belassen (und das Kind damit zur Bekämpfung allfälliger Rechtsnachteile auf andere Wege verweisen). Das Verwaltungsgericht Wien hat daher den von ihm angewendeten Rechtsvorschriften in Bezug auf den Drittbeschwerdeführer auch keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt.

Anhaltspunkte für ein sonst in die Verfassungssphäre reichendes Fehlverhalten des Verwaltungsgerichts Wien werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind im Verfahren auch nicht hervorgekommen.

Der Drittbeschwerdeführer ist daher durch das von ihm in Beschwerde gezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien weder in den von ihm geltend gemachten noch in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

5.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Auch die Beschwerde des Drittbeschwerdeführers hat die amtswegige Prüfung einer Norm – mit Erfolg – angeregt und dadurch zur Bereinigung der Rechtslage beigetragen; es sind daher auch ihm gegenüber Kosten zuzusprechen (vgl. VfSlg 17.089/2003). Da die gegen gleichartige Entscheidungen gerichtete Beschwerde im Zuge einer gemeinsamen Rechtsvertretung eingebracht wurde, ist insgesamt nur der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (zB VfSlg 17.317/2004, 17.482/2005, 19.404/2011, 19.709/2012). In den zugesprochenen Kosten sind demgemäß ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 327,– sowie entrichtete Eingabegebühren in Höhe von € 480,– und Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E230.2016
Schlagworte:
VfGH / Anlassfall, Zivilrecht, Eherecht, Parteistellung, Ehe und Verwandtschaft, Rechte höchstpersönliche, VfGH / Kosten

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