VfGH vom 03.12.2014, E1230/2014
Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters aufgrund der Inanspruchnahme einer dem Bundesverwaltungsgericht zukommenden Zuständigkeit durch ein Landesverwaltungsgericht hinsichtlich einer Beschwerde gegen eine Entscheidung nach dem UVP-G 2000
Spruch
I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Steiermark ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der beschwerdeführenden Gesellschaft wurde mit Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) vom die Errichtung der S 7 Fürstenfelder Schnellstraße, Abschnitt West, genehmigt (UVP-Genehmigungsbescheid). Dieser UVP-Genehmigungsbescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof in der Folge wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Ein Ersatzbescheid des BMVIT liegt bisher nicht vor. Auflage Nr 93 des später aufgehobenen UVP-Genehmigungsbescheids schrieb die Errichtung einer Hecke, dh. eine Aufforstung auf einer landwirtschaftlichen Grundfläche, vor. Am Ende der Auflage heißt es wörtlich:
"Gemäß § 6 des Gesetzes über den Schutz landwirtschaftlicher Betriebsflächen ist für die Aufforstung einer landwirtschaftlichen Grundfläche innerhalb eines 30 m breiten Streifens entlang einer angrenzenden landwirtschaftlichen Betriebsfläche eines anderen Eigentümers oder Nutzungsberechtigten eine behördliche Bewilligung einzuholen."
1.1. Mit Bescheid vom erteilte der Bezirkshauptmann von Fürstenfeld die Bewilligung zur Aufforstung zweier Grundstücksteile in der KG Altenmarkt. Gegen diesen Bescheid erhob die Bürgerinitiative "Allianz gegen die S 7" Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat Steiermark (UVS Steiermark). Am fand vor dem UVS Steiermark eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. In weiterer Folge wurde das Verfahren jedoch nicht bis zum beendet.
2. Auf Grundlage des § 3 Abs 7 Z 1 des Bundesgesetzes betreffend den Übergang zur zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz – VwGbk-ÜG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 122/2013, erklärte sich das Landesverwaltungsgericht Steiermark für zuständig, das vor dem UVS Steiermark anhängig gewordene Verfahren weiterzuführen und zu entscheiden. Mit Erkenntnis vom gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark der Berufung (nunmehr Beschwerde) der Bürgerinitiative "Allianz gegen die S 7" Folge und hob den angefochtenen Bescheid des Bezirkshauptmannes von Fürstenfeld vom , womit die Bewilligung zur Aufforstung erteilt wurde, mit folgender Begründung auf:
"Die Eingabe der ******* *** ********** **** vom stellte auf keinen anderen Zweck ab, als die Errichtung der Schnellstraße S 7 und wurden die Verträge vom und ausschließlich zum Bau dieser Schnellstraße – aus diesen Verträgen leitet sich erst die Antragslegitimation gemäß § 7 Abs 2 des Gesetzes zum Schutz landwirtschaftlicher Betriebsflächen aufgrund der Eigentumsübertragung ab – errichtet. Es kann somit nicht erkannt werden, dass der Antrag auf Aufforstung vom aus anderen Gründen gestellt wurde und daher nicht im Zusammenhang mit der Errichtung der Fürstenfelder Schnellstraße steht. Da auch die UVP im engeren Sinne nicht abgeschlossen ist, war dem Beschwerdebegehren stattzugeben, zumal dem Bescheid vom die notwendige Grundlage entzogen worden ist (vgl. )."
