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VfGH vom 06.06.2014, E230/2014

VfGH vom 06.06.2014, E230/2014

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch einen Beschluss eines Landesverwaltungsgerichtes über die Zurückweisung der Beschwerde einer Mitbewerberin um die Leiterstelle an einer Volksschule; Parteistellung der in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber; keine Änderung dieser Auffassung nach Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin steht als Lehrerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich. Sie bewarb sich für die im Verordnungsblatt des Landesschulrates für Niederösterreich vom , Stück 5, ausgeschriebene Leiterstelle an der Volksschule Loosdorf. Die Beschwerdeführerin wurde in den Besetzungsvorschlag sowohl des Bezirksschulrates (als an zweite Stelle gereihte) als auch des Landesschulrates (als an erste Stelle gereihte) aufgenommen. Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landeslehrerkommission für allgemeinbildende Pflichtschulen vom wurde die Leiterstelle an eine Mitbewerberin verliehen (Spruchpunkt I) und die Bewerbung der Beschwerdeführerin abgewiesen (Spruchpunkt II).

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem die Leiterbestellung an einer der im § 26 Abs 1 LDG 1984 genannten Schulen in Niederösterreich betreffenden Beschluss vom , Zl. 2003/12/0013, ausführlich dargelegt, dass einem Bewerber um die Verleihung einer (schulfesten) Leiterstelle mangels rechtlicher Verdichtung Parteienstellung auf Grund eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses im Sinne des § 8 AVG nicht zukommt. Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschluss ebenfalls ausgeführt hat, kommt zwar einem in den Dreiervorschlag aufgenommenen Bewerber im Licht des Art 81b B VG eine andere Rechtsposition zu als allfälligen sonstigen, nicht im Vorschlag berücksichtigten Bewerbern, das daraus ableitbare Recht des aufgenommenen Bewerbers erschöpft sich aber darin, dass nur ein in den Dreiervorschlag aufgenommener Bewerber ernannt wird.

Angesichts der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes steht der Beschwerdeführerin kein rechtliches Interesse nach § 8 AVG zu, das mit Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG gegen den Verleihungsbescheid verfolgt werden könnte."

3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"Das Verwaltungsgericht stützt sich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Bewerber um Schulleiterstellen iSd § 26 LDG 1984 keine Parteistellung haben. Diese Judikatur jedoch ist verfassungswidrig, nach der Judikatur des für die Wahrung des Verfassungsrechtes zuständigen Hohen Verfassungsgerichtshofes kommt in derartigen Verfahren jenen Bewerbern Parteistellung zu, die in einer der Dreiervorschläge der Kollegien des Bezirksschulrates oder des Landesschulrates aufgenommen wurde. Dieses Erfordernis ist in meinem Fall unbestritten erfüllt. Gemäß der ständigen Judikatur des Hohen Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 19061 uva.) werde ich somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt."

4. Sowohl die Niederösterreichische Landeslehrerkommission für allgemeinbildende Pflichtschulen als auch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legten die Verwaltungsakten vor, sahen jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Rechtslage

1. Der § 26 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz – LDG 1984, BGBl 302, idF BGBl I 55/2012, lautet wie folgt:

"Schulleiter

§26. (1) Leiterstellen der Volksschulen, der Neuen Mittelschulen, der Hauptschulen und der als selbstständige Schulen geführten Sonderschulen und Polytechnischen Schulen sowie der Berufsschulen sind - ausgenommen im Falle des Diensttausches (§20) von Inhabern solcher Stellen oder im Falle von Betrauungen gemäß § 27 Abs 2 letzter Satz - im Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren zu besetzen.

(2) Die freigewordenen Leiterstellen, ausgenommen die durch Betrauungen gemäß § 27 Abs 2 letzter Satz gebundenen, sind ehestens, längstens jedoch innerhalb von sechs Monaten nach Freiwerden, in den zur Veröffentlichung amtlicher Mitteilungen der ausschreibenden Behörde bestimmten Verlautbarungsblättern auszuschreiben.

(3) Leiterstellen, die durch Übertritt ihres Inhabers in den Ruhestand (§11) oder wegen Versetzung in den Ruhestand (§§12 bis 13b) frei werden, sind, außer es soll eine Betrauung gemäß § 27 Abs 2 letzter Satz erfolgen, so zeitgerecht auszuschreiben, dass sie nach Möglichkeit im Zeitpunkt des Freiwerdens besetzt werden können.

(4) Die Bewerbungsgesuche sind innerhalb der Bewerbungsfrist, die nicht kürzer als zwei Wochen sein darf, im Dienstweg einzureichen. Die Zeit der Hauptferien ist in diese Frist nicht einzurechnen. Nicht rechtzeitig eingereichte Bewerbungsgesuche gelten als nicht eingebracht.

(5) Für jede einzelne ausgeschriebene Stelle sind von den landesgesetzlich hiezu berufenen Organen aus den Bewerbungsgesuchen Besetzungsvorschläge zu erstatten.

