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OGH vom 24.06.2020, 10ObS72/20s

OGH vom 24.06.2020, 10ObS72/20s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 21/20d-17, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die Klägerin gebar am ihre Tochter und lebt mit dieser im gemeinsamen Haushalt in Österreich. Die Klägerin und ihre Tochter sind österreichische Staatsbürgerinnen und haben den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Österreich. Die Klägerin hat alle MutterKindPassUntersuchungen vornehmen lassen und der Beklagten rechtzeitig gemeldet.

Der Vater der Tochter lebt von der Klägerin und der Tochter getrennt in der Schweiz. Er ist in der Schweiz unselbständig erwerbstätig.

Die Klägerin bezog bis zum Wochengeld und bis zu diesem Zeitpunkt die österreichische Familienbeihilfe als Primärleistung. Seit September 2019 hat die Klägerin für ihre Tochter Anspruch auf eine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag. Dieser Anspruch wurde vom Finanzamt Feldkirch mit Mitteilung vom (richtig:) bekanntgegeben und von der Klägerin seither bezogen. Seit arbeitet die Klägerin als geringfügig Beschäftigte.

Der Vater erhielt für Juni bis August 2019 Ausgleichszahlungen in der Schweiz und ab September 2019 die schweizerische Familienzulage (Kinderzulage) als Primärleistung.

Die Klägerin beantragte aus Anlass der Geburt ihres Kindes am das Kinderbetreuungsgeld als Konto für 548 Tage von Geburt bis zur höchstmöglichen Bezugsdauer ( bis ).

Mit vom lehnte die Vorarlberger Gebietskrankenkasse diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs 8 KBGG nicht erfüllt seien, weil die Klägerin die Familienbeihilfe nicht selbst beziehe. Die schweizerische Kinderzulage werde an den Vater der Tochter gezahlt.

Die begehrte mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld als Konto vom bis zum in Höhe von 22,57 EUR täglich. Die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe gelte gemäß § 4 Abs 6 FLAG als Familienbeihilfe. Der Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe und der tatsächliche Bezug dieser Ausgleichszahlung durch die Klägerin reichten zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 2 Abs 1 Z 1 KBGG aus.

Die wandte dagegen ein, dass Österreich im vorliegenden Fall zur Gewährung von Familienleistungen gegenüber der Schweiz nur nachrangig zuständig sei. Bei getrennt lebenden Elternteilen müssten in einem Fall wie dem vorliegenden beide Leistungsteile, also die schweizerische Kinderzulage und die Ausgleichszahlung zur österreichischen Familienbeihilfe von jenem Elternteil bezogen werden, der das Kinderbetreuungsgeld beanspruche. Die Klägerin beziehe jedoch nicht die schweizerische Kinderzulage, sodass die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG iVm § 2 Abs 8 KBGG nicht erfüllt seien.

Das erkannte der Klägerin pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto für den Zeitraum von bis in Höhe von 22,57 EUR täglich zu. Die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG sei erfüllt: Die vom Vater der Tochter getrennt lebende Klägerin habe die Familienbeihilfe als Primärleistung bis zum Ende des Wochengeldanspruchs bezogen. Ab September 2019 erhalte sie die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe gemäß § 4 Abs 2 FLAG, welche gemäß § 4 Abs 6 FLAG als Familienbeihilfe gelte.

Das billigte diese Rechtsansicht und gab der von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer zeigt die beklagte Österreichische Gesundheitskasse keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Der – hier allein geltend gemachte – Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO liegt nur vor, wenn aufgezeigt wird, dass der Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt wurde (RS0043312). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

2. Das Erstgericht stellte – unangefochten – fest, dass die Klägerin für ihre Tochter nicht nur seit September 2019 einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag hat, sondern dass dieser Anspruch von der Klägerin auch – tatsächlich – bezogen wird.

3. Dagegen führt die Beklagte nun erstmals in der Revision aus, dass die Klägerin den Kinderabsetzbetrag bezogen habe, nicht aber eine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe, weil die vergleichbare schweizerische Leistung, die vom Vater des Kindes bezogene Kinderzulage, höher gewesen sei als die österreichische Familienbeihilfe.

4. Mit diesen Ausführungen weicht die beklagte Österreichische Gesundheitskasse jedoch in unzulässiger Weise von den Sachverhaltsfeststellungen ab. Die Revision ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt (ebenso jüngst zu einem ähnlichen Sachverhalt: 10 ObS 32/20h). Dass die Klägerin nicht die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe, sondern nur den Kinderabsetzbetrag erhalten habe, hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht behauptet. In der Berufung führt sie sogar ausdrücklich aus, dass die Klägerin die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe erhalten habe (S 4). Zu der von der Klägerin vorgelegten Mitteilung des Finanzamts „über den Bezug der Ausgleichszahlung“ vom (Beil ./I) gestand die Beklagte die Echtheit der Urkunde zu, zur inhaltlichen Richtigkeit verwies sie auf das eigene Vorbringen. Diese Mitteilung enthält jedoch keine Beträge, sondern nur Ausführungen über die Berechnung der Ausgleichszahlung.

5. Gegen die die Klagestattgebung tragende Begründung des Berufungsgerichts, dass sich schon aus dem Wortlaut des § 4 Abs 6 FLAG ergebe, dass der festgestellte Bezug der Ausgleichszahlung als Familienbeihilfe im Sinn des Familienlastenausgleichsgesetzes gelte, sodass auch die Anforderungen des § 2 Abs 8 KBGG für die Anspruchsberechtigung der Klägerin erfüllt seien, wendet sich die Rechtsmittelwerberin nicht. Denn sie führt zwar aus, dass die Klägerin gemäß § 2 Abs 8 KBGG die Familienbeihilfe in eigener Person beziehen müsse, verneint das Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzung aber nur (mehr) mit dem Argument, dass die Klägerin tatsächlich keine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe, sondern nur den Kinderabsetzbetrag bezogen habe, bei dem es sich um keine der schweizerischen Kinderzulage gleichartige Leistung handle. Unterlässt aber die außerordentliche Revision die Bekämpfung der Hauptbegründung des Berufungsgerichts, so vermag sie schon aus diesem Grund keine für die Entscheidung der Rechtssache erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen (RS0118709 [T4]).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00072.20S.0624.000

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Fundstelle(n):
VAAAE-12848