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B VG liege u.a. dann vor, wenn die Zuständigkeitsverteilung zwischen Behörden des Bundes und der Länder missachtet werde. Dies sei im vorliegenden Fall geschehen, indem sich das Landesverwaltungsgericht Steiermark zu Unrecht für zuständig erklärt habe. Mit der Einführung des Bundesverwaltungsgerichtes und der Verwaltungsgerichte der Länder sei eine Zuständigkeitsverteilung zwischen diesen Gerichten notwendig geworden, die u.a. mit Art 131 B VG vorgenommen worden sei. In Art 131 Abs 4 Z 2 lita B VG iVm Art 10 Abs 1 Z 9 B VG werde der Bundesgesetzgeber ermächtigt, in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung für Bundesstraßen die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes vorzusehen. Gestützt auf diese bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung erkläre nunmehr § 40 Abs 1 des Bundesgesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 — UVP-G 2000), BGBl 773/1996, idF BGBl I 95/2013, das Bundesverwaltungsgericht für alle Beschwerden gegen Entscheidungen nach dem UVP-G 2000 – ausgenommen Verwaltungsstrafsachen – für zuständig.
Die Einzelrichterin am Landesverwaltungsgericht Steiermark, die noch als Mitglied des UVS Steiermark das am UVS anhängig gewordene Verfahren und somit auch die mündliche Verhandlung am geführt habe, habe aus § 3 Abs 7 Z 1 VwGbk-ÜG fälschlich die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark abgeleitet. Regelungsinhalt dieser Bestimmung sei die Frage, ob ein Verwaltungsgericht im Sinne des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bestimmte Verfahrensschritte zu wiederholen habe. Hingegen regle diese Bestimmung nicht die Frage der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes oder der Verwaltungsgerichte der Länder. § 3 Abs 7 Z 1 VwGbK-ÜG habe mit der Zuständigkeitsfrage nicht das Geringste zu tun und derogiere demgemäß auch nicht den Bestimmungen des UVP-G 2000 über das zuständige Verwaltungsgericht. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark habe demnach als unzuständiges Gericht entschieden und sein Erkenntnis verletze die beschwerdeführende Gesellschaft somit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
4. Die belangte Behörde und das Landesverwaltungsgericht Steiermark legten die Verwaltungsakten vor, sahen jedoch beide von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
5. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 — UVP-G 2000), BGBl 697/1993, idF BGBl I 14/2014, lauten – auszugsweise – wie folgt:
"Rechtsmittelverfahren
§40. (1) Über Beschwerden gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht. Dies gilt nicht in Verfahren nach § 45.
(2)-(7) […]
[…]
Strafbestimmungen
§45. Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde zu bestrafen mit einer Geldstrafe
1. bis zu € 35 000, wer ein UVP-pflichtiges Vorhaben (§§3, 3a, 23a und 23b) ohne die nach diesem Bundesgesetz erforderliche Genehmigung (§§17, 24f) durchführt oder betreibt;
2. bis zu € 17 500, wer
a) das genehmigte Vorhaben nicht projektskonform oder ohne die erforderliche Änderungsgenehmigung (§§18b, 24g Abs 1) durchführt oder betreibt,
b) Nebenbestimmungen (Auflagen und sonstige Pflichten) nach § 17 Abs 2 bis 4 und 6, § 20 Abs 4, § 24f Abs 1, 2, 3, 5 und 6 sowie § 24h Abs 2 nicht einhält,
c) der Anzeigepflicht gemäß § 20 Abs 1 oder § 24h Abs 1 nicht nachkommt,
d) entgegen § 23 Abs 1 und 2 Erhebungen, Kontrollen oder Probenahmen nicht ermöglicht oder behindert oder Auskünfte nicht erteilt oder verlangte Unterlagen nicht zur Verfügung stellt."
6. Die maßgebliche Bestimmung des
7. Bundesgesetzes betreffend den Übergang zur zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz – VwGbk-ÜG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 122/2013, lautet – auszugsweise – wie folgt:
"Verwaltungsgerichte
§3. (1) Ist ein Bescheid, gegen den eine Berufung zulässig ist, vor Ablauf des erlassen worden, läuft die Berufungsfrist mit Ende des noch und wurde gegen diesen Bescheid nicht bereits bis zum Ablauf des Berufung erhoben, so kann gegen ihn vom 1. Jänner bis zum Ablauf des Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B VG beim Verwaltungsgericht erhoben werden.