(6) In jeden Besetzungsvorschlag sind bei mehr als drei Bewerbern drei, bei drei oder weniger solchen Bewerbern alle diese Bewerber aufzunehmen und zu reihen. Bei der Auswahl und Reihung ist zunächst auf die in der Ausschreibung allenfalls angeführten zusätzlichen fachspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten, dann auf die Leistungsfeststellung und auf die in dieser Schulart zurückgelegte Verwendungszeit Bedacht zu nehmen. Die Landesgesetzgebung kann hiezu nähere Bestimmungen erlassen, wobei zusätzliche Auswahlkriterien festgelegt werden können. Weiters können die vorschlagsberechtigten Kollegien der Schulbehörden des Bundes in den Ländern nähere Bestimmungen sowie zusätzliche Auswahlkriterien durch Richtlinien für die Erstellung ihrer Besetzungsvorschläge festlegen, wobei allfällige landesgesetzliche Vorschriften zu beachten sind. Bei weniger als drei geeigneten Bewerbern kann die neuerliche Ausschreibung der Stelle vorgeschlagen werden.

(7) Die Leiterstelle kann von der zur Verleihung zuständigen Behörde nur einem in den Besetzungsvorschlag, sofern jedoch mehrere Besetzungsvorschläge landesgesetzlich vorgesehen sind, in alle Besetzungsvorschläge aufgenommenen Bewerber verliehen werden.

(8) Die Verleihung hat erforderlichenfalls unter gleichzeitiger Ernennung oder unter gleichzeitiger Zuweisung an die betreffende Schule oder unter gleichzeitiger Ernennung und Zuweisung zu erfolgen.

(9) Unterbleibt die Verleihung der ausgeschriebenen Stelle, so ist diese bis zur ordnungsgemäßen Besetzung im Bewerbungsverfahren weiterhin auszuschreiben.

(10) Das Besetzungsverfahren ist unverzüglich durchzuführen."

2. § 3 NÖ Landeslehrer-Diensthoheitsgesetz 1976, LGBl für Niederösterreich 2600-0, idF LGBl für Niederösterreich 2600-11, lautet:

"§3

Zuständigkeit der Landeslehrerkommission

(1) Der Landeslehrerkommission (§§8 bis 12) obliegt

a) die Ernennung im Dienstverhältnis (§8 LDG 1984) und

b) die Verleihung von Leiterstellen (§26 LDG 1984), erforderlichenfalls unter gleichzeitiger Ernennung oder unter gleichzeitiger Zuweisung an die betreffende Schule oder unter gleichzeitiger Ernennung und Zuweisung.

(2) Vor Maßnahmen nach Abs 1 für Landeslehrer für allgemeinbildende Pflichtschulen ist ein Vorschlag des Bezirksschulrates (Kollegium) und des Landesschulrates (Kollegium) einzuholen.

(3) Die Landeslehrerkommission kann die Ernennung im Dienstverhältnis oder die Verleihung einer Leiterstelle nur an einen Bewerber vornehmen, der sowohl im Vorschlag des Bezirksschulrates als auch im Vorschlag des Landesschulrates enthalten ist.

(4) Vor Maßnahmen nach Abs 1 für Landeslehrer für berufsbildende Pflichtschulen ist ein Vorschlag des Landesschulrates (Kollegium) und des Gewerblichen Berufsschulrates einzuholen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes u.a. dann verletzt, wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa in dem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (vgl. zur bisherigen Rechtsprechung zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen (vgl. zB 12.556/1990, 13.703/1994, 15.926/2000, 19.061/2010, zuletzt ) ausgesprochen hat, kommt den Bewerbern im Verfahren zur Verleihung einer Leiterstelle Parteistellung iSd § 3 Dienstrechtsverfahrensgesetz 1984 DVG – vgl. hinsichtlich der Parteistellung auch von Lehrpersonen nach dem Vertragsbedienstetengesetz 1948 VBG zB – zu, wenn sie in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommen wurden. Die Aufnahme in einen solchen Besetzungsvorschlag berührt das Dienstverhältnis der Bewerber und verleiht ihnen Parteistellung. Die in einen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber bilden, wie der Verfassungsgerichtshof gleichfalls wiederholt dargelegt hat, eine Verwaltungsverfahrensgemeinschaft (s. etwa VfSlg 12.868/1991, 15.832/2000, 15.926/2000); sie haben ein Recht auf Teilnahme an dem durch den Besetzungsvorschlag konkretisierten Verwaltungsverfahren. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann die Verwaltungsbehörde nicht als befugt angesehen werden, durch einen der Rechtskontrolle nicht unterworfenen Verleihungsakt unter den in den gesetzlich vorgesehenen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbern eine Auswahl zu treffen (vgl. zB VfSlg 12.782/1991).

1.3. An dieser Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist auch nach Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, BGBl I 51/2012, weiterhin festzuhalten, weil sich am Verfahren betreffend die Verleihung einer Leiterstelle gemäß § 26 LDG 1984 und damit auch hinsichtlich der Parteistellung in diesem Verfahren nichts geändert hat. Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind auf Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG nämlich die Bestimmungen des § 3 DVG iVm § 8 AVG anzuwenden; damit kommt den im Verfahren zur Verleihung einer Leiterstelle in einen – verbindlichen – Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbern auch im Verfahren vor den Verwaltungsgericht Parteistellung zu.

1.4. Die Beschwerdeführerin war in den (verbindlichen) Besetzungsvorschlag sowohl des Bezirksschulrates als auch des Landesschulrates aufgenommen. Daher kam ihr im Verfahren zur Verleihung der Schulleiterstelle Parteistellung zu.

1.5. Da das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit der bekämpften Entscheidung die Parteistellung verneinte und ihre Berufung als unzulässig zurückwies, verweigerte das Landesverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin gegenüber somit zu Unrecht eine Sachentscheidung (vgl. dazu zB VfSlg 18.095/2007, 19.670/2012). Die Beschwerdeführerin wurde daher durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

2. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:E230.2014