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VfGH vom 29.06.2011, b189/11

VfGH vom 29.06.2011, b189/11

Sammlungsnummer

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Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wurde der Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom - mit welchem über den Beschwerdeführer gemäß § 120 Abs 1 Z 2 FPG eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000,- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen verhängt sowie der Ersatz der Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurde, weil er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe - keine Folge gegeben; zudem wurde dem Beschwerdeführer der Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von € 200,-

vorgeschrieben.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144a B-VG [richtig: Art 144 B-VG] gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm - unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheides - von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G53/10 ua., ausgesprochen, dass die Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs 1 und die Wendung "1," in Abs 4 des § 120 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, als verfassungswidrig aufgehoben werden.

2. Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am . Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer bereits einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beim Verfassungsgerichtshof gestellt. Die nach Bewilligung der Verfahrenshilfe am eingebrachte Beschwerde galt aufgrund des § 73 Abs 2 und des § 464 Abs 3 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages (somit als noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren) erhoben (VfSlg. 11.748/1988, 13.665/1994; ). Der hier zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Wortfolge der Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG abgesehen.

Fundstelle(n):
VAAAE-12780