(2)-(6) […]
(7) Mit Ablauf des bei den unabhängigen Verwaltungsbehörden anhängige Verfahren können von den Verwaltungsgerichten weitergeführt werden, wenn die Rechtssache in diesem Zeitpunkt
1. zur Zuständigkeit eines Senates der unabhängigen Verwaltungsbehörde gehört hat, danach zur Zuständigkeit des Senates oder des Einzelrichters eines Verwaltungsgerichtes gehört und alle Mitglieder dieses Senates bzw. der Einzelrichter dem Senat der unabhängigen Verwaltungsbehörde angehört haben bzw. hat;
2. zur Zuständigkeit eines einzelnen Mitglieds der unabhängigen Verwaltungsbehörde gehört hat, danach zur Zuständigkeit des Einzelrichters eines Verwaltungsgerichtes gehört und es sich um denselben Organwalter handelt.
(8) […]"
III. Erwägungen
8. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
9. Die Beschwerde macht die Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes u.a. dann verletzt, wenn das Gericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (vgl. zur bisherigen Rechtsprechung VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002).
1.1. Der Verfassungsgerichtshof kann es für die Beurteilung des Beschwerdevorbringens dahingestellt lassen, ob die angefochtene Entscheidung nach dem UVP-G oder nach dem Steiermärkischen Gesetz vom über den Schutz landwirtschaftlicher Betriebsflächen ergangen ist oder eine Beschwerde gegen einen Bescheid nach dem UVP-G zum Gegenstand hatte. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark stützt seine Zuständigkeit nämlich auf § 3 Abs 7 Z 1 VwGbk-ÜG. § 3 Abs 7 VwGbk-ÜG sieht die Weiterführung von mit Ablauf des vor den unabhängigen Verwaltungsbehörden – dazu zählt auch der UVS Steiermark – anhängigen Verfahren durch die Verwaltungsgerichte vor. Ein darüber hinausgehender Inhalt kann dieser Bestimmung nicht zugeschrieben werden; in keinem Fall handelt es sich dabei um eine Zuständigkeitsvorschrift. Welches Verwaltungsgericht sachlich zuständig ist, regelt die Bestimmung daher nicht.
1.2. Im vorliegenden Fall hatte das Landesverwaltungsgericht Steiermark über eine Beschwerde einer Bürgerinitiative nach § 24f Abs 8 iVm § 19 Abs 4 UVP-G gegen die Bewilligung einer Aufforstung einer landwirtschaftlichen Grundfläche in der Sache zu entscheiden. Nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark habe der Antrag auf Genehmigung der Wiederaufforstung keinen anderen Zweck gehabt als die Errichtung der Schnellstraße S 7 und seien die Verträge vom und ausschließlich zum Bau der Schnellstraße errichtet worden. Es könne somit nicht erkannt werden, dass der Antrag auf Aufforstung aus anderen Gründen gestellt worden sei und daher nicht im Zusammenhang mit der Errichtung der Fürstenfelder Schnellstraße stehe. Da auch die UVP im engeren Sinn nicht abgeschlossen sei, sei dem Beschwerdebegehren stattzugeben gewesen. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark ging daher offensichtlich davon aus, dass es eine Entscheidung nach dem UVP-G getroffen habe.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Zuständigkeit zur Führung dieses vormals beim UVS Steiermark anhängigen Verfahrens aus Art 131 Abs 4 Z 2 lita B VG iVm § 40 UVP-G 2000. Gemäß § 40 Abs 1 UVP-G 2000 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen, die nach dem UVP-G 2000 getroffen wurden.
1.3. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat mit der bekämpften Entscheidung eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde daher durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
1.4. Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben.
IV. Ergebnis
10. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
11. Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
12. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
13. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2014:E1230.2014