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OGH vom 18.07.2017, 10ObS73/17h

OGH vom 18.07.2017, 10ObS73/17h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Neumaier (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader, Rechtsanwälte in Graz, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 25/17a-9, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die beklagte Gebietskrankenkasse erkannte der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom das pauschale Kinderbetreuungsgeld anlässlich der Geburt ihrer Tochter am für den Zeitraum von bis in Höhe von 14,53 EUR täglich zu. Am wurde ihr mitgeteilt, dass im Zeitraum von bis kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe, weil in diesem Zeitraum kein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind bestanden habe. Der Leistungsanspruch wurde mit bis und bis angegeben.

Mit Bescheid vom wurde die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von bis widerrufen und die Klägerin zur Rückzahlung des Kinderbetreuungsgeldes im Ausmaß von 821,21 EUR verpflichtet. Als Begründung wurde angegeben, dass in der Zeit von bis die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten nicht erfüllt sei. Da das Kinderbetreuungsgeld nur in Blöcken von jeweils mindestens zwei Monaten beansprucht werden könne und auch kein unvorhersehbares Ereignis vorliege, das einen Verbrauch eines kürzeren Mindestanspruchs rechtfertige (§ 5 Abs 4 KBGG), werde das für den Zeitraum von bis in der Höhe von 828,21 EUR zu Unrecht ausbezahlte Kinderbetreuungsgeld rückgefordert.

Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid rechtzeitig mit dem Begehren, es werde festgestellt, dass sie Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von bis in der gesetzlichen Höhe habe und nicht zur Rückzahlung des Kinderbetreuungsgeldes im Ausmaß von 828,21 EUR verpflichtet sei.

Das gab dem Klagebegehren statt. Der Rückforderungstatbestand nach § 31 Abs 2 KBGG (idF BGBl I 2013/117) sei nicht erfüllt. Mit dem Bescheid vom sei lediglich eine neue rechtliche Beurteilung bereits bekannter Tatsachen vorgenommen worden. Eine rückwirkend festgestellte Tatsache im Sinn des § 31 Abs 2 KBGG liege aber dann nicht vor, wenn dem Versicherungsträger bei der Gewährung bereits alle maßgebenden Umstände bekannt waren und er erst nachträglich die Unrichtigkeit der Gewährung– beispielsweise wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung – bemerkte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Da der Klägerin mangels gemeinsamer Hauptwohnsitzmeldung mit ihrer Tochter (unstrittig) kein Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von bis zugestanden sei, habe der davor liegende Bezugszeitraum zwei Monate unterschritten. Allerdings sei das Erfordernis der mindestens zweimonatigen Bezugsdauer (§ 5 Abs 4 KBGG) nur unmittelbar vor oder nach einem Bezugswechsel zum zweiten Elternteil gegeben, um eine unangemessen kurze Bezugsdauer dieser Person zu verhindern. Im vorliegenden Fall habe an den unter zwei Monate andauernden Bezugszeitraum anschließend kein Bezugswechsel zum Vater stattgefunden, vielmehr sei eine Bezugslücke vorgelegen und habe die Klägerin nach Ummeldung des Hauptwohnsitzes ihrer Tochter das Kinderbetreuungsgeld ab bis weiter bezogen. Dadurch sei die maßgebliche Mindestbezugsdauer von zwei Monaten vor dem Bezugswechsel zum Vater mit überschritten, sodass der Kinderbetreuungsgeldbezug im Zeitraum von bis rechtmäßig erfolgt sei. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil Gegenstand des Verfahrens die Anwendung bereits vorhandener Rechtsprechung auf einen Einzelfall sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

1. Nach dem gemäß § 50 Abs 15 KBGG seit in Geltung stehenden und im Revisionsverfahren bereits anzuwendenden (RISJustiz RS0106868) Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 KBGG in der Fassung der Novelle BGBl I 2016/53, ist – anders als nach der bisherigen Rechtslage – bei jeder irrtümlichen Zuerkennung einer Leistung infolge eines Behördenfehlers eine Rückforderung zulässig (zur Frage der Verfassungsgemäßheit dieser Regelung siehe Sonntag, KBGG2 § 31 KBGG Rz 10b ff; Sonntag in ASoK 2017, 2 [7]). Im vorliegenden Fall ist auf § 31 Abs 2 KBGG in der Fassung der Novelle BGBl I 2016/53 aber nicht näher einzugehen, weil (materiell) keine Rechtsgrundlage für eine Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von bis besteht:

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung zu § 5 KBGG (in der auch hier gemäß § 50 Abs 14 KBGG noch anwendbaren Fassung BGBl I 2009/116) trifft die Ansicht, dass kein kürzerer Bezugszeitraum als jeweils zwei Monate vorliegen dürfe, nur auf den Bezugswechsel zu, nicht aber auf den Bezug durch einen Elternteil allein. Nur für den Bezugswechsel zwischen den beiden Elternteilen muss eine mindestens zweimonatige Bezugsdauer vorliegen und können Zeiten des tatsächlichen Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes eine Bezugsverlängerung beim anderen Elternteil bewirken. Eine generelle Ausweitung der Mindestbezugsdauer geht aus § 5 Abs 4 KBGG nicht hervor (10 ObS 3/13h, SSV-NF 27/12; 10 ObS 14/13a mwN; 10 ObS 115/13d = RIS-Justiz RS0128640 [T4]). Der Zweck der mindestens zweimonatigen Bezugsdauer liegt darin, eine unangemessen kurze Bezugsdauer eines Elternteils zu verhindern (10 ObS 3/13h, SSV-NF 27/12). Der Aufwand einer neuerlichen Prüfung, der mit der Antragstellung durch den zweiten Elternteil verbunden ist, ist nur dann gerechtfertigt, wenn diese Person die Leistung zumindest zwei Monate lang beansprucht. An sich würde das Erfordernis eines tatsächlichen mindestens zweimonatigen Bezugs im Fall des Bezugswechsels auch für den „ersten“ Elternteil gelten (10 ObS 106/13f, SSV-NF 27/63).

2.2 Dass die zweimonatige Mindestbezugsdauer zeitlich gesehen unmittelbar vor bzw unmittelbar nach dem Bezugswechsel gelagert sein muss, ergibt sich implizit bereits aus allen bisher zum Bezugswechsel ergangenen Entscheidungen.

2.3 Mit dieser Rechtsprechung steht die Ansicht des Berufungsgerichts in Einklang, die Klägerin habe durch den an die Bezugslücke anschließenden Bezug des Kinderbetreuungsgeldes im Zeitraum von bis das Erfordernis der zweimonatigen Mindestbezugsdauer vor dem Bezugswechsel erfüllt, weshalb die Rückforderung des vor der Bezugslücke im Zeitraum von bis an sie ausbezahlten Kinderbetreuungsgeldes nicht in Betracht kommt.

3.1 Wie die Revisionswerberin vorbringt, wird durch die neue Regelung des § 3 Abs 5 KBGG idF der Novelle BGBl I 2016/53 die Mindestbezugsdauer nunmehr auf alle Eltern ausgeweitet. Nach der neuen Rechtslage kann das Kinderbetreuungsgeld stets – also unabhängig von einem Wechsel – jeweils nur in Blöcken von mindestens 61 Tagen beansprucht werden, wobei als beansprucht ausschließlich Zeiträume des tatsächlichen Bezugs der Leistung gelten.

3.2 § 3 Abs 5 KBGG idF der Novelle BGBl I 2016/53 trat mit in Kraft und gilt für Geburten nach dem (§ 50 Abs 14 KBGG idF BGBl I 2016/53). Diese Regelung ist daher auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar. In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 5) wird darauf hingewiesen, dass die Mindestbezugsdauer „wie bisher unabhängig davon, ob ein Elternteil ... allein bezieht oder ein abwechselnder Bezug erfolgt bzw erfolgen wird“, jeweils 61 Tage pro Bezugsblock beträgt.

4. Da die Gesetzesmaterialien weder das Gesetz selbst sind noch dieses authentisch interpretieren, kann ein Rechtssatz, der ausschließlich in den Gesetzesmaterialien steht, auch nicht im Weg der Auslegung Geltung erlangen (RIS-Justiz RS0008799). Die Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl I 2016/53 bieten daher keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung zu § 5 KBGG (in der Fassung BGBl I 2009/116) abzugehen, mag dort auch auf die „alte Rechtslage“ Bezug genommen und ausgeführt werden, die Mindestbezugsdauer habe jeweils (ununterbrochen) 61 Tage pro Bezugsblock zu betragen, dies „wie bisher“ unabhängig davon, ob ein Elternteil (leiblicher Elternteil, Adoptiv- oder Pflegeelternteil) alleine bezieht oder ein abwechselnder Bezug erfolgt bzw in Zukunft erfolgen wird (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 5).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00073.17H.0718.000
Schlagworte:
Sozialrecht